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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen.
3. Stock des White Tower übertragen, wo sie nun in dem sogenannten
"Council Chamber" und einem anstossenden Zimmer aufgestellt sind.
Im Jahre 1885 fand an der von der St. Johannes-Kapelle zur Waffen-
sammlung führenden Treppe die bekannte Dynamitexplosion statt,
welche aber der Sammlung nur geringen Schaden zufügte.

Die Waffensammlung des Towers gehört, wie erwähnt, zu den
reichhaltigsten und wertvollsten, die es gibt. Als museale Anstalt hat
sie durch Llelewin Meyrik ihre Würdigung gefunden, ihre Aufstellung
aber ist noch nach romantischen Anschauungen erfolgt, wie denn auch
nicht hierher gehörige kulturgeschichtliche Objekte, als Folterwerkzeuge
u. dgl., darin aufgenommen sind. Eine grosse Bedeutung besitzt die
Sammlung wegen ihrer zahlreichen Harnische und Waffen aus dem
15. Jahrhundert; aber auch das 16. Jahrhundert ist in schönen und
interessanten Gegenständen vertreten. Nicht minder erwähnenswert
sind die orientalischen Waffen, eine Spezialsammlung, die nur von
der kaiserlichen Sammlung in Tsarskoe-Selo übertroffen wird; ferner
die Sammlung alter Geschütze, die ausserhalb des weissen Towers
aufgestellt ist.

Über die Anzahl der Stücke sind keine Daten bekannt geworden,
doch dürfte sie sich auf nicht ganz 6000 belaufen, wobei freilich
manches unzugehörige mit unterläuft und auch moderne Waffen in-
begriffen sind. Der Organisator war bemüht, ein Bild der Kriegs-
trachten von der Zeit Eduards I. (1272!) bis auf Jacob II. (1688)
vor Augen zu stellen, eine Idee, die schlechterdings Nachbildungen
nötig machen und zu mancherlei gewaltsamen Zusammenstellungen
führen musste. Die Zuschreibungen an bestimmte Personen sind nur
von äusseren Merkmalen hergeleitet und deshalb, von dem waffen-
wissenschaftlichen und künstlerischen Werte abgesehen, nicht immer über
jeden Zweifel erhaben. Dem Studium bietet die Sammlung im Tower
ein weites und sehr wenig bebautes Feld, der sorgfältigen Betrachtung
des Liebhabers sollte sie nicht entgehen.

9. Die Armeria Real zu Madrid.

Die Armeria Real ist, gleich der Hof-Waffensammlung zu Wien,
nicht aus einer gewöhnlichen Zeugkammer, sondern aus den Waffen-
kammern habsburgischer Fürsten erwachsen. Ihren Grundstock bilden
die Harnische und Waffen Karls V., von denen ein Teil in Simancas,
ein anderer zu Valladolid bewahrt wurde. Vierzehn der schönsten
Leibharnische mit anderen auserlesenen Waffenstücken hatte der
kranke Kaiser mit sich in das Kloster zu San Yuste genommen.

Im Jahre 1565 ordnete König Philipp II. die Übertragung der
sämtlichen Waffen aus den genannten Orten nach Madrid an und
liess zu deren Unterbringung gegenüber dem königlichen Palaste, an

VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen.
3. Stock des White Tower übertragen, wo sie nun in dem sogenannten
„Council Chamber“ und einem anstoſsenden Zimmer aufgestellt sind.
Im Jahre 1885 fand an der von der St. Johannes-Kapelle zur Waffen-
sammlung führenden Treppe die bekannte Dynamitexplosion statt,
welche aber der Sammlung nur geringen Schaden zufügte.

Die Waffensammlung des Towers gehört, wie erwähnt, zu den
reichhaltigsten und wertvollsten, die es gibt. Als museale Anstalt hat
sie durch Llelewin Meyrik ihre Würdigung gefunden, ihre Aufstellung
aber ist noch nach romantischen Anschauungen erfolgt, wie denn auch
nicht hierher gehörige kulturgeschichtliche Objekte, als Folterwerkzeuge
u. dgl., darin aufgenommen sind. Eine groſse Bedeutung besitzt die
Sammlung wegen ihrer zahlreichen Harnische und Waffen aus dem
15. Jahrhundert; aber auch das 16. Jahrhundert ist in schönen und
interessanten Gegenständen vertreten. Nicht minder erwähnenswert
sind die orientalischen Waffen, eine Spezialsammlung, die nur von
der kaiserlichen Sammlung in Tsarskoe-Selo übertroffen wird; ferner
die Sammlung alter Geschütze, die auſserhalb des weiſsen Towers
aufgestellt ist.

