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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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III. Die Turnierwaffen.


Was wir heute unter dem Worte "Turnier" verstehen, deckt nicht
vollständig den in früherer Zeit mit dem Worte verbundenen
Begriff, ja im Laufe der Jahrhunderte ist unter der Bezeichnung "Turnier"
nicht immer ein und derselbe Vorgang verstanden worden.

Unter der Bezeichnung Turnier (turney) verstehen wir allgemein
einen Waffengang im Frieden, ein Kampfspiel. Genau genommen
umfasst der Ausdruck aber ebensowohl einen Ernstkampf zwischen
einzelnen, ein sogenanntes "Gottesgericht", als auch einen ritterlichen
Waffengang zwischen Zweien nach bestimmten Regeln, in dem es
nicht so sehr darauf ankam, den Gegner zu gefährden, als vielmehr
die eigene Geschicklichkeit in der Führung der Waffe vor Augen zu
stellen. Immerhin empfiehlt es sich, der Verständlichkeit halber, für die
genannten Waffengänge die generelle Bezeichnung "Turnier" beizu-
behalten, wenn sie auch der Fachsprache nach nur ganz bestimmten
Übungen zukam.

Die Germania des Tacitus, das Beowulflied und die beiden
Edda enthalten die ältesten Andeutungen über die Liebhaberei der
Deutschen für Scheinkämpfe, ja es scheint sogar aus den Be-
merkungen des Tacitus (Kap. 24) hervorzugehen, dass die römischen
Kaiser durch diese Leidenschaft der Deutschen zur Einführung der
Gladiatorenkämpfe veranlasst wurden.

Auf diese altgermanische Streitlust geht auch der Ursprung der
Kampfspiele im Mittelalter zurück. Neithart, der Neffe Karls des
Grossen, erzählt (Lib. III.), wie 844 das Gefolge Ludwigs des Deutschen
und seines Bruders Karl sich in gleiche Scharen teilte und ein Schein-
gefecht lieferte, wobei auch die beiden Prinzen an der Spitze von
jungen Leuten selbst sich in den Streit mischten. Gottfried von
Preuilly
(gest. 1066) scheint der erste gewesen zu sein, der für
dieses Kampfspiel zwischen zwei Haufen eigene Regeln aufgestellt
hat. Anfänglich war dafür die Bezeichnung Buhurt üblich, während

III. Die Turnierwaffen.


Was wir heute unter dem Worte „Turnier“ verstehen, deckt nicht
vollständig den in früherer Zeit mit dem Worte verbundenen
Begriff, ja im Laufe der Jahrhunderte ist unter der Bezeichnung „Turnier“
nicht immer ein und derselbe Vorgang verstanden worden.

Unter der Bezeichnung Turnier (turney) verstehen wir allgemein
einen Waffengang im Frieden, ein Kampfspiel. Genau genommen
umfaſst der Ausdruck aber ebensowohl einen Ernstkampf zwischen
einzelnen, ein sogenanntes „Gottesgericht“, als auch einen ritterlichen
Waffengang zwischen Zweien nach bestimmten Regeln, in dem es
nicht so sehr darauf ankam, den Gegner zu gefährden, als vielmehr
die eigene Geschicklichkeit in der Führung der Waffe vor Augen zu
stellen. Immerhin empfiehlt es sich, der Verständlichkeit halber, für die
genannten Waffengänge die generelle Bezeichnung „Turnier“ beizu-
behalten, wenn sie auch der Fachsprache nach nur ganz bestimmten
Übungen zukam.

Die Germania des Tacitus, das Beowulflied und die beiden
Edda enthalten die ältesten Andeutungen über die Liebhaberei der
Deutschen für Scheinkämpfe, ja es scheint sogar aus den Be-
merkungen des Tacitus (Kap. 24) hervorzugehen, daſs die römischen
Kaiser durch diese Leidenschaft der Deutschen zur Einführung der
Gladiatorenkämpfe veranlaſst wurden.

Auf diese altgermanische Streitlust geht auch der Ursprung der
Kampfspiele im Mittelalter zurück. Neithart, der Neffe Karls des
Groſsen, erzählt (Lib. III.), wie 844 das Gefolge Ludwigs des Deutschen
und seines Bruders Karl sich in gleiche Scharen teilte und ein Schein-
gefecht lieferte, wobei auch die beiden Prinzen an der Spitze von
jungen Leuten selbst sich in den Streit mischten. Gottfried von
Preuilly
(gest. 1066) scheint der erste gewesen zu sein, der für
dieses Kampfspiel zwischen zwei Haufen eigene Regeln aufgestellt
hat. Anfänglich war dafür die Bezeichnung Buhurt üblich, während

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. [517]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/535>, abgerufen am 19.04.2024.