Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Sinnreichen etc.
re es abgeschmakt, wenn man eine Frau abscheu-
lich angenehm
nennen wollte, denn dieses sind
nicht allein unterschiedene, sondern streitende Din-
ge, diversa, non opposita. Jch finde eine gleich-
mässige Stelle in Opizens IV. B. der P. W. nicht
weit vom Ende der Oden, woraus sich zeigt, daß
dieser treffliche Poet keinen Abscheu vor dergleichen
Gegensäzen gehabt hat:

Sie weiß nichts von Menschen-Gunst,
Wie es zwar manch Freund hier machet,
Der aus falscher Liebesbrunst
Frölich klagt, und kläglich lachet;
Der zwar gut ist vom Gesicht,
Und sich aller Treu verspricht;
Das Herze meint es nicht.

Solche haben in der That einen besondern Nach-
druck, wenn sie nur nicht weit her, wenn sie nicht
gezwungen, und nicht unverständlich sind. Und
die Wahrheit zu bekennen, dünkte mich derjeni-
ge, den ich bißher vertheidiget habe, ein wenig
zu gekünstelt und zu dunkel, wenn ihm die nächst
vorhergehende Zeile nicht zu Hülfe käme, und ihn
in ein helles Licht sezete.

Hans

Von dem Sinnreichen ꝛc.
re es abgeſchmakt, wenn man eine Frau abſcheu-
lich angenehm
nennen wollte, denn dieſes ſind
nicht allein unterſchiedene, ſondern ſtreitende Din-
ge, diverſa, non oppoſita. Jch finde eine gleich-
maͤſſige Stelle in Opizens IV. B. der P. W. nicht
weit vom Ende der Oden, woraus ſich zeigt, daß
dieſer treffliche Poet keinen Abſcheu vor dergleichen
Gegenſaͤzen gehabt hat:

Sie weiß nichts von Menſchen-Gunſt,
Wie es zwar manch Freund hier machet,
Der aus falſcher Liebesbrunſt
Froͤlich klagt, und klaͤglich lachet;
Der zwar gut iſt vom Geſicht,
Und ſich aller Treu verſpricht;
Das Herze meint es nicht.

Solche haben in der That einen beſondern Nach-
druck, wenn ſie nur nicht weit her, wenn ſie nicht
gezwungen, und nicht unverſtaͤndlich ſind. Und
die Wahrheit zu bekennen, duͤnkte mich derjeni-
ge, den ich bißher vertheidiget habe, ein wenig
zu gekuͤnſtelt und zu dunkel, wenn ihm die naͤchſt
vorhergehende Zeile nicht zu Huͤlfe kaͤme, und ihn
in ein helles Licht ſezete.

Hans
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0130" n="114"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Sinnreichen &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
re es abge&#x017F;chmakt, wenn man eine Frau <hi rendition="#fr">ab&#x017F;cheu-<lb/>
lich angenehm</hi> nennen wollte, denn die&#x017F;es &#x017F;ind<lb/>
nicht allein unter&#x017F;chiedene, &#x017F;ondern &#x017F;treitende Din-<lb/>
ge, <hi rendition="#aq">diver&#x017F;a, non oppo&#x017F;ita.</hi> Jch finde eine gleich-<lb/>
ma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Stelle in Opizens <hi rendition="#aq">IV.</hi> B. der <hi rendition="#fr">P. W.</hi> nicht<lb/>
weit vom Ende der Oden, woraus &#x017F;ich zeigt, daß<lb/>
die&#x017F;er treffliche Poet keinen Ab&#x017F;cheu vor dergleichen<lb/>
Gegen&#x017F;a&#x0364;zen gehabt hat:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Sie weiß nichts von Men&#x017F;chen-Gun&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Wie es zwar manch Freund hier machet,</l><lb/>
          <l>Der aus fal&#x017F;cher Liebesbrun&#x017F;t</l><lb/>
          <l>Fro&#x0364;lich klagt, und kla&#x0364;glich lachet;</l><lb/>
          <l>Der zwar gut i&#x017F;t vom Ge&#x017F;icht,</l><lb/>
          <l>Und &#x017F;ich aller Treu ver&#x017F;pricht;</l><lb/>
          <l>Das Herze meint es nicht.</l>
        </lg><lb/>
        <p>Solche haben in der That einen be&#x017F;ondern Nach-<lb/>
druck, wenn &#x017F;ie nur nicht weit her, wenn &#x017F;ie nicht<lb/>
gezwungen, und nicht unver&#x017F;ta&#x0364;ndlich &#x017F;ind. Und<lb/>
die Wahrheit zu bekennen, du&#x0364;nkte mich derjeni-<lb/>
ge, den ich bißher vertheidiget habe, ein wenig<lb/>
zu geku&#x0364;n&#x017F;telt und zu dunkel, wenn ihm die na&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
vorhergehende Zeile nicht zu Hu&#x0364;lfe ka&#x0364;me, und ihn<lb/>
in ein helles Licht &#x017F;ezete.</p>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Hans</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0130] Von dem Sinnreichen ꝛc. re es abgeſchmakt, wenn man eine Frau abſcheu- lich angenehm nennen wollte, denn dieſes ſind nicht allein unterſchiedene, ſondern ſtreitende Din- ge, diverſa, non oppoſita. Jch finde eine gleich- maͤſſige Stelle in Opizens IV. B. der P. W. nicht weit vom Ende der Oden, woraus ſich zeigt, daß dieſer treffliche Poet keinen Abſcheu vor dergleichen Gegenſaͤzen gehabt hat: Sie weiß nichts von Menſchen-Gunſt, Wie es zwar manch Freund hier machet, Der aus falſcher Liebesbrunſt Froͤlich klagt, und klaͤglich lachet; Der zwar gut iſt vom Geſicht, Und ſich aller Treu verſpricht; Das Herze meint es nicht. Solche haben in der That einen beſondern Nach- druck, wenn ſie nur nicht weit her, wenn ſie nicht gezwungen, und nicht unverſtaͤndlich ſind. Und die Wahrheit zu bekennen, duͤnkte mich derjeni- ge, den ich bißher vertheidiget habe, ein wenig zu gekuͤnſtelt und zu dunkel, wenn ihm die naͤchſt vorhergehende Zeile nicht zu Huͤlfe kaͤme, und ihn in ein helles Licht ſezete. Hans

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/130
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/130>, abgerufen am 28.03.2024.