Über die Anzahl der Stücke sind keine Daten bekannt geworden,
doch dürfte sie sich auf nicht ganz 6000 belaufen, wobei freilich
manches unzugehörige mit unterläuft und auch moderne Waffen in-
begriffen sind. Der Organisator war bemüht, ein Bild der Kriegs-
trachten von der Zeit Eduards I. (1272!) bis auf Jacob II. (1688)
vor Augen zu stellen, eine Idee, die schlechterdings Nachbildungen
nötig machen und zu mancherlei gewaltsamen Zusammenstellungen
führen muſste. Die Zuschreibungen an bestimmte Personen sind nur
von äuſseren Merkmalen hergeleitet und deshalb, von dem waffen-
wissenschaftlichen und künstlerischen Werte abgesehen, nicht immer über
jeden Zweifel erhaben. Dem Studium bietet die Sammlung im Tower
ein weites und sehr wenig bebautes Feld, der sorgfältigen Betrachtung
des Liebhabers sollte sie nicht entgehen.

9. Die Armeria Real zu Madrid.

Die Armeria Real ist, gleich der Hof-Waffensammlung zu Wien,
nicht aus einer gewöhnlichen Zeugkammer, sondern aus den Waffen-
kammern habsburgischer Fürsten erwachsen. Ihren Grundstock bilden
die Harnische und Waffen Karls V., von denen ein Teil in Simancas,
ein anderer zu Valladolid bewahrt wurde. Vierzehn der schönsten
Leibharnische mit anderen auserlesenen Waffenstücken hatte der
kranke Kaiser mit sich in das Kloster zu San Yuste genommen.

Im Jahre 1565 ordnete König Philipp II. die Übertragung der
sämtlichen Waffen aus den genannten Orten nach Madrid an und
lieſs zu deren Unterbringung gegenüber dem königlichen Palaste, an

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[628/0646] VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. 3. Stock des White Tower übertragen, wo sie nun in dem sogenannten „Council Chamber“ und einem anstoſsenden Zimmer aufgestellt sind. Im Jahre 1885 fand an der von der St. Johannes-Kapelle zur Waffen- sammlung führenden Treppe die bekannte Dynamitexplosion statt, welche aber der Sammlung nur geringen Schaden zufügte. Die Waffensammlung des Towers gehört, wie erwähnt, zu den reichhaltigsten und wertvollsten, die es gibt. Als museale Anstalt hat sie durch Llelewin Meyrik ihre Würdigung gefunden, ihre Aufstellung aber ist noch nach romantischen Anschauungen erfolgt, wie denn auch nicht hierher gehörige kulturgeschichtliche Objekte, als Folterwerkzeuge u. dgl., darin aufgenommen sind. Eine groſse Bedeutung besitzt die Sammlung wegen ihrer zahlreichen Harnische und Waffen aus dem 15. Jahrhundert; aber auch das 16. Jahrhundert ist in schönen und interessanten Gegenständen vertreten. Nicht minder erwähnenswert sind die orientalischen Waffen, eine Spezialsammlung, die nur von der kaiserlichen Sammlung in Tsarskoe-Selo übertroffen wird; ferner die Sammlung alter Geschütze, die auſserhalb des weiſsen Towers aufgestellt ist. Über die Anzahl der Stücke sind keine Daten bekannt geworden, doch dürfte sie sich auf nicht ganz 6000 belaufen, wobei freilich manches unzugehörige mit unterläuft und auch moderne Waffen in- begriffen sind. Der Organisator war bemüht, ein Bild der Kriegs- trachten von der Zeit Eduards I. (1272!) bis auf Jacob II. (1688) vor Augen zu stellen, eine Idee, die schlechterdings Nachbildungen nötig machen und zu mancherlei gewaltsamen Zusammenstellungen führen muſste. Die Zuschreibungen an bestimmte Personen sind nur von äuſseren Merkmalen hergeleitet und deshalb, von dem waffen- wissenschaftlichen und künstlerischen Werte abgesehen, nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Dem Studium bietet die Sammlung im Tower ein weites und sehr wenig bebautes Feld, der sorgfältigen Betrachtung des Liebhabers sollte sie nicht entgehen. 9. Die Armeria Real zu Madrid. Die Armeria Real ist, gleich der Hof-Waffensammlung zu Wien, nicht aus einer gewöhnlichen Zeugkammer, sondern aus den Waffen- kammern habsburgischer Fürsten erwachsen. Ihren Grundstock bilden die Harnische und Waffen Karls V., von denen ein Teil in Simancas, ein anderer zu Valladolid bewahrt wurde. Vierzehn der schönsten Leibharnische mit anderen auserlesenen Waffenstücken hatte der kranke Kaiser mit sich in das Kloster zu San Yuste genommen. Im Jahre 1565 ordnete König Philipp II. die Übertragung der sämtlichen Waffen aus den genannten Orten nach Madrid an und lieſs zu deren Unterbringung gegenüber dem königlichen Palaste, an

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/646>, abgerufen am 28.03.2024.