Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Mechanismo


Sinnliche Erzehlung
von der mechanischen
Verfertigung des deutschen
Original-Stückes von Cato.

JCh glaube nicht, daß es einer von unsern
Kunstlehrern in dem Mechanismo der Re-
geln höher gebracht habe, als der Hr. Prof.
Gottsched gethan hat. Er ist darinnen so weit
fortgegangen, daß seine Schüler des Naturelles,
der Erfindungs-Kraft, und dessen, was in Latein
Vivida vis animi genennt wird, keineswegs von-
nöthen haben, und sich statt des Verstandes mit
dem Gedächtniß, dem Wörterbuche, und der
Sprache behelffen können. Jhr Auge, ihre Hand
und ihr Ohr bekömmt bey Verfertigung eines Ge-
dichtes das meiste zu thun, der Kopf und das Hertz
haben gemeiniglich Ruhe. Daher werden die Gott-
schedischen Kunstregeln so brauchbar, daß ein je-
der, der nur Augen, Hände und Ohren hat, sich
ihrer bedienen kan. Was dieser kunstvolle Mann
gedacht und geschrieben hat, der Tragischen Poe-
sie bey den Deutschen die Bahn zu brechen, ist
insbesondere in Absicht auf diese mechanische Ge-
schicklichkeit und Leichtigkeit gantz ausnehmend,
und hat ihm bey allen seinen Verehrern den Nah-
men des grossen Beföderers der deutschen Schau-
bühne verdienet. Jch habe mir von seinen tragi-

schen
Von dem Mechaniſmo


Sinnliche Erzehlung
von der mechaniſchen
Verfertigung des deutſchen
Original-Stuͤckes von Cato.

JCh glaube nicht, daß es einer von unſern
Kunſtlehrern in dem Mechaniſmo der Re-
geln hoͤher gebracht habe, als der Hr. Prof.
Gottſched gethan hat. Er iſt darinnen ſo weit
fortgegangen, daß ſeine Schuͤler des Naturelles,
der Erfindungs-Kraft, und deſſen, was in Latein
Vivida vis animi genennt wird, keineswegs von-
noͤthen haben, und ſich ſtatt des Verſtandes mit
dem Gedaͤchtniß, dem Woͤrterbuche, und der
Sprache behelffen koͤnnen. Jhr Auge, ihre Hand
und ihr Ohr bekoͤmmt bey Verfertigung eines Ge-
dichtes das meiſte zu thun, der Kopf und das Hertz
haben gemeiniglich Ruhe. Daher werden die Gott-
ſchediſchen Kunſtregeln ſo brauchbar, daß ein je-
der, der nur Augen, Haͤnde und Ohren hat, ſich
ihrer bedienen kan. Was dieſer kunſtvolle Mann
gedacht und geſchrieben hat, der Tragiſchen Poe-
ſie bey den Deutſchen die Bahn zu brechen, iſt
insbeſondere in Abſicht auf dieſe mechaniſche Ge-
ſchicklichkeit und Leichtigkeit gantz ausnehmend,
und hat ihm bey allen ſeinen Verehrern den Nah-
men des groſſen Befoͤderers der deutſchen Schau-
buͤhne verdienet. Jch habe mir von ſeinen tragi-

ſchen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0080" n="80"/>
      <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von dem Mechani&#x017F;mo</hi> </fw><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Sinnliche Erzehlung</hi><lb/>
von der mechani&#x017F;chen<lb/>
Verfertigung des deut&#x017F;chen<lb/>
Original-Stu&#x0364;ckes von Cato.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">J</hi>Ch glaube nicht, daß es einer von un&#x017F;ern<lb/>
Kun&#x017F;tlehrern in dem <hi rendition="#aq">Mechani&#x017F;mo</hi> der Re-<lb/>
geln ho&#x0364;her gebracht habe, als der Hr. Prof.<lb/>
Gott&#x017F;ched gethan hat. Er i&#x017F;t darinnen &#x017F;o weit<lb/>
fortgegangen, daß &#x017F;eine Schu&#x0364;ler des Naturelles,<lb/>
der Erfindungs-Kraft, und de&#x017F;&#x017F;en, was in Latein<lb/><hi rendition="#aq">Vivida vis animi</hi> genennt wird, keineswegs von-<lb/>
no&#x0364;then haben, und &#x017F;ich &#x017F;tatt des Ver&#x017F;tandes mit<lb/>
dem Geda&#x0364;chtniß, dem Wo&#x0364;rterbuche, und der<lb/>
Sprache behelffen ko&#x0364;nnen. Jhr Auge, ihre Hand<lb/>
und ihr Ohr beko&#x0364;mmt bey Verfertigung eines Ge-<lb/>
dichtes das mei&#x017F;te zu thun, der Kopf und das Hertz<lb/>
haben gemeiniglich Ruhe. Daher werden die Gott-<lb/>
&#x017F;chedi&#x017F;chen Kun&#x017F;tregeln &#x017F;o brauchbar, daß ein je-<lb/>
der, der nur Augen, Ha&#x0364;nde und Ohren hat, &#x017F;ich<lb/>
ihrer bedienen kan. Was die&#x017F;er kun&#x017F;tvolle Mann<lb/>
gedacht und ge&#x017F;chrieben hat, der Tragi&#x017F;chen Poe-<lb/>
&#x017F;ie bey den Deut&#x017F;chen die Bahn zu brechen, i&#x017F;t<lb/>
insbe&#x017F;ondere in Ab&#x017F;icht auf die&#x017F;e mechani&#x017F;che Ge-<lb/>
&#x017F;chicklichkeit und Leichtigkeit gantz ausnehmend,<lb/>
und hat ihm bey allen &#x017F;einen Verehrern den Nah-<lb/>
men des gro&#x017F;&#x017F;en Befo&#x0364;derers der deut&#x017F;chen Schau-<lb/>
bu&#x0364;hne verdienet. Jch habe mir von &#x017F;einen tragi-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0080] Von dem Mechaniſmo Sinnliche Erzehlung von der mechaniſchen Verfertigung des deutſchen Original-Stuͤckes von Cato. JCh glaube nicht, daß es einer von unſern Kunſtlehrern in dem Mechaniſmo der Re- geln hoͤher gebracht habe, als der Hr. Prof. Gottſched gethan hat. Er iſt darinnen ſo weit fortgegangen, daß ſeine Schuͤler des Naturelles, der Erfindungs-Kraft, und deſſen, was in Latein Vivida vis animi genennt wird, keineswegs von- noͤthen haben, und ſich ſtatt des Verſtandes mit dem Gedaͤchtniß, dem Woͤrterbuche, und der Sprache behelffen koͤnnen. Jhr Auge, ihre Hand und ihr Ohr bekoͤmmt bey Verfertigung eines Ge- dichtes das meiſte zu thun, der Kopf und das Hertz haben gemeiniglich Ruhe. Daher werden die Gott- ſchediſchen Kunſtregeln ſo brauchbar, daß ein je- der, der nur Augen, Haͤnde und Ohren hat, ſich ihrer bedienen kan. Was dieſer kunſtvolle Mann gedacht und geſchrieben hat, der Tragiſchen Poe- ſie bey den Deutſchen die Bahn zu brechen, iſt insbeſondere in Abſicht auf dieſe mechaniſche Ge- ſchicklichkeit und Leichtigkeit gantz ausnehmend, und hat ihm bey allen ſeinen Verehrern den Nah- men des groſſen Befoͤderers der deutſchen Schau- buͤhne verdienet. Jch habe mir von ſeinen tragi- ſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/80
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/80>, abgerufen am 18.04.2024.