Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetischen
Naturbeschreibungen habe; ich grüble zu viel und
sammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der
Reise, nach wiederhergestellter Ruhe, damit haben
Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬
frieden genießen. Bis künftiges Jahr sind die
Oesterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte
man hinreisen. Zwar wird es alsdann in Italien
noch nicht ruhig seyn, aber nur die schreckliche Ruhe
unter Oesterreich könnte mich aus dem Lande ent¬
fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die
der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet,
ist auch mir offenbart worden. Man wird es in
Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬
lich! Es stehet mir klar vor Augen, wie die
Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Messern die
großen Sensen wetzen. -- Hiesige Blätter sagen
bestimmt, im nächsten Monate würde in Preußen
eine Constitution promulgirt werden, und ein Brief
aus Berlin, den ich gestern gelesen, behauptet das
Nehmliche. Aber eine Constitution, die man im
Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finsterniß
werden. Die Freiheit, die man von Herren geschenckt


Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetiſchen
Naturbeſchreibungen habe; ich grüble zu viel und
ſammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der
Reiſe, nach wiederhergeſtellter Ruhe, damit haben
Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬
frieden genießen. Bis künftiges Jahr ſind die
Oeſterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte
man hinreiſen. Zwar wird es alsdann in Italien
noch nicht ruhig ſeyn, aber nur die ſchreckliche Ruhe
unter Oeſterreich könnte mich aus dem Lande ent¬
fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die
der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet,
iſt auch mir offenbart worden. Man wird es in
Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬
lich! Es ſtehet mir klar vor Augen, wie die
Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Meſſern die
großen Senſen wetzen. — Hieſige Blätter ſagen
beſtimmt, im nächſten Monate würde in Preußen
eine Conſtitution promulgirt werden, und ein Brief
aus Berlin, den ich geſtern geleſen, behauptet das
Nehmliche. Aber eine Conſtitution, die man im
Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finſterniß
werden. Die Freiheit, die man von Herren geſchenckt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0173" n="159"/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">Dien&#x017F;tag, den 28 Dezember.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poeti&#x017F;chen<lb/>
Naturbe&#x017F;chreibungen habe; ich grüble zu viel und<lb/>
&#x017F;ammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der<lb/>
Rei&#x017F;e, nach wiederherge&#x017F;tellter Ruhe, damit haben<lb/>
Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬<lb/>
frieden genießen. Bis künftiges Jahr &#x017F;ind die<lb/>
Oe&#x017F;terreicher aus Italien verjagt, und dann könnte<lb/>
man hinrei&#x017F;en. Zwar wird es alsdann in Italien<lb/>
noch nicht ruhig &#x017F;eyn, aber nur die &#x017F;chreckliche Ruhe<lb/>
unter Oe&#x017F;terreich könnte mich aus dem Lande ent¬<lb/>
fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die<lb/>
der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet,<lb/>
i&#x017F;t auch mir offenbart worden. Man wird es in<lb/>
Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬<lb/>
lich! Es &#x017F;tehet mir klar vor Augen, wie die<lb/>
Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Me&#x017F;&#x017F;ern die<lb/>
großen Sen&#x017F;en wetzen. &#x2014; Hie&#x017F;ige Blätter &#x017F;agen<lb/>
be&#x017F;timmt, im näch&#x017F;ten Monate würde in Preußen<lb/>
eine Con&#x017F;titution promulgirt werden, und ein Brief<lb/>
aus Berlin, den ich ge&#x017F;tern gele&#x017F;en, behauptet das<lb/>
Nehmliche. Aber eine Con&#x017F;titution, die man im<lb/>
Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Fin&#x017F;terniß<lb/>
werden. Die Freiheit, die man von Herren ge&#x017F;chenckt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0173] Dienſtag, den 28 Dezember. Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetiſchen Naturbeſchreibungen habe; ich grüble zu viel und ſammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der Reiſe, nach wiederhergeſtellter Ruhe, damit haben Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬ frieden genießen. Bis künftiges Jahr ſind die Oeſterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte man hinreiſen. Zwar wird es alsdann in Italien noch nicht ruhig ſeyn, aber nur die ſchreckliche Ruhe unter Oeſterreich könnte mich aus dem Lande ent¬ fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet, iſt auch mir offenbart worden. Man wird es in Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬ lich! Es ſtehet mir klar vor Augen, wie die Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Meſſern die großen Senſen wetzen. — Hieſige Blätter ſagen beſtimmt, im nächſten Monate würde in Preußen eine Conſtitution promulgirt werden, und ein Brief aus Berlin, den ich geſtern geleſen, behauptet das Nehmliche. Aber eine Conſtitution, die man im Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finſterniß werden. Die Freiheit, die man von Herren geſchenckt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/173
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/173>, abgerufen am 19.04.2024.