Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

Verlag von Eugen Diederichs in Leipzig
Mathieu Schwann. Liebe. Allem starken Leben Preis

und Gruß. Mit Buchschmuck von Fritz Schumacher. Preis

brosch. Mk. 5.-, geb. Mk. 6.-.

Med. Chir. Centralblatt: Ein Buch der Barmherzigkeit, und heißer Lebensfreude
voll. Es geht dem Leser in stillen Stunden nach, verwächst langsam mit ihm. Es ist das
Werk eines Mannes und eines grundgütigen Menschen. Der Gelehrte, der Philosoph,
der Dichter haben es gleicher Teile ausgebaut, und doch ist es schlicht geblieben. So
mögen sie in der humanistischen Zeit des 18. Jahrhunderts gedacht haben, die großen
Denker unserer Nation, als sie noch in der Kleinstadt gehaust, in der halb ländlichen
Kleinstadt, der Scholle verbunden, aus der sie die goldenen Fäden ihrer Ewigkeits¬
träume gruben. Erdduft quillt aus dem Buche und der warme Hauch der Gesundheit.
So aller Künsteleien bar und jedes Raffinements, daß man das Zeitalter der "Reiz¬
samkeit" weit hinter sich glaubt. Und vor sich eine neue Jugend. Ob es gleich kein
Propagandabuch ist und nur feineren Sinnen seine Gnaden spendet ... "Dem
starken Leben Preis und Gruß" ist sein Motto und die "Liebe", die es meint, nicht
duckmäuserisch. Sondern es rollt das Leben auf, wie wir es kennen, und wendet es
um gleich einem kostbaren Teppich, der lange verstäubt unter halbvergessenen Antiqui¬
täten gelegen. Und wir werden gewahr, daß wir bisher nur die Reversseite gekannt
-- mit halb gerissenen Fäden und dichten Strähnen, darein sich der Staub vieler
Jahrzehnte gelegt. Bis sich die Bildseite ausweist -- glühender Farben voll und von
eitel Gold umstarrt. Darauf abgemalt ein Frühling, wie wir keinen noch geschaut
seit den Tagen der ersten, licht-influenzierten, licht-faszinierten, licht-berauschten
Kinderzeit: mit einer heißeren Sonne, als die Erwachsenen, die Klugen sie kennen,
und mit blutigeren Rosen, als sie je an Frauenbrust veratmeten. Das ist das Paradies,
darin die unverbrauchten Menschen wohnen. Die Liebe ist der Schlüssel zu
seinen Pforten, und Jugend und Alter haben gleiches Recht zum Eintritt. Das Buch
gliedert sich in kurze, von einander unabhängige Kapitel: Betrachtungen, Erzählungen,
Gleichnisse füllen sie aus. Es ist die Form von Maeterlincks "Weisheit und Schicksal".
Es ist wenig von der schwülen Erotik der Modernen darin zu finden und sehr viel

von den gesunden Instinkten kräftiger, unkomplizierter Alltagsmenschen. ......

Und nicht bloß die Geschlechtsliebe hat in diesem Buche ihren hohen Sänger
gefunden, sondern alle die Bande, die Menschen verknüpfen und im ewig Fließenden
ein Stetes aufzurichten vermögen: Alles, was zum Leben drängt, Alles, was da
Leben schafft, Alles, was des Lebens genießt. Er preist die Kinder: hier blitzt der
Schöpferdrang auf; die Greise: dort naht er sich dem Erlöschen. "Denn Alter und
Jugend stehen jenen Wendezonen am nächsten, in denen die Unfruchtbarkeit herrscht ....
Wo Du die Selbstsucht im Alter entdeckst, sicher kannst Du sein: Der Mensch hat
sein Leben versäumt. Ein Greuel ist mir dieser Anblick. Und wo Du das Weh der
Entsagung von jugendlichem Antlitz dämmern siehst, wo du sie findest, bevor das
Alter den Menschen schmerzlos zur Entsagung führte, sicher kannst Du sein: Ein
Menschenleben ward da verdorben von Anfang an." Ich müßte das ganze Buch aus¬
schreiben, um einen annähernden Begriff von seinem Zauber zu geben. Es ist ein
Bund von Kraft und Durchgeistigung, dergleichen allzeit seinen Seltenheitswert haben
wird. Es ist nur eine Saite, darauf ein Meister spielt; aber sein Spiel ist aller
Wunder voll. Das Nachwort meldet, daß das Werk am Todestage von Schwanns
90jährigem Vater vollendet ward: Nun denn, am Bette eines Sterbenden geschaffen,
bejaht es das Leben. Besseres weiß ich zu seinem Lobe nicht zu sagen.

