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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.
der Kriegspolicei der Kriegstaten unterworfen. Es ist bedenklich genug, daß man
diesen gestattet, auf offener See, die in Niemandes Herrschaft ist und allen
Nationen dient, neutrale Schiffe anzugreifen, wenn dieselben Contrebande führen.
Aber auch das bedarf der Ermäßigung. In entlegenen Meeren, welche dem Kriegs-
schauplatz fern liegen und füglich nicht zur Kriegshülfe benutzt oder mißbraucht wer-
den können, darf der Kriegsstat nicht neutrale Schiffe wegen Verdachts der Kriegs-
contrebande anhalten, ohne sich den gerechten Beschwerden der neutralen Staten aus-
zusetzen. Vgl. unten § 819.

815.

Die Zufuhr von Kriegstruppen oder von militärischen Führern auf
neutralen Schiffen wird ebenso als Kriegscontrebande behandelt, wie die
Zufuhr von Kriegsartikeln. Diese Truppen und Militärpersonen können
kriegsgefangen gemacht werden.

1. Die Zufuhr von Hülfstruppen ist selbstverständlich eine feindliche That
und Kriegshülfe, nicht minder als die Zufuhr von Waffen und Munition. Als
Truppen sind auch bloße militärische Unterabtheilungen -- z. B. ein
Trupp Soldaten mit einem Unterofficier -- gemeint, nicht bloß größere Truppen-
körper, ebenso Freischarenzüge.

2. Ganz dasselbe gilt auch von Heerführern ohne Truppen. Es können
unter Umständen einzelne Generale oder Officiere für den Erfolg militä-
rischer Operationen eine ebenso große und noch größere Bedeutung haben, als grö-
ßere Massen von Soldaten.

816.

Wenn jedoch friedliche Auswanderer, obwohl sie vielleicht die Absicht
haben, sich in dem kriegführenden Lande anwerben zu lassen, demselben
zugeführt werden, so ist dieser Transport doch nicht als durch das Kriegs-
recht untersagt zu betrachten.

In diesen Fällen liegt keine directe Beziehung zur Kriegsführung vor
und die indirecte ist zu entfernt und unsicher, um als Kriegscontrebande ange-
sehen werden zu können. Die Auswanderung ist wesentlich eine friedliche That.
In einer Reihe von neueren Verträgen ist das so bestimmt. Die französischen
Verträge z. B. haben noch 1858 folgende Formel: "Il est egalement convenu,
que la liberte du pavillon s'etend aux individus, qui seraient trouves a bord
des batiments neutres, a moins qu'ils ne soient militaires, et alors
engages au service de l'ennemi
".
Die nordamerikanischen drücken

Recht der Neutralität.
der Kriegspolicei der Kriegſtaten unterworfen. Es iſt bedenklich genug, daß man
dieſen geſtattet, auf offener See, die in Niemandes Herrſchaft iſt und allen
Nationen dient, neutrale Schiffe anzugreifen, wenn dieſelben Contrebande führen.
Aber auch das bedarf der Ermäßigung. In entlegenen Meeren, welche dem Kriegs-
ſchauplatz fern liegen und füglich nicht zur Kriegshülfe benutzt oder mißbraucht wer-
den können, darf der Kriegsſtat nicht neutrale Schiffe wegen Verdachts der Kriegs-
contrebande anhalten, ohne ſich den gerechten Beſchwerden der neutralen Staten aus-
zuſetzen. Vgl. unten § 819.

815.

Die Zufuhr von Kriegstruppen oder von militäriſchen Führern auf
neutralen Schiffen wird ebenſo als Kriegscontrebande behandelt, wie die
Zufuhr von Kriegsartikeln. Dieſe Truppen und Militärperſonen können
kriegsgefangen gemacht werden.

1. Die Zufuhr von Hülfstruppen iſt ſelbſtverſtändlich eine feindliche That
und Kriegshülfe, nicht minder als die Zufuhr von Waffen und Munition. Als
Truppen ſind auch bloße militäriſche Unterabtheilungen — z. B. ein
Trupp Soldaten mit einem Unterofficier — gemeint, nicht bloß größere Truppen-
körper, ebenſo Freiſcharenzüge.

