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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Das Complot der herrschen-
den Poeten u. Kunstrichter.

DAs Papier war so wolfeil geworden, und
die Pressen hatten sich so starck vermeh-
ret, daß ganz Deutschland von Schriften über-
schwemmt ward, worinnen keine Erfindung,
kein Nachdruck, kein Affect, keine Ordnung war.

Die
Ein Paar geistreiche Graubünder, denen ich diese
Geschichte vorgelesen, haben vermeint, daß sie sich in
den Charactern und den Reden allzu weit von der Wahr-
scheinlichkeit entfernte. Einige der berühmtesten deut-
schen Poeten würden darinnen vor so alberne und dabey
boshaftige Leute ausgegeben, daß man das Zeugniß, so sie
in ihren Schriften von sich selber ablegeten, gänzlich
aus dem Gesichte verlöhre. Jn ihren eigenen Nach-
richten sagten sie uns, Deutschland philosophirte mehr,
als vorhin jemals; die Vernunft sey unter den Deut-
schen sehr geläutert, der wilde Wiz gebändiget, und
die ausschweifende Phantasie in ihre gebührende Grän-
[z]en eingeschränket worden. Dadurch sey auch der Ge-
schmak in den freyen Künsten um ein vieles verbessert
worden, und man habe Dinge zu verachten angefan-
gen, die man vorhin himmelhoch erhoben hätte.
Jch has-
se die Falschheit, in so weit daß ich ihr auch in der Fabel selbst
keinen Plaz einräumen wolte. Jch habe auch meine Cha-
racter und alle daraus hergeleitete Reden nach ihren Ori-
ginalen der Wahrheit gemäß geschildert, und darf be-
haupten, daß sie nicht nur wahrscheinlich, sondern so gut
als wahr seyn. Jch fodere nicht, daß es mir jemand auf
mein Wort glaube, denn ich kan es mit historischen Urkun-
den beweisen. Die Nahmen Schottged etc. gehören zwar
keinen Personen zu, die jemahls gelebt hätten, aber die Ge-
danken, die ihnen zugeschrieben werden, sind würklich in
den Seelen u. Schriften berühmter Jztlebenden vorhanden.
Jch stamme aus einem Hause, in welchem Männer und
Frauen
[Crit. Samml. III. St.] L
Das Complot der herrſchen-
den Poeten u. Kunſtrichter.

DAs Papier war ſo wolfeil geworden, und
die Preſſen hatten ſich ſo ſtarck vermeh-
ret, daß ganz Deutſchland von Schriften uͤber-
ſchwemmt ward, worinnen keine Erfindung,
kein Nachdruck, kein Affect, keine Ordnung war.

Die
Ein Paar geiſtreiche Graubuͤnder, denen ich dieſe
Geſchichte vorgeleſen, haben vermeint, daß ſie ſich in
den Charactern und den Reden allzu weit von der Wahr-
ſcheinlichkeit entfernte. Einige der beruͤhmteſten deut-
ſchen Poeten wuͤrden darinnen vor ſo alberne und dabey
boshaftige Leute ausgegeben, daß man das Zeugniß, ſo ſie
in ihren Schriften von ſich ſelber ablegeten, gaͤnzlich
aus dem Geſichte verloͤhre. Jn ihren eigenen Nach-
richten ſagten ſie uns, Deutſchland philoſophirte mehr,
als vorhin jemals; die Vernunft ſey unter den Deut-
ſchen ſehr gelaͤutert, der wilde Wiz gebaͤndiget, und
die ausſchweifende Phantaſie in ihre gebuͤhrende Graͤn-
[z]en eingeſchraͤnket worden. Dadurch ſey auch der Ge-
ſchmak in den freyen Kuͤnſten um ein vieles verbeſſert
worden, und man habe Dinge zu verachten angefan-
gen, die man vorhin himmelhoch erhoben haͤtte.
Jch haſ-
ſe die Falſchheit, in ſo weit daß ich ihr auch in der Fabel ſelbſt
keinen Plaz einraͤumen wolte. Jch habe auch meine Cha-
racter und alle daraus hergeleitete Reden nach ihren Ori-
ginalen der Wahrheit gemaͤß geſchildert, und darf be-
haupten, daß ſie nicht nur wahrſcheinlich, ſondern ſo gut
als wahr ſeyn. Jch fodere nicht, daß es mir jemand auf
mein Wort glaube, denn ich kan es mit hiſtoriſchen Urkun-
den beweiſen. Die Nahmen Schottged ꝛc. gehoͤren zwar
keinen Perſonen zu, die jemahls gelebt haͤtten, aber die Ge-
danken, die ihnen zugeſchrieben werden, ſind wuͤrklich in
den Seelen u. Schriften beruͤhmter Jztlebenden vorhanden.
Jch ſtamme aus einem Hauſe, in welchem Maͤnner und
Frauen
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[161/0163] Das Complot der herrſchen- den Poeten u. Kunſtrichter. DAs Papier war ſo wolfeil geworden, und die Preſſen hatten ſich ſo ſtarck vermeh- ret, daß ganz Deutſchland von Schriften uͤber- ſchwemmt ward, worinnen keine Erfindung, kein Nachdruck, kein Affect, keine Ordnung war. Die Ein Paar geiſtreiche Graubuͤnder, denen ich dieſe Geſchichte vorgeleſen, haben vermeint, daß ſie ſich in den Charactern und den Reden allzu weit von der Wahr- ſcheinlichkeit entfernte. Einige der beruͤhmteſten deut- ſchen Poeten wuͤrden darinnen vor ſo alberne und dabey boshaftige Leute ausgegeben, daß man das Zeugniß, ſo ſie in ihren Schriften von ſich ſelber ablegeten, gaͤnzlich aus dem Geſichte verloͤhre. Jn ihren eigenen Nach- richten ſagten ſie uns, Deutſchland philoſophirte mehr, als vorhin jemals; die Vernunft ſey unter den Deut- ſchen ſehr gelaͤutert, der wilde Wiz gebaͤndiget, und die ausſchweifende Phantaſie in ihre gebuͤhrende Graͤn- zen eingeſchraͤnket worden. Dadurch ſey auch der Ge- ſchmak in den freyen Kuͤnſten um ein vieles verbeſſert worden, und man habe Dinge zu verachten angefan- gen, die man vorhin himmelhoch erhoben haͤtte. Jch haſ- ſe die Falſchheit, in ſo weit daß ich ihr auch in der Fabel ſelbſt keinen Plaz einraͤumen wolte. Jch habe auch meine Cha- racter und alle daraus hergeleitete Reden nach ihren Ori- ginalen der Wahrheit gemaͤß geſchildert, und darf be- haupten, daß ſie nicht nur wahrſcheinlich, ſondern ſo gut als wahr ſeyn. Jch fodere nicht, daß es mir jemand auf mein Wort glaube, denn ich kan es mit hiſtoriſchen Urkun- den beweiſen. Die Nahmen Schottged ꝛc. gehoͤren zwar keinen Perſonen zu, die jemahls gelebt haͤtten, aber die Ge- danken, die ihnen zugeſchrieben werden, ſind wuͤrklich in den Seelen u. Schriften beruͤhmter Jztlebenden vorhanden. Jch ſtamme aus einem Hauſe, in welchem Maͤnner und Frauen [Crit. Samml. III. St.] L

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/163>, abgerufen am 29.03.2024.