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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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C redo, -- quia absurdum!

Ich glaube es, weil es sinnlos ist!

Du kennst den alten Glaubenssatz, in dem die Menschheit
solange ihre uralte Wiegeninschrift gesehen hat: der Mensch
ist von Gott geschaffen worden so, wie er ist. Da stand er
eines Tages, nackt auf grünem Plan, -- mit all seinen Vor¬
zügen und Fehlern in der nackten Seele und dem nackten Leib.
So lieblich gerade ob ihrer Schlichtheit diese Legende klingt, --
für mich hat sie immer etwas Dämonisches gehabt.

Wenn ich heute noch an sie buchstäblich glaubte, mit dem
naiven Sinn des Kindes, so läge für mich jetzt, als reifen
Mann im vierzigsten Lebensjahr, ein Zug, eine Stimmung
darin, die mich mahnen könnten, in die Wüste zu ziehen. Als
Anachoret in die Sandöde und Steinöde. Wo die Sonne
glüht und glüht, ohne Schatten, ohne Quell. Und wo der
Einsiedler alles hinter sich auslöscht wie einen irren Traum.
Tausende haben es so gemacht, als dieser und verwandter Glaube
einst wirklich lebendig die Menschenherzen durchschauerte und
nicht bloß von Glaubenspapageien nachgeplappert wurde. Sie
glaubten -- und resignierten. Und zogen in die Wüste. Und
ließen die unerbittliche Scheitelsonne ihr Gehirn dörren. Sie
hatten den Glauben, sie wußten was die Welt war. Aber sie


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C redo, — quia absurdum!

Ich glaube es, weil es ſinnlos iſt!

Du kennſt den alten Glaubensſatz, in dem die Menſchheit
ſolange ihre uralte Wiegeninſchrift geſehen hat: der Menſch
iſt von Gott geſchaffen worden ſo, wie er iſt. Da ſtand er
eines Tages, nackt auf grünem Plan, — mit all ſeinen Vor¬
zügen und Fehlern in der nackten Seele und dem nackten Leib.
So lieblich gerade ob ihrer Schlichtheit dieſe Legende klingt, —
für mich hat ſie immer etwas Dämoniſches gehabt.

Wenn ich heute noch an ſie buchſtäblich glaubte, mit dem
naiven Sinn des Kindes, ſo läge für mich jetzt, als reifen
Mann im vierzigſten Lebensjahr, ein Zug, eine Stimmung
darin, die mich mahnen könnten, in die Wüſte zu ziehen. Als
Anachoret in die Sandöde und Steinöde. Wo die Sonne
glüht und glüht, ohne Schatten, ohne Quell. Und wo der
Einſiedler alles hinter ſich auslöſcht wie einen irren Traum.
Tauſende haben es ſo gemacht, als dieſer und verwandter Glaube
einſt wirklich lebendig die Menſchenherzen durchſchauerte und
nicht bloß von Glaubenſpapageien nachgeplappert wurde. Sie
glaubten — und reſignierten. Und zogen in die Wüſte. Und
ließen die unerbittliche Scheitelſonne ihr Gehirn dörren. Sie
hatten den Glauben, ſie wußten was die Welt war. Aber ſie

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[165/0181] [Abbildung] C redo, — quia absurdum! Ich glaube es, weil es ſinnlos iſt! Du kennſt den alten Glaubensſatz, in dem die Menſchheit ſolange ihre uralte Wiegeninſchrift geſehen hat: der Menſch iſt von Gott geſchaffen worden ſo, wie er iſt. Da ſtand er eines Tages, nackt auf grünem Plan, — mit all ſeinen Vor¬ zügen und Fehlern in der nackten Seele und dem nackten Leib. So lieblich gerade ob ihrer Schlichtheit dieſe Legende klingt, — für mich hat ſie immer etwas Dämoniſches gehabt. Wenn ich heute noch an ſie buchſtäblich glaubte, mit dem naiven Sinn des Kindes, ſo läge für mich jetzt, als reifen Mann im vierzigſten Lebensjahr, ein Zug, eine Stimmung darin, die mich mahnen könnten, in die Wüſte zu ziehen. Als Anachoret in die Sandöde und Steinöde. Wo die Sonne glüht und glüht, ohne Schatten, ohne Quell. Und wo der Einſiedler alles hinter ſich auslöſcht wie einen irren Traum. Tauſende haben es ſo gemacht, als dieſer und verwandter Glaube einſt wirklich lebendig die Menſchenherzen durchſchauerte und nicht bloß von Glaubenſpapageien nachgeplappert wurde. Sie glaubten — und reſignierten. Und zogen in die Wüſte. Und ließen die unerbittliche Scheitelſonne ihr Gehirn dörren. Sie hatten den Glauben, ſie wußten was die Welt war. Aber ſie

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/181>, abgerufen am 29.03.2024.