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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

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des vierzehnten Jahrhunderts.
XII. Der streit der Vögel u. der Thiere.
VOr diesem ist ein schwerer Streit gewesen,
Darinnen kaum der zehnde Mann genesen.
Die Thiere foderten für sich und ihr Geschlecht
Das Land, als ihr gebührend Recht.
Gott, sagten sie, hat uns das Land gegeben,
Auf dem wir sollten gehn und leben;
Und was es bringt und trägt gehöret uns zur Speise.
Die Vögel sprachen gleicherweise
Das Erdreich an; die Erde nebst der Luft;
Die beyde wären nur für sie gemacht.
Für diese wollten sie in einer strengen Schlacht
Jhr Leben an die Thiere wagen.
Daher erhub sich nun ein tödlich-schwerer Krieg.
Man stritt mit Heldenmuth um Ehr, Besitz und Rechte,
Mit Schilde, Spieß u. Schwerdt, so Rittersleut als Knechte.
Man jagt und ward gejagt, mit ungewissem Sieg;
Bis daß ein grosser Riß im Vogelheer geschah.
Sobald als dieß die Fledermaus ersah,
Verließ sie heimlich ihre Schaaren.
Sie mischt sich unter die, die ihre Feinde waren.
Sie folgt des feigen Hertzens Rath,
Und flieht da man sie nöthig hat.
Jnzwischen steht mit stürmendem Gefieder
Der Adler vor den Riß, ergäntzt die Lücke wieder.
Er schrie die Vögel an, gab ihnen Hertz und Muth,
Wie Ajax that, und noch ein kühner thut.
Sie würgten ihm mit scharffen Schnäbeln nach.
Dadurch verkehret sich des Krieges Glücke,
Es wendet sich der Sieg von seiner Flucht.
Mit ihm fliegt auch die Fledermaus zurücke.
Sie kam zu der verdienten Straffe,
Die Vögel machten sie gantz nackt und bloß;
Sie gaben ihr manch harten Puff und Stoß.
Dazu ward ihr zur Busse das gegeben,
Sie sollte Nachts ihr schändlich Leben
Mit Speise zu versorgen fliegen;
Des Tages sollte sie im Finstern liegen.
XIII. Die
E 3
des vierzehnten Jahrhunderts.
XII. Der ſtreit der Voͤgel u. der Thiere.
VOr dieſem iſt ein ſchwerer Streit geweſen,
Darinnen kaum der zehnde Mann geneſen.
Die Thiere foderten fuͤr ſich und ihr Geſchlecht
Das Land, als ihr gebuͤhrend Recht.
Gott, ſagten ſie, hat uns das Land gegeben,
Auf dem wir ſollten gehn und leben;
Und was es bringt und traͤgt gehoͤret uns zur Speiſe.
Die Voͤgel ſprachen gleicherweiſe
Das Erdreich an; die Erde nebſt der Luft;
Die beyde waͤren nur fuͤr ſie gemacht.
Fuͤr dieſe wollten ſie in einer ſtrengen Schlacht
Jhr Leben an die Thiere wagen.
Daher erhub ſich nun ein toͤdlich-ſchwerer Krieg.
Man ſtritt mit Heldenmuth um Ehr, Beſitz und Rechte,
Mit Schilde, Spieß u. Schwerdt, ſo Rittersleut als Knechte.
Man jagt und ward gejagt, mit ungewiſſem Sieg;
Bis daß ein groſſer Riß im Vogelheer geſchah.
Sobald als dieß die Fledermaus erſah,
Verließ ſie heimlich ihre Schaaren.
Sie miſcht ſich unter die, die ihre Feinde waren.
Sie folgt des feigen Hertzens Rath,
Und flieht da man ſie noͤthig hat.
Jnzwiſchen ſteht mit ſtuͤrmendem Gefieder
Der Adler vor den Riß, ergaͤntzt die Luͤcke wieder.
Er ſchrie die Voͤgel an, gab ihnen Hertz und Muth,
Wie Ajax that, und noch ein kuͤhner thut.
Sie wuͤrgten ihm mit ſcharffen Schnaͤbeln nach.
Dadurch verkehret ſich des Krieges Gluͤcke,
Es wendet ſich der Sieg von ſeiner Flucht.
Mit ihm fliegt auch die Fledermaus zuruͤcke.
Sie kam zu der verdienten Straffe,
Die Voͤgel machten ſie gantz nackt und bloß;
Sie gaben ihr manch harten Puff und Stoß.
Dazu ward ihr zur Buſſe das gegeben,
Sie ſollte Nachts ihr ſchaͤndlich Leben
Mit Speiſe zu verſorgen fliegen;
Des Tages ſollte ſie im Finſtern liegen.
XIII. Die
E 3
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[69/0069] des vierzehnten Jahrhunderts. XII. Der ſtreit der Voͤgel u. der Thiere. VOr dieſem iſt ein ſchwerer Streit geweſen, Darinnen kaum der zehnde Mann geneſen. Die Thiere foderten fuͤr ſich und ihr Geſchlecht Das Land, als ihr gebuͤhrend Recht. Gott, ſagten ſie, hat uns das Land gegeben, Auf dem wir ſollten gehn und leben; Und was es bringt und traͤgt gehoͤret uns zur Speiſe. Die Voͤgel ſprachen gleicherweiſe Das Erdreich an; die Erde nebſt der Luft; Die beyde waͤren nur fuͤr ſie gemacht. Fuͤr dieſe wollten ſie in einer ſtrengen Schlacht Jhr Leben an die Thiere wagen. Daher erhub ſich nun ein toͤdlich-ſchwerer Krieg. Man ſtritt mit Heldenmuth um Ehr, Beſitz und Rechte, Mit Schilde, Spieß u. Schwerdt, ſo Rittersleut als Knechte. Man jagt und ward gejagt, mit ungewiſſem Sieg; Bis daß ein groſſer Riß im Vogelheer geſchah. Sobald als dieß die Fledermaus erſah, Verließ ſie heimlich ihre Schaaren. Sie miſcht ſich unter die, die ihre Feinde waren. Sie folgt des feigen Hertzens Rath, Und flieht da man ſie noͤthig hat. Jnzwiſchen ſteht mit ſtuͤrmendem Gefieder Der Adler vor den Riß, ergaͤntzt die Luͤcke wieder. Er ſchrie die Voͤgel an, gab ihnen Hertz und Muth, Wie Ajax that, und noch ein kuͤhner thut. Sie wuͤrgten ihm mit ſcharffen Schnaͤbeln nach. Dadurch verkehret ſich des Krieges Gluͤcke, Es wendet ſich der Sieg von ſeiner Flucht. Mit ihm fliegt auch die Fledermaus zuruͤcke. Sie kam zu der verdienten Straffe, Die Voͤgel machten ſie gantz nackt und bloß; Sie gaben ihr manch harten Puff und Stoß. Dazu ward ihr zur Buſſe das gegeben, Sie ſollte Nachts ihr ſchaͤndlich Leben Mit Speiſe zu verſorgen fliegen; Des Tages ſollte ſie im Finſtern liegen. XIII. Die E 3

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/69>, abgerufen am 25.04.2024.