mehr muß dieses der Noth des States weichen. Aber sogar in diesem äußersten Falle erkennt die heutige Kriegsgewalt, soweit nicht das Recht zur Besteuerung oder das Recht auf Kriegslasten (Fuhrwerke, Einquar- tirung) die Forderung unentgeltlicher (wenigstens vorläufig unentgeltlicher) Leistungen rechtfertigt, die Pflicht schatzungsgemäßer Entschädigung an, und zieht die geordnete Auferlegung von Contributionen auch der aus Noth erlaubten Marode entschieden vor.
Am wenigsten ist es den Kriegsleuten gestattet, die Hauswirthe, bei denen sie einquartirt werden, zu beschädigen und zu bestehlen. Wo der- gleichen Unfug und Unrecht noch gelegentlich vorkommt und, sei es aus Rachsucht oder aus Gewinnsucht, auch von den Officieren noch geduldet wird, da geschieht dies nicht mehr im Sinne sondern mit Widerspruch des heutigen Kriegsrechts. Die Ehre einer disciplinirten Armee und der civilisirten Kriegsführung fordert strenge Bestrafung solcher Mißbräuche und Missethaten.
Nur ganz ausnahmsweise wird im heutigen Landkriege noch die Beute gestattet. Die Kriegsrüstung insbesondere der bewehrten Feinde, ihre Waffen und Pferde sind heute noch Gegenstand erlaubter Beute, weil vor der nahen Beziehung dieser Sachen zur Kampfesführung die Rücksicht auf das Privateigenthum zurück tritt. Diese Sachen dienen dem Krieg und verfallen deshalb dem Sieger. Dagegen gilt es bereits als unwürdig und dem civilisirten Kriegsrechte nicht mehr entsprechend, dem besiegten Gegner sein Geld oder seine Kleinode wegzunehmen. Auch der Kriegs- gefangene bleibt Privateigenthümer. Nur wenn ein Officier große Geld- summen mit sich führt, so werden diese nicht als Privatgut, sondern als Kriegsmittel und Kriegsgut betrachtet.
Ebenso wird dem Sieger gewöhnlich noch verstattet, dem todt auf dem Schlachtfeld gebliebenen Feinde die Habe wegzunehmen, die er zurück- läßt. Die völlige Unsicherheit dieser Verlassenschaft läßt die Wegnahme in milderem Lichte erscheinen. Indessen der ehrenhafte Sieger wird solche Sachen doch nur insofern behalten, als er die rechtmäßigen Erben nicht kennt, und sie herausgeben, sobald Jemand ein besseres Recht daran nach- weist. Die heimliche Marode aber den Schlachtfeldern nachschleichender Diebe wird nicht mehr geduldet, sondern als ein schweres Verbrechen bestraft.
Zuweilen vertheidigt man noch heute die Erlaubniß zur Plünderung eines hartnäckig vertheidigten Platzes, mit dem Bedürfniß der Kriegsfüh-
Einleitung.
mehr muß dieſes der Noth des States weichen. Aber ſogar in dieſem äußerſten Falle erkennt die heutige Kriegsgewalt, ſoweit nicht das Recht zur Beſteuerung oder das Recht auf Kriegslaſten (Fuhrwerke, Einquar- tirung) die Forderung unentgeltlicher (wenigſtens vorläufig unentgeltlicher) Leiſtungen rechtfertigt, die Pflicht ſchatzungsgemäßer Entſchädigung an, und zieht die geordnete Auferlegung von Contributionen auch der aus Noth erlaubten Marode entſchieden vor.
Am wenigſten iſt es den Kriegsleuten geſtattet, die Hauswirthe, bei denen ſie einquartirt werden, zu beſchädigen und zu beſtehlen. Wo der- gleichen Unfug und Unrecht noch gelegentlich vorkommt und, ſei es aus Rachſucht oder aus Gewinnſucht, auch von den Officieren noch geduldet wird, da geſchieht dies nicht mehr im Sinne ſondern mit Widerſpruch des heutigen Kriegsrechts. Die Ehre einer disciplinirten Armee und der civiliſirten Kriegsführung fordert ſtrenge Beſtrafung ſolcher Mißbräuche und Miſſethaten.
Nur ganz ausnahmsweiſe wird im heutigen Landkriege noch die Beute geſtattet. Die Kriegsrüſtung insbeſondere der bewehrten Feinde, ihre Waffen und Pferde ſind heute noch Gegenſtand erlaubter Beute, weil vor der nahen Beziehung dieſer Sachen zur Kampfesführung die Rückſicht auf das Privateigenthum zurück tritt. Dieſe Sachen dienen dem Krieg und verfallen deshalb dem Sieger. Dagegen gilt es bereits als unwürdig und dem civiliſirten Kriegsrechte nicht mehr entſprechend, dem beſiegten Gegner ſein Geld oder ſeine Kleinode wegzunehmen. Auch der Kriegs- gefangene bleibt Privateigenthümer. Nur wenn ein Officier große Geld- ſummen mit ſich führt, ſo werden dieſe nicht als Privatgut, ſondern als Kriegsmittel und Kriegsgut betrachtet.
