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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

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des vierzehnten Jahrhunderts.
VIII.
Die Tanne und der Dornstrauch.
DJe Tanne kam in Ubermuth,
Wie noch seithero mancher thut,
Der öfters dessen muß entgelten.
Sie fieng voll Stoltzes an, den Dornstrauch auszuschelten,
Der unter ihr so nah am Boden stuhnd.
Sie sprach: ich bin gantz lang und breit;
Mit Aesten bin ich wohl bekleidt.
Grün ist die Kleidung meiner Zweigen,
Den Wipfel sieht man Luft an steigen.
Mich lobt die Frau und auch ihr Mann.
Ohn' alles Lob sieht man dich an.
Du bist sonst zu nichts besserm gut,
Als in ein Feuer für die Glut.
Wer dich berührt der wird bald wund.
Dein Stachel ist gar ungesund,
Versehrt er eines Menschen Leib.
Dich haßt der Mann, und auch sein Weib.
Noch manch verächtlich Wort floß ihr vom Munde,
Und sehet, in derselben Stunde,
Kömmt unverwarnt ein Zimmermann,
Mit blanken Sagen, Aext' und Beilen,
Und scharfgeschliffnen harten Keilen.
Er braucht den starken Arm, und streckt sie auf den Plan
Der Dornstrauch stuhnd gantz sicher in dem Porte.
Derselbe sagt hiernächst zur Tanne diese Worte:
O wie bist du gefallen, stoltzer Baum!
Wie bald, wie tief, von welcher Höhe!
Da ich verachtester noch aufrecht stehe.
Dein Schmuck und deine Würdigkeit,
Dieselben thaten dir dies Leid.
Die Schönheit ists, was dir geschadet hat.
Nun ist dein Ruhm zu Boden und schachmatt. (a)
Wovon du dachtest zu genesen, (b)
Dasselbe ist dein Tod gewesen. (c)
Der
(a) Dinem rum ist geschehen matt.
(b) Davon du wandest sin genesen.
(c) Sich das ist din tod gewesen.
des vierzehnten Jahrhunderts.
VIII.
Die Tanne und der Dornſtrauch.
DJe Tanne kam in Ubermuth,
Wie noch ſeithero mancher thut,
Der oͤfters deſſen muß entgelten.
Sie fieng voll Stoltzes an, den Dornſtrauch auszuſchelten,
Der unter ihr ſo nah am Boden ſtuhnd.
Sie ſprach: ich bin gantz lang und breit;
Mit Aeſten bin ich wohl bekleidt.
Gruͤn iſt die Kleidung meiner Zweigen,
Den Wipfel ſieht man Luft an ſteigen.
Mich lobt die Frau und auch ihr Mann.
Ohn’ alles Lob ſieht man dich an.
Du biſt ſonſt zu nichts beſſerm gut,
Als in ein Feuer fuͤr die Glut.
Wer dich beruͤhrt der wird bald wund.
Dein Stachel iſt gar ungeſund,
Verſehrt er eines Menſchen Leib.
Dich haßt der Mann, und auch ſein Weib.
Noch manch veraͤchtlich Wort floß ihr vom Munde,
Und ſehet, in derſelben Stunde,
Koͤmmt unverwarnt ein Zimmermann,
Mit blanken Sagen, Aext’ und Beilen,
Und ſcharfgeſchliffnen harten Keilen.
Er braucht den ſtarken Arm, und ſtreckt ſie auf den Plan
Der Dornſtrauch ſtuhnd gantz ſicher in dem Porte.
Derſelbe ſagt hiernaͤchſt zur Tanne dieſe Worte:
O wie biſt du gefallen, ſtoltzer Baum!
Wie bald, wie tief, von welcher Hoͤhe!
Da ich verachteſter noch aufrecht ſtehe.
Dein Schmuck und deine Wuͤrdigkeit,
Dieſelben thaten dir dies Leid.
Die Schoͤnheit iſts, was dir geſchadet hat.
Nun iſt dein Ruhm zu Boden und ſchachmatt. (a)
Wovon du dachteſt zu geneſen, (b)
Daſſelbe iſt dein Tod geweſen. (c)
Der
(a) Dinem rum iſt geſchehen matt.
(b) Davon du wandeſt ſin geneſen.
(c) Sich das iſt din tod geweſen.
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[63/0063] des vierzehnten Jahrhunderts. VIII. Die Tanne und der Dornſtrauch. DJe Tanne kam in Ubermuth, Wie noch ſeithero mancher thut, Der oͤfters deſſen muß entgelten. Sie fieng voll Stoltzes an, den Dornſtrauch auszuſchelten, Der unter ihr ſo nah am Boden ſtuhnd. Sie ſprach: ich bin gantz lang und breit; Mit Aeſten bin ich wohl bekleidt. Gruͤn iſt die Kleidung meiner Zweigen, Den Wipfel ſieht man Luft an ſteigen. Mich lobt die Frau und auch ihr Mann. Ohn’ alles Lob ſieht man dich an. Du biſt ſonſt zu nichts beſſerm gut, Als in ein Feuer fuͤr die Glut. Wer dich beruͤhrt der wird bald wund. Dein Stachel iſt gar ungeſund, Verſehrt er eines Menſchen Leib. Dich haßt der Mann, und auch ſein Weib. Noch manch veraͤchtlich Wort floß ihr vom Munde, Und ſehet, in derſelben Stunde, Koͤmmt unverwarnt ein Zimmermann, Mit blanken Sagen, Aext’ und Beilen, Und ſcharfgeſchliffnen harten Keilen. Er braucht den ſtarken Arm, und ſtreckt ſie auf den Plan Der Dornſtrauch ſtuhnd gantz ſicher in dem Porte. Derſelbe ſagt hiernaͤchſt zur Tanne dieſe Worte: O wie biſt du gefallen, ſtoltzer Baum! Wie bald, wie tief, von welcher Hoͤhe! Da ich verachteſter noch aufrecht ſtehe. Dein Schmuck und deine Wuͤrdigkeit, Dieſelben thaten dir dies Leid. Die Schoͤnheit iſts, was dir geſchadet hat. Nun iſt dein Ruhm zu Boden und ſchachmatt. (a) Wovon du dachteſt zu geneſen, (b) Daſſelbe iſt dein Tod geweſen. (c) Der (a) Dinem rum iſt geſchehen matt. (b) Davon du wandeſt ſin geneſen. (c) Sich das iſt din tod geweſen.

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/63>, abgerufen am 19.04.2024.