Dr. Oswald Kern.

Verlag von Eugen Diederichs in Leipzig
Mathieu Schwann. Liebe. Allem ſtarken Leben Preis

und Gruß. Mit Buchſchmuck von Fritz Schumacher. Preis

broſch. Mk. 5.–, geb. Mk. 6.–.

Med. Chir. Centralblatt: Ein Buch der Barmherzigkeit, und heißer Lebensfreude
voll. Es geht dem Leſer in ſtillen Stunden nach, verwächſt langſam mit ihm. Es iſt das
Werk eines Mannes und eines grundgütigen Menſchen. Der Gelehrte, der Philoſoph,
der Dichter haben es gleicher Teile ausgebaut, und doch iſt es ſchlicht geblieben. So
mögen ſie in der humaniſtiſchen Zeit des 18. Jahrhunderts gedacht haben, die großen
Denker unſerer Nation, als ſie noch in der Kleinſtadt gehauſt, in der halb ländlichen
Kleinſtadt, der Scholle verbunden, aus der ſie die goldenen Fäden ihrer Ewigkeits¬
träume gruben. Erdduft quillt aus dem Buche und der warme Hauch der Geſundheit.
So aller Künſteleien bar und jedes Raffinements, daß man das Zeitalter der „Reiz¬
ſamkeit“ weit hinter ſich glaubt. Und vor ſich eine neue Jugend. Ob es gleich kein
Propagandabuch iſt und nur feineren Sinnen ſeine Gnaden ſpendet ... „Dem
ſtarken Leben Preis und Gruß“ iſt ſein Motto und die „Liebe“, die es meint, nicht
duckmäuſeriſch. Sondern es rollt das Leben auf, wie wir es kennen, und wendet es
um gleich einem koſtbaren Teppich, der lange verſtäubt unter halbvergeſſenen Antiqui¬
täten gelegen. Und wir werden gewahr, daß wir bisher nur die Reversſeite gekannt
— mit halb geriſſenen Fäden und dichten Strähnen, darein ſich der Staub vieler
Jahrzehnte gelegt. Bis ſich die Bildſeite ausweiſt — glühender Farben voll und von
eitel Gold umſtarrt. Darauf abgemalt ein Frühling, wie wir keinen noch geſchaut
ſeit den Tagen der erſten, licht-influenzierten, licht-faszinierten, licht-berauſchten
Kinderzeit: mit einer heißeren Sonne, als die Erwachſenen, die Klugen ſie kennen,
und mit blutigeren Roſen, als ſie je an Frauenbruſt veratmeten. Das iſt das Paradies,
darin die unverbrauchten Menſchen wohnen. Die Liebe iſt der Schlüſſel zu
ſeinen Pforten, und Jugend und Alter haben gleiches Recht zum Eintritt. Das Buch
gliedert ſich in kurze, von einander unabhängige Kapitel: Betrachtungen, Erzählungen,
Gleichniſſe füllen ſie aus. Es iſt die Form von Maeterlincks „Weisheit und Schickſal“.
Es iſt wenig von der ſchwülen Erotik der Modernen darin zu finden und ſehr viel

von den geſunden Inſtinkten kräftiger, unkomplizierter Alltagsmenſchen. ......

Und nicht bloß die Geſchlechtsliebe hat in dieſem Buche ihren hohen Sänger
gefunden, ſondern alle die Bande, die Menſchen verknüpfen und im ewig Fließenden
ein Stetes aufzurichten vermögen: Alles, was zum Leben drängt, Alles, was da
Leben ſchafft, Alles, was des Lebens genießt. Er preiſt die Kinder: hier blitzt der
Schöpferdrang auf; die Greiſe: dort naht er ſich dem Erlöſchen. „Denn Alter und
Jugend ſtehen jenen Wendezonen am nächſten, in denen die Unfruchtbarkeit herrſcht ....
Wo Du die Selbſtſucht im Alter entdeckſt, ſicher kannſt Du ſein: Der Menſch hat
ſein Leben verſäumt. Ein Greuel iſt mir dieſer Anblick. Und wo Du das Weh der
Entſagung von jugendlichem Antlitz dämmern ſiehſt, wo du ſie findeſt, bevor das
Alter den Menſchen ſchmerzlos zur Entſagung führte, ſicher kannſt Du ſein: Ein
Menſchenleben ward da verdorben von Anfang an.“ Ich müßte das ganze Buch aus¬
ſchreiben, um einen annähernden Begriff von ſeinem Zauber zu geben. Es iſt ein
Bund von Kraft und Durchgeiſtigung, dergleichen allzeit ſeinen Seltenheitswert haben
wird. Es iſt nur eine Saite, darauf ein Meiſter ſpielt; aber ſein Spiel iſt aller
Wunder voll. Das Nachwort meldet, daß das Werk am Todestage von Schwanns
90jährigem Vater vollendet ward: Nun denn, am Bette eines Sterbenden geſchaffen,
bejaht es das Leben. Beſſeres weiß ich zu ſeinem Lobe nicht zu ſagen.

