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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Äonen des Naturforschers, der das Licht eines Sternes durch
den uferlosen Raum rinnen läßt, Billionen und Trillionen
Jahre lang, -- und dich umschauert das alte Wort in neuer
Prägung: "Die Liebe höret nimmer auf." Auch sie wandert
wie jenes Sternenlicht, in jenem "Nimmer" erobert sie die
Raumtiefe wie die Zeitenfernen, rechts und links, vorwärts
und rückwärts. Der Pessimist sagt: alles ist aus. Ich sage
mit dem gleichen Recht: alles ist Liebe.

[Abbildung]

In solchen Gedankengängen endlich versöhnt sich das Bild
des Waldschratts, mit dem die wilde Sinnenliebe aus der Tier¬
heit bricht, mit der keuschen Liebesmutter in ihrer Lotosblume
und mit der Lichtgestalt, die als Liebeskönigin hehr vergeistigt
über den Wolken schwebt.

Es ist die Wallfahrt eines Ideals, dieser ungeheure
Roman des Liebeslebens in der Natur, mit all seinem Wahn¬
sinn, seinen Schmerzen, seinen Brutalitäten.

Und in diesem höchsten Sinne tönt aus all seinen Melo¬
dien das eine größte Wort, das mehr ist als Liebe -- das
Schöpferwort, das Welten gebaut hat und aus Welten bessere
Welten baut, das Triumphwort aller Erfüllung und das stille
Resignationswort zugleich aller zeitlichen Beschränkung im engen
Kämmerlein:

Sehnsucht

Spamersche Buchdruckerei, Leipzig.

Äonen des Naturforſchers, der das Licht eines Sternes durch
den uferloſen Raum rinnen läßt, Billionen und Trillionen
Jahre lang, — und dich umſchauert das alte Wort in neuer
Prägung: „Die Liebe höret nimmer auf.“ Auch ſie wandert
wie jenes Sternenlicht, in jenem „Nimmer“ erobert ſie die
Raumtiefe wie die Zeitenfernen, rechts und links, vorwärts
und rückwärts. Der Peſſimiſt ſagt: alles iſt aus. Ich ſage
mit dem gleichen Recht: alles iſt Liebe.

[Abbildung]

In ſolchen Gedankengängen endlich verſöhnt ſich das Bild
des Waldſchratts, mit dem die wilde Sinnenliebe aus der Tier¬
heit bricht, mit der keuſchen Liebesmutter in ihrer Lotosblume
und mit der Lichtgeſtalt, die als Liebeskönigin hehr vergeiſtigt
über den Wolken ſchwebt.

Es iſt die Wallfahrt eines Ideals, dieſer ungeheure
Roman des Liebeslebens in der Natur, mit all ſeinem Wahn¬
ſinn, ſeinen Schmerzen, ſeinen Brutalitäten.

Und in dieſem höchſten Sinne tönt aus all ſeinen Melo¬
dien das eine größte Wort, das mehr iſt als Liebe — das
Schöpferwort, das Welten gebaut hat und aus Welten beſſere
Welten baut, das Triumphwort aller Erfüllung und das ſtille
Reſignationswort zugleich aller zeitlichen Beſchränkung im engen
Kämmerlein:

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Spamerſche Buchdruckerei, Leipzig.

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[0387] Äonen des Naturforſchers, der das Licht eines Sternes durch den uferloſen Raum rinnen läßt, Billionen und Trillionen Jahre lang, — und dich umſchauert das alte Wort in neuer Prägung: „Die Liebe höret nimmer auf.“ Auch ſie wandert wie jenes Sternenlicht, in jenem „Nimmer“ erobert ſie die Raumtiefe wie die Zeitenfernen, rechts und links, vorwärts und rückwärts. Der Peſſimiſt ſagt: alles iſt aus. Ich ſage mit dem gleichen Recht: alles iſt Liebe. [Abbildung] In ſolchen Gedankengängen endlich verſöhnt ſich das Bild des Waldſchratts, mit dem die wilde Sinnenliebe aus der Tier¬ heit bricht, mit der keuſchen Liebesmutter in ihrer Lotosblume und mit der Lichtgeſtalt, die als Liebeskönigin hehr vergeiſtigt über den Wolken ſchwebt. Es iſt die Wallfahrt eines Ideals, dieſer ungeheure Roman des Liebeslebens in der Natur, mit all ſeinem Wahn¬ ſinn, ſeinen Schmerzen, ſeinen Brutalitäten. Und in dieſem höchſten Sinne tönt aus all ſeinen Melo¬ dien das eine größte Wort, das mehr iſt als Liebe — das Schöpferwort, das Welten gebaut hat und aus Welten beſſere Welten baut, das Triumphwort aller Erfüllung und das ſtille Reſignationswort zugleich aller zeitlichen Beſchränkung im engen Kämmerlein: Sehnſucht Spamerſche Buchdruckerei, Leipzig.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/387>, abgerufen am 24.04.2024.