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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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oben § 299. Indessen verfahren einige Seemächte auch in dieser Hinsicht noch
strenger und gewaltsamer. Auch die amerikanischen Gerichte erkannten noch in dem
letzten Bürgerkrieg das Recht der Wegnahme auf der Rückfahrt an; aber nicht
mehr, nachdem die Reise beendigt war. Dana zu Wheaton § 523.

837.

Die neutralen Schiffe, welche vor der Blocade in dem blokirten
Hafen lagen, haben ein Recht zu fordern, daß ihnen die ungehinderte
Ausfahrt gestattet werde, wenn sie nach einem unverfänglichen Bestimmungs-
orte fahren, ohne Kriegscontrebande, mit Ballast oder mit einer Ladung,
welche sie schon vor der Blocadeerklärung aufgenommen haben.

Die neuere Praxis ist zuweilen noch milder und gestattet den neutralen Schif-
fen, während einer bestimmten Frist, mit beliebiger Ladung, ausgenommen Contre-
bande, auszulaufen, ohne Rücksicht darauf, daß dieselbe erst nach der Erklärung der
Blocade aufgenommen worden. Die strengere Praxis, welche eine neue Ladung von
feindlichem Gut untersagt, ist aber noch die Regel. Vgl. Hautefeuille Droit
des neutres II.
S. 214.

838.

Den neutralen Schiffen darf nicht zugemuthet werden, in der Noth
vor dringender Seegefahr in dem blokirten Hafen eine Zufluchtsstätte zu
suchen.

Es ist das ein Gebot der Menschlichkeit, welche auch das Kriegsnothrecht
achten muß. Vgl. oben § 774.

839.

Ein neutrales Schiff, welches die Blocade verletzt, kann während
der versuchten Verletzung weggenommen und confiscirt werden. Aber die
Mannschaft verfällt keiner weiteren Strafe.

Eine eigentliche Strafgerichtsbarkeit steht dem Kriegsstat wider die
Neutralen auf offener See nicht zu (oben § 827). Aber die Androhung der
Wegnahme
des neutralen Schiffs, wenn dasselbe bei Verletzung der Blocade er-
griffen ist, sichert die Wirksamkeit dieser und wird insoweit von dem Völkerrecht ge-
stattet. Der Blocadebrecher ist dieser Gefahr ausgesetzt, nicht aber einem eigentlichen
Strafverfahren. Die Mannschaft des neutralen Schiffs ist daher auch nicht der

Neuntes Buch.
oben § 299. Indeſſen verfahren einige Seemächte auch in dieſer Hinſicht noch
ſtrenger und gewaltſamer. Auch die amerikaniſchen Gerichte erkannten noch in dem
letzten Bürgerkrieg das Recht der Wegnahme auf der Rückfahrt an; aber nicht
mehr, nachdem die Reiſe beendigt war. Dana zu Wheaton § 523.

837.

Die neutralen Schiffe, welche vor der Blocade in dem blokirten
Hafen lagen, haben ein Recht zu fordern, daß ihnen die ungehinderte
Ausfahrt geſtattet werde, wenn ſie nach einem unverfänglichen Beſtimmungs-
orte fahren, ohne Kriegscontrebande, mit Ballaſt oder mit einer Ladung,
welche ſie ſchon vor der Blocadeerklärung aufgenommen haben.

Die neuere Praxis iſt zuweilen noch milder und geſtattet den neutralen Schif-
fen, während einer beſtimmten Friſt, mit beliebiger Ladung, ausgenommen Contre-
bande, auszulaufen, ohne Rückſicht darauf, daß dieſelbe erſt nach der Erklärung der
Blocade aufgenommen worden. Die ſtrengere Praxis, welche eine neue Ladung von
feindlichem Gut unterſagt, iſt aber noch die Regel. Vgl. Hautefeuille Droit
des neutres II.
S. 214.

838.

Den neutralen Schiffen darf nicht zugemuthet werden, in der Noth
vor dringender Seegefahr in dem blokirten Hafen eine Zufluchtsſtätte zu
ſuchen.

Es iſt das ein Gebot der Menſchlichkeit, welche auch das Kriegsnothrecht
achten muß. Vgl. oben § 774.

839.

Ein neutrales Schiff, welches die Blocade verletzt, kann während
der verſuchten Verletzung weggenommen und confiscirt werden. Aber die
Mannſchaft verfällt keiner weiteren Strafe.

Eine eigentliche Strafgerichtsbarkeit ſteht dem Kriegsſtat wider die
Neutralen auf offener See nicht zu (oben § 827). Aber die Androhung der
Wegnahme
des neutralen Schiffs, wenn dasſelbe bei Verletzung der Blocade er-
griffen iſt, ſichert die Wirkſamkeit dieſer und wird inſoweit von dem Völkerrecht ge-
ſtattet. Der Blocadebrecher iſt dieſer Gefahr ausgeſetzt, nicht aber einem eigentlichen
Strafverfahren. Die Mannſchaft des neutralen Schiffs iſt daher auch nicht der

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[454/0476] Neuntes Buch. oben § 299. Indeſſen verfahren einige Seemächte auch in dieſer Hinſicht noch ſtrenger und gewaltſamer. Auch die amerikaniſchen Gerichte erkannten noch in dem letzten Bürgerkrieg das Recht der Wegnahme auf der Rückfahrt an; aber nicht mehr, nachdem die Reiſe beendigt war. Dana zu Wheaton § 523. 837. Die neutralen Schiffe, welche vor der Blocade in dem blokirten Hafen lagen, haben ein Recht zu fordern, daß ihnen die ungehinderte Ausfahrt geſtattet werde, wenn ſie nach einem unverfänglichen Beſtimmungs- orte fahren, ohne Kriegscontrebande, mit Ballaſt oder mit einer Ladung, welche ſie ſchon vor der Blocadeerklärung aufgenommen haben. Die neuere Praxis iſt zuweilen noch milder und geſtattet den neutralen Schif- fen, während einer beſtimmten Friſt, mit beliebiger Ladung, ausgenommen Contre- bande, auszulaufen, ohne Rückſicht darauf, daß dieſelbe erſt nach der Erklärung der Blocade aufgenommen worden. Die ſtrengere Praxis, welche eine neue Ladung von feindlichem Gut unterſagt, iſt aber noch die Regel. Vgl. Hautefeuille Droit des neutres II. S. 214. 838. Den neutralen Schiffen darf nicht zugemuthet werden, in der Noth vor dringender Seegefahr in dem blokirten Hafen eine Zufluchtsſtätte zu ſuchen. Es iſt das ein Gebot der Menſchlichkeit, welche auch das Kriegsnothrecht achten muß. Vgl. oben § 774. 839. Ein neutrales Schiff, welches die Blocade verletzt, kann während der verſuchten Verletzung weggenommen und confiscirt werden. Aber die Mannſchaft verfällt keiner weiteren Strafe. Eine eigentliche Strafgerichtsbarkeit ſteht dem Kriegsſtat wider die Neutralen auf offener See nicht zu (oben § 827). Aber die Androhung der Wegnahme des neutralen Schiffs, wenn dasſelbe bei Verletzung der Blocade er- griffen iſt, ſichert die Wirkſamkeit dieſer und wird inſoweit von dem Völkerrecht ge- ſtattet. Der Blocadebrecher iſt dieſer Gefahr ausgeſetzt, nicht aber einem eigentlichen Strafverfahren. Die Mannſchaft des neutralen Schiffs iſt daher auch nicht der

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/476>, abgerufen am 29.03.2024.