Dr. Oswald Kern.

<TEI>
  <text>
    <back>
      <div type="advertisement">
        <pb facs="#f0389"/>
        <p> <hi rendition="#b #fr">Verlag von Eugen Diederichs in Leipzig<lb/>
Mathieu Schwann. Liebe. Allem &#x017F;tarken Leben Preis</hi> </p><lb/>
        <p><hi rendition="#b #fr">und Gruß.</hi> Mit Buch&#x017F;chmuck von <hi rendition="#g">Fritz Schumacher</hi>. Preis</p><lb/>
        <p>bro&#x017F;ch. Mk. 5.&#x2013;, geb. Mk. 6.&#x2013;.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Med</hi>. <hi rendition="#g">Chir</hi>. <hi rendition="#g">Centralblatt</hi>: Ein Buch der Barmherzigkeit, und heißer Lebensfreude<lb/>
voll. Es geht dem Le&#x017F;er in &#x017F;tillen Stunden nach, verwäch&#x017F;t lang&#x017F;am mit ihm. Es i&#x017F;t das<lb/>
Werk eines <hi rendition="#g">Mannes</hi> und eines grundgütigen Men&#x017F;chen. Der Gelehrte, der Philo&#x017F;oph,<lb/>
der Dichter haben es gleicher Teile ausgebaut, und doch i&#x017F;t es &#x017F;chlicht geblieben. So<lb/>
mögen &#x017F;ie in der humani&#x017F;ti&#x017F;chen Zeit des 18. Jahrhunderts gedacht haben, die großen<lb/>
Denker un&#x017F;erer Nation, als &#x017F;ie noch in der Klein&#x017F;tadt gehau&#x017F;t, in der halb ländlichen<lb/>
Klein&#x017F;tadt, der Scholle verbunden, aus der &#x017F;ie die goldenen Fäden ihrer Ewigkeits¬<lb/>
träume gruben. Erdduft quillt aus dem Buche und der warme Hauch der Ge&#x017F;undheit.<lb/>
So aller Kün&#x017F;teleien bar und jedes Raffinements, daß man das Zeitalter der &#x201E;Reiz¬<lb/>
&#x017F;amkeit&#x201C; weit hinter &#x017F;ich glaubt. Und vor &#x017F;ich eine neue Jugend. Ob es gleich kein<lb/>
Propagandabuch i&#x017F;t und nur feineren Sinnen &#x017F;eine Gnaden &#x017F;pendet ... &#x201E;Dem<lb/>
&#x017F;tarken Leben Preis und Gruß&#x201C; i&#x017F;t &#x017F;ein Motto und die &#x201E;Liebe&#x201C;, die es meint, nicht<lb/>
duckmäu&#x017F;eri&#x017F;ch. Sondern es rollt das Leben auf, wie wir es kennen, und wendet es<lb/>
um gleich einem ko&#x017F;tbaren Teppich, der lange ver&#x017F;täubt unter halbverge&#x017F;&#x017F;enen Antiqui¬<lb/>
täten gelegen. Und wir werden gewahr, daß wir bisher nur die Revers&#x017F;eite gekannt<lb/>
&#x2014; mit halb geri&#x017F;&#x017F;enen Fäden und dichten Strähnen, darein &#x017F;ich der Staub vieler<lb/>
Jahrzehnte gelegt. Bis &#x017F;ich die Bild&#x017F;eite auswei&#x017F;t &#x2014; glühender Farben voll und von<lb/>
eitel Gold um&#x017F;tarrt. Darauf abgemalt ein Frühling, wie wir keinen noch ge&#x017F;chaut<lb/>
&#x017F;eit den Tagen der er&#x017F;ten, licht-influenzierten, licht-faszinierten, licht-berau&#x017F;chten<lb/>
Kinderzeit: mit einer heißeren Sonne, als die Erwach&#x017F;enen, die Klugen &#x017F;ie kennen,<lb/>
und mit blutigeren Ro&#x017F;en, als &#x017F;ie je an Frauenbru&#x017F;t veratmeten. Das i&#x017F;t das Paradies,<lb/>
darin die <hi rendition="#g">unverbrauchten</hi> Men&#x017F;chen wohnen. Die <hi rendition="#g">Liebe</hi> i&#x017F;t der Schlü&#x017F;&#x017F;el zu<lb/>
&#x017F;einen Pforten, und Jugend und Alter haben gleiches Recht zum Eintritt. Das Buch<lb/>
gliedert &#x017F;ich in kurze, von einander unabhängige Kapitel: Betrachtungen, Erzählungen,<lb/>