Ebenſo wird dem Sieger gewöhnlich noch verſtattet, dem todt auf dem Schlachtfeld gebliebenen Feinde die Habe wegzunehmen, die er zurück- läßt. Die völlige Unſicherheit dieſer Verlaſſenſchaft läßt die Wegnahme in milderem Lichte erſcheinen. Indeſſen der ehrenhafte Sieger wird ſolche Sachen doch nur inſofern behalten, als er die rechtmäßigen Erben nicht kennt, und ſie herausgeben, ſobald Jemand ein beſſeres Recht daran nach- weiſt. Die heimliche Marode aber den Schlachtfeldern nachſchleichender Diebe wird nicht mehr geduldet, ſondern als ein ſchweres Verbrechen beſtraft.
Zuweilen vertheidigt man noch heute die Erlaubniß zur Plünderung eines hartnäckig vertheidigten Platzes, mit dem Bedürfniß der Kriegsfüh-
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Einleitung.
mehr muß dieſes der Noth des States weichen. Aber ſogar in dieſem
äußerſten Falle erkennt die heutige Kriegsgewalt, ſoweit nicht das Recht
zur Beſteuerung oder das Recht auf Kriegslaſten (Fuhrwerke, Einquar-
tirung) die Forderung unentgeltlicher (wenigſtens vorläufig unentgeltlicher)
Leiſtungen rechtfertigt, die Pflicht ſchatzungsgemäßer Entſchädigung an, und
zieht die geordnete Auferlegung von Contributionen auch der aus Noth
erlaubten Marode entſchieden vor.
Am wenigſten iſt es den Kriegsleuten geſtattet, die Hauswirthe, bei
denen ſie einquartirt werden, zu beſchädigen und zu beſtehlen. Wo der-
gleichen Unfug und Unrecht noch gelegentlich vorkommt und, ſei es aus
Rachſucht oder aus Gewinnſucht, auch von den Officieren noch geduldet
wird, da geſchieht dies nicht mehr im Sinne ſondern mit Widerſpruch des
heutigen Kriegsrechts. Die Ehre einer disciplinirten Armee und der
civiliſirten Kriegsführung fordert ſtrenge Beſtrafung ſolcher Mißbräuche und
Miſſethaten.
Nur ganz ausnahmsweiſe wird im heutigen Landkriege noch die
Beute geſtattet. Die Kriegsrüſtung insbeſondere der bewehrten Feinde,
ihre Waffen und Pferde ſind heute noch Gegenſtand erlaubter Beute, weil
vor der nahen Beziehung dieſer Sachen zur Kampfesführung die Rückſicht
auf das Privateigenthum zurück tritt. Dieſe Sachen dienen dem Krieg
und verfallen deshalb dem Sieger. Dagegen gilt es bereits als unwürdig
und dem civiliſirten Kriegsrechte nicht mehr entſprechend, dem beſiegten
Gegner ſein Geld oder ſeine Kleinode wegzunehmen. Auch der Kriegs-
gefangene bleibt Privateigenthümer. Nur wenn ein Officier große Geld-
ſummen mit ſich führt, ſo werden dieſe nicht als Privatgut, ſondern als
Kriegsmittel und Kriegsgut betrachtet.
Ebenſo wird dem Sieger gewöhnlich noch verſtattet, dem todt auf
dem Schlachtfeld gebliebenen Feinde die Habe wegzunehmen, die er zurück-
läßt. Die völlige Unſicherheit dieſer Verlaſſenſchaft läßt die Wegnahme
in milderem Lichte erſcheinen. Indeſſen der ehrenhafte Sieger wird ſolche
Sachen doch nur inſofern behalten, als er die rechtmäßigen Erben nicht
kennt, und ſie herausgeben, ſobald Jemand ein beſſeres Recht daran nach-
weiſt. Die heimliche Marode aber den Schlachtfeldern nachſchleichender
Diebe wird nicht mehr geduldet, ſondern als ein ſchweres Verbrechen
beſtraft.
Zuweilen vertheidigt man noch heute die Erlaubniß zur Plünderung
eines hartnäckig vertheidigten Platzes, mit dem Bedürfniß der Kriegsfüh-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/61>, abgerufen am 29.03.2024.
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