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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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suchten als Symbol die Zelle des verschmachtenden Einsiedlers
in der Wüste. Als Symbol der Gedankenwüste. Und der
verdorrte Mund betete mechanisch: credo, credo, -- credo
quia absurdum .....

Wenn ich mir sagen sollte, daß dieser Mensch auch in
seiner Liebe also gleich so geschaffen wurde. Als Mann und
Weib, mit all den uns gegebenen Notwendigkeiten. Und daß
dieser Mensch die Krone der Schöpfung sein sollte, als er
geschaffen wurde. Mich ergriffe eine dumpfe, lähmende Ver¬
zweiflung über die vollkommene, bleischwere Unbegreiflichkeit
dieser Dinge. Ein Kind kann das nicht fühlen und darum
mag es von jenem Glauben nur das Liebliche empfinden.
Aber ein Mann von vierzig Jahren, der dieses Menschenleben
auch nur an der Küste befahren hat, -- er muß es fühlen.
Welche ungeheuerlichen Thatsachen der Liebe aus allen drei
Liebesgebieten werden ihm zugemutet, die er also schweigend
hinnehmen soll ohne eine andere Erklärung, als daß es so
die Absicht Gottes war bei Erschaffung seiner Krone alles
Weltenseins!

Sagen wir, die Fortpflanzung des Menschen sei an sich
etwas von Beginn an Eingesetztes. Es soll die Menschheit
nach Gottes Wille nur so bestehen können, daß immer wieder
diese kleine männliche Samenzelle sich mischt mit der weiblichen
Eizelle und daß aus dieser Mischung das neue Menschenkind
aufsproßt. Streng genommen hat selbst das schon keine noch so
scharfsinnige Theodicee der Jahrtausende logisch erklären
können. Aber es mochte wenigstens etwas Tröstliches darin
sein, das einer dunkeln Ahnung von Logik nahe kam. Der
einzelne Mensch, verantwortlich für seine Erdenthaten von Gott
gemacht, hatte genug Mühe mit seinem Gang auf der Schärfe
eines Messers zwischen Sünde und Heil in den Jahren seines
Lebens. Es war ihm zu gönnen, daß diese Jahre eng um¬
grenzt waren, daß dieses Pilgerleben hier nicht ewig dauerte,
sondern daß sehr schnell der Vorhang wieder darüber fiel und

ſuchten als Symbol die Zelle des verſchmachtenden Einſiedlers
in der Wüſte. Als Symbol der Gedankenwüſte. Und der
verdorrte Mund betete mechaniſch: credo, credo, — credo
quia absurdum .....

Wenn ich mir ſagen ſollte, daß dieſer Menſch auch in
ſeiner Liebe alſo gleich ſo geſchaffen wurde. Als Mann und
Weib, mit all den uns gegebenen Notwendigkeiten. Und daß
dieſer Menſch die Krone der Schöpfung ſein ſollte, als er
geſchaffen wurde. Mich ergriffe eine dumpfe, lähmende Ver¬
zweiflung über die vollkommene, bleiſchwere Unbegreiflichkeit
dieſer Dinge. Ein Kind kann das nicht fühlen und darum
mag es von jenem Glauben nur das Liebliche empfinden.
Aber ein Mann von vierzig Jahren, der dieſes Menſchenleben
auch nur an der Küſte befahren hat, — er muß es fühlen.
Welche ungeheuerlichen Thatſachen der Liebe aus allen drei
Liebesgebieten werden ihm zugemutet, die er alſo ſchweigend
hinnehmen ſoll ohne eine andere Erklärung, als daß es ſo
die Abſicht Gottes war bei Erſchaffung ſeiner Krone alles
Weltenſeins!

Sagen wir, die Fortpflanzung des Menſchen ſei an ſich
etwas von Beginn an Eingeſetztes. Es ſoll die Menſchheit
nach Gottes Wille nur ſo beſtehen können, daß immer wieder
dieſe kleine männliche Samenzelle ſich miſcht mit der weiblichen
Eizelle und daß aus dieſer Miſchung das neue Menſchenkind
aufſproßt. Streng genommen hat ſelbſt das ſchon keine noch ſo
ſcharfſinnige Theodicee der Jahrtauſende logiſch erklären
können. Aber es mochte wenigſtens etwas Tröſtliches darin
ſein, das einer dunkeln Ahnung von Logik nahe kam. Der
einzelne Menſch, verantwortlich für ſeine Erdenthaten von Gott
gemacht, hatte genug Mühe mit ſeinem Gang auf der Schärfe
eines Meſſers zwiſchen Sünde und Heil in den Jahren ſeines
Lebens. Es war ihm zu gönnen, daß dieſe Jahre eng um¬
grenzt waren, daß dieſes Pilgerleben hier nicht ewig dauerte,
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[166/0182] ſuchten als Symbol die Zelle des verſchmachtenden Einſiedlers in der Wüſte. Als Symbol der Gedankenwüſte. Und der verdorrte Mund betete mechaniſch: credo, credo, — credo quia absurdum ..... Wenn ich mir ſagen ſollte, daß dieſer Menſch auch in ſeiner Liebe alſo gleich ſo geſchaffen wurde. Als Mann und Weib, mit all den uns gegebenen Notwendigkeiten. Und daß dieſer Menſch die Krone der Schöpfung ſein ſollte, als er geſchaffen wurde. Mich ergriffe eine dumpfe, lähmende Ver¬ zweiflung über die vollkommene, bleiſchwere Unbegreiflichkeit dieſer Dinge. Ein Kind kann das nicht fühlen und darum mag es von jenem Glauben nur das Liebliche empfinden. Aber ein Mann von vierzig Jahren, der dieſes Menſchenleben auch nur an der Küſte befahren hat, — er muß es fühlen. Welche ungeheuerlichen Thatſachen der Liebe aus allen drei Liebesgebieten werden ihm zugemutet, die er alſo ſchweigend hinnehmen ſoll ohne eine andere Erklärung, als daß es ſo die Abſicht Gottes war bei Erſchaffung ſeiner Krone alles Weltenſeins! Sagen wir, die Fortpflanzung des Menſchen ſei an ſich etwas von Beginn an Eingeſetztes. Es ſoll die Menſchheit nach Gottes Wille nur ſo beſtehen können, daß immer wieder dieſe kleine männliche Samenzelle ſich miſcht mit der weiblichen Eizelle und daß aus dieſer Miſchung das neue Menſchenkind aufſproßt. Streng genommen hat ſelbſt das ſchon keine noch ſo ſcharfſinnige Theodicee der Jahrtauſende logiſch erklären können. Aber es mochte wenigſtens etwas Tröſtliches darin ſein, das einer dunkeln Ahnung von Logik nahe kam. Der einzelne Menſch, verantwortlich für ſeine Erdenthaten von Gott gemacht, hatte genug Mühe mit ſeinem Gang auf der Schärfe eines Meſſers zwiſchen Sünde und Heil in den Jahren ſeines Lebens. Es war ihm zu gönnen, daß dieſe Jahre eng um¬ grenzt waren, daß dieſes Pilgerleben hier nicht ewig dauerte, ſondern daß ſehr ſchnell der Vorhang wieder darüber fiel und

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/182>, abgerufen am 29.03.2024.