Gleichni&#x017F;&#x017F;e füllen &#x017F;ie aus. Es i&#x017F;t die Form von Maeterlincks &#x201E;Weisheit und Schick&#x017F;al&#x201C;.<lb/>
Es i&#x017F;t wenig von der &#x017F;chwülen Erotik der Modernen darin zu finden und &#x017F;ehr viel</p><lb/>
        <p>von den ge&#x017F;unden In&#x017F;tinkten kräftiger, unkomplizierter Alltagsmen&#x017F;chen. ......</p><lb/>
        <p>Und nicht bloß die Ge&#x017F;chlechtsliebe hat in die&#x017F;em Buche ihren hohen Sänger<lb/>
gefunden, &#x017F;ondern alle die Bande, die Men&#x017F;chen verknüpfen und im ewig Fließenden<lb/>
ein Stetes aufzurichten vermögen: Alles, was zum Leben drängt, Alles, was da<lb/>
Leben &#x017F;chafft, Alles, was des Lebens genießt. Er prei&#x017F;t die Kinder: hier blitzt der<lb/>
Schöpferdrang auf; die Grei&#x017F;e: dort naht er &#x017F;ich dem Erlö&#x017F;chen. &#x201E;Denn Alter und<lb/>
Jugend &#x017F;tehen jenen Wendezonen am näch&#x017F;ten, in denen die Unfruchtbarkeit herr&#x017F;cht ....<lb/>
Wo Du die <hi rendition="#g">Selb&#x017F;t&#x017F;ucht</hi> im Alter entdeck&#x017F;t, &#x017F;icher kann&#x017F;t Du &#x017F;ein: Der Men&#x017F;ch hat<lb/>
&#x017F;ein Leben ver&#x017F;äumt. Ein Greuel i&#x017F;t mir die&#x017F;er Anblick. Und wo Du das Weh der<lb/><hi rendition="#g">Ent&#x017F;agung</hi> von jugendlichem Antlitz dämmern &#x017F;ieh&#x017F;t, wo du &#x017F;ie finde&#x017F;t, bevor das<lb/>
Alter den Men&#x017F;chen &#x017F;chmerzlos zur Ent&#x017F;agung führte, &#x017F;icher kann&#x017F;t Du &#x017F;ein: Ein<lb/>
Men&#x017F;chenleben ward da verdorben von Anfang an.&#x201C; Ich müßte das ganze Buch aus¬<lb/>
&#x017F;chreiben, um einen annähernden Begriff von &#x017F;einem Zauber zu geben. Es i&#x017F;t ein<lb/>
Bund von Kraft und Durchgei&#x017F;tigung, dergleichen allzeit &#x017F;einen Seltenheitswert haben<lb/>
wird. Es i&#x017F;t nur <hi rendition="#g">eine</hi> Saite, darauf ein Mei&#x017F;ter &#x017F;pielt; aber &#x017F;ein Spiel i&#x017F;t aller<lb/>
Wunder voll. Das Nachwort meldet, daß das Werk am Todestage von <hi rendition="#g">Schwanns</hi><lb/>
90jährigem Vater vollendet ward: Nun denn, am Bette eines Sterbenden ge&#x017F;chaffen,<lb/><hi rendition="#g">bejaht es das Leben</hi>. Be&#x017F;&#x017F;eres weiß ich zu &#x017F;einem Lobe nicht zu &#x017F;agen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">Dr</hi>. <hi rendition="#g">Oswald Kern</hi>.</p><lb/>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[0389] Verlag von Eugen Diederichs in Leipzig Mathieu Schwann. Liebe. Allem ſtarken Leben Preis und Gruß. Mit Buchſchmuck von Fritz Schumacher. Preis broſch. Mk. 5.–, geb. Mk. 6.–. Med. Chir. Centralblatt: Ein Buch der Barmherzigkeit, und heißer Lebensfreude voll. Es geht dem Leſer in ſtillen Stunden nach, verwächſt langſam mit ihm. Es iſt das Werk eines Mannes und eines grundgütigen Menſchen. Der Gelehrte, der Philoſoph, der Dichter haben es gleicher Teile ausgebaut, und doch iſt es ſchlicht geblieben. So mögen ſie in der humaniſtiſchen Zeit des 18. Jahrhunderts gedacht haben, die großen Denker unſerer Nation, als ſie noch in der Kleinſtadt gehauſt, in der halb ländlichen Kleinſtadt, der Scholle verbunden, aus