2. Ganz dasſelbe gilt auch von Heerführern ohne Truppen. Es können
unter Umſtänden einzelne Generale oder Officiere für den Erfolg militä-
riſcher Operationen eine ebenſo große und noch größere Bedeutung haben, als grö-
ßere Maſſen von Soldaten.

816.

Wenn jedoch friedliche Auswanderer, obwohl ſie vielleicht die Abſicht
haben, ſich in dem kriegführenden Lande anwerben zu laſſen, demſelben
zugeführt werden, ſo iſt dieſer Transport doch nicht als durch das Kriegs-
recht unterſagt zu betrachten.

In dieſen Fällen liegt keine directe Beziehung zur Kriegsführung vor
und die indirecte iſt zu entfernt und unſicher, um als Kriegscontrebande ange-
ſehen werden zu können. Die Auswanderung iſt weſentlich eine friedliche That.
In einer Reihe von neueren Verträgen iſt das ſo beſtimmt. Die franzöſiſchen
Verträge z. B. haben noch 1858 folgende Formel: „Il est également convenu,
que la liberté du pavillon s’étend aux individus, qui seraient trouvés à bord
des bâtiments neutres, a moins qu’ils ne soient militaires, et alors
engagés au service de l’ennemi
“.
Die nordamerikaniſchen drücken

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[441/0463] Recht der Neutralität. der Kriegspolicei der Kriegſtaten unterworfen. Es iſt bedenklich genug, daß man dieſen geſtattet, auf offener See, die in Niemandes Herrſchaft iſt und allen Nationen dient, neutrale Schiffe anzugreifen, wenn dieſelben Contrebande führen. Aber auch das bedarf der Ermäßigung. In entlegenen Meeren, welche dem Kriegs- ſchauplatz fern liegen und füglich nicht zur Kriegshülfe benutzt oder mißbraucht wer- den können, darf der Kriegsſtat nicht neutrale Schiffe wegen Verdachts der Kriegs- contrebande anhalten, ohne ſich den gerechten Beſchwerden der neutralen Staten aus- zuſetzen. Vgl. unten § 819. 815. Die Zufuhr von Kriegstruppen oder von militäriſchen Führern auf neutralen Schiffen wird ebenſo als Kriegscontrebande behandelt, wie die Zufuhr von Kriegsartikeln. Dieſe Truppen und Militärperſonen können kriegsgefangen gemacht werden. 1. Die Zufuhr von Hülfstruppen iſt ſelbſtverſtändlich eine feindliche That und Kriegshülfe, nicht minder als die Zufuhr von Waffen und Munition. Als Truppen ſind auch bloße militäriſche Unterabtheilungen — z. B. ein Trupp Soldaten mit einem Unterofficier — gemeint, nicht bloß größere Truppen- körper, ebenſo Freiſcharenzüge. 2. Ganz dasſelbe gilt auch von Heerführern ohne Truppen. Es können unter Umſtänden einzelne Generale oder Officiere für den Erfolg militä- riſcher Operationen eine ebenſo große und noch größere Bedeutung haben, als grö- ßere Maſſen von Soldaten. 816. Wenn jedoch friedliche Auswanderer, obwohl ſie vielleicht die Abſicht haben, ſich in dem kriegführenden Lande anwerben zu laſſen, demſelben zugeführt werden, ſo iſt dieſer Transport doch nicht als durch das Kriegs- recht unterſagt zu betrachten. In dieſen Fällen liegt keine directe Beziehung zur Kriegsführung vor und die indirecte iſt zu entfernt und unſicher, um als Kriegscontrebande ange- ſehen werden zu können. Die Auswanderung iſt weſentlich eine friedliche That. In einer Reihe von neueren Verträgen iſt das ſo beſtimmt. Die franzöſiſchen Verträge z. B. haben noch 1858 folgende Formel: „Il est également convenu, que la liberté du pavillon s’étend aux individus, qui seraient trouvés à bord des bâtiments neutres, a moins qu’ils ne soient militaires, et alors engagés au service de l’ennemi“. Die nordamerikaniſchen drücken

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/463>, abgerufen am 24.04.2024.