der ſie die goldenen Fäden ihrer Ewigkeits¬ träume gruben. Erdduft quillt aus dem Buche und der warme Hauch der Geſundheit. So aller Künſteleien bar und jedes Raffinements, daß man das Zeitalter der „Reiz¬ ſamkeit“ weit hinter ſich glaubt. Und vor ſich eine neue Jugend. Ob es gleich kein Propagandabuch iſt und nur feineren Sinnen ſeine Gnaden ſpendet ... „Dem ſtarken Leben Preis und Gruß“ iſt ſein Motto und die „Liebe“, die es meint, nicht duckmäuſeriſch. Sondern es rollt das Leben auf, wie wir es kennen, und wendet es um gleich einem koſtbaren Teppich, der lange verſtäubt unter halbvergeſſenen Antiqui¬ täten gelegen. Und wir werden gewahr, daß wir bisher nur die Reversſeite gekannt — mit halb geriſſenen Fäden und dichten Strähnen, darein ſich der Staub vieler Jahrzehnte gelegt. Bis ſich die Bildſeite ausweiſt — glühender Farben voll und von eitel Gold umſtarrt. Darauf abgemalt ein Frühling, wie wir keinen noch geſchaut ſeit den Tagen der erſten, licht-influenzierten, licht-faszinierten, licht-berauſchten Kinderzeit: mit einer heißeren Sonne, als die Erwachſenen, die Klugen ſie kennen, und mit blutigeren Roſen, als ſie je an Frauenbruſt veratmeten. Das iſt das Paradies, darin die unverbrauchten Menſchen wohnen. Die Liebe iſt der Schlüſſel zu ſeinen Pforten, und Jugend und Alter haben gleiches Recht zum Eintritt. Das Buch gliedert ſich in kurze, von einander unabhängige Kapitel: Betrachtungen, Erzählungen, Gleichniſſe füllen ſie aus. Es iſt die Form von Maeterlincks „Weisheit und Schickſal“. Es iſt wenig von der ſchwülen Erotik der Modernen darin zu finden und ſehr viel von den geſunden Inſtinkten kräftiger, unkomplizierter Alltagsmenſchen. ...... Und nicht bloß die Geſchlechtsliebe hat in dieſem Buche ihren hohen Sänger gefunden, ſondern alle die Bande, die Menſchen verknüpfen und im ewig Fließenden ein Stetes aufzurichten vermögen: Alles, was zum Leben drängt, Alles, was da Leben ſchafft, Alles, was des Lebens genießt. Er preiſt die Kinder: hier blitzt der Schöpferdrang auf; die Greiſe: dort naht er ſich dem Erlöſchen. „Denn Alter und Jugend ſtehen jenen Wendezonen am nächſten, in denen die Unfruchtbarkeit herrſcht .... Wo Du die Selbſtſucht im Alter entdeckſt, ſicher kannſt Du ſein: Der Menſch hat ſein Leben verſäumt. Ein Greuel iſt mir dieſer Anblick. Und wo Du das Weh der Entſagung von jugendlichem Antlitz dämmern ſiehſt, wo du ſie findeſt, bevor das Alter den Menſchen ſchmerzlos zur Entſagung führte, ſicher kannſt Du ſein: Ein Menſchenleben ward da verdorben von Anfang an.“ Ich müßte das ganze Buch aus¬ ſchreiben, um einen annähernden Begriff von ſeinem Zauber zu geben. Es iſt ein Bund von Kraft und Durchgeiſtigung, dergleichen allzeit ſeinen Seltenheitswert haben wird. Es iſt nur eine Saite, darauf ein Meiſter ſpielt; aber ſein Spiel iſt aller Wunder voll. Das Nachwort meldet, daß das Werk am Todestage von Schwanns 90jährigem Vater vollendet ward: Nun denn, am Bette eines Sterbenden geſchaffen, bejaht es das Leben. Beſſeres weiß ich zu ſeinem Lobe nicht zu ſagen. Dr. Oswald Kern.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/389
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/389>, abgerufen am 25.04.2024.