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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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-- Die Nachricht, die Sie mir gestern gege¬
ben, daß das englische Ministerium selbst die Revo¬
lution in Hannover angestiftet, habe ich auf der
Stelle nebst einigen Bemerkungen in die Zeitungen
setzen lassen, und sie steht gestern im Messager.
Wahr oder nicht, man muß die Spitzbuben hinter
einander hetzen. Es ist aber doch schön, daß man
hier alles gleich in die Zeitung bringen kann, und
die Redacteurs küssen einem für jede Nachricht die
Hände, und für jede Lüge die Füße. Was mich ge¬
gen die deutsche Censur am meisten aufbringt, ist nicht,
daß sie das Bekanntwerden der Wahrheit verhindert
-- diese macht sich früher oder später doch Luft --
sondern daß sie die Lüge unterdrückt, die nur einen
armen kurzen Tag zu leben hat, und einmal todt,
vergessen ist. Am interessantesten, und merken Sie
sich das, sind die hiesigen Blätter immer am Mon¬
tage; denn da Sonntag keine Kammersitzung ist,
bleibt den Tag darauf den Zeitungen kein anderes
Mittel, ihre Seiten zu füllen, als so viel Lügen als
möglich herbei zu schaffen. Wie angenehm beschäf¬
tigt das die Einbildungskraft. Und was liegt daran!
Was heißt Lüge? Kann Einer in unsern Tagen
etwas ersinnen, was nicht den Tag darauf wahr


— Die Nachricht, die Sie mir geſtern gege¬
ben, daß das engliſche Miniſterium ſelbſt die Revo¬
lution in Hannover angeſtiftet, habe ich auf der
Stelle nebſt einigen Bemerkungen in die Zeitungen
ſetzen laſſen, und ſie ſteht geſtern im Meſſager.
Wahr oder nicht, man muß die Spitzbuben hinter
einander hetzen. Es iſt aber doch ſchön, daß man
hier alles gleich in die Zeitung bringen kann, und
die Redacteurs küſſen einem für jede Nachricht die
Hände, und für jede Lüge die Füße. Was mich ge¬
gen die deutſche Cenſur am meiſten aufbringt, iſt nicht,
daß ſie das Bekanntwerden der Wahrheit verhindert
— dieſe macht ſich früher oder ſpäter doch Luft —
ſondern daß ſie die Lüge unterdrückt, die nur einen
armen kurzen Tag zu leben hat, und einmal todt,
vergeſſen iſt. Am intereſſanteſten, und merken Sie
ſich das, ſind die hieſigen Blätter immer am Mon¬
tage; denn da Sonntag keine Kammerſitzung iſt,
bleibt den Tag darauf den Zeitungen kein anderes
Mittel, ihre Seiten zu füllen, als ſo viel Lügen als
möglich herbei zu ſchaffen. Wie angenehm beſchäf¬
tigt das die Einbildungskraft. Und was liegt daran!
Was heißt Lüge? Kann Einer in unſern Tagen
etwas erſinnen, was nicht den Tag darauf wahr

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[208/0222] Mittwoch, den 19. Januar. — Die Nachricht, die Sie mir geſtern gege¬ ben, daß das engliſche Miniſterium ſelbſt die Revo¬ lution in Hannover angeſtiftet, habe ich auf der Stelle nebſt einigen Bemerkungen in die Zeitungen ſetzen laſſen, und ſie ſteht geſtern im Meſſager. Wahr oder nicht, man muß die Spitzbuben hinter einander hetzen. Es iſt aber doch ſchön, daß man hier alles gleich in die Zeitung bringen kann, und die Redacteurs küſſen einem für jede Nachricht die Hände, und für jede Lüge die Füße. Was mich ge¬ gen die deutſche Cenſur am meiſten aufbringt, iſt nicht, daß ſie das Bekanntwerden der Wahrheit verhindert — dieſe macht ſich früher oder ſpäter doch Luft — ſondern daß ſie die Lüge unterdrückt, die nur einen armen kurzen Tag zu leben hat, und einmal todt, vergeſſen iſt. Am intereſſanteſten, und merken Sie ſich das, ſind die hieſigen Blätter immer am Mon¬ tage; denn da Sonntag keine Kammerſitzung iſt, bleibt den Tag darauf den Zeitungen kein anderes Mittel, ihre Seiten zu füllen, als ſo viel Lügen als möglich herbei zu ſchaffen. Wie angenehm beſchäf¬ tigt das die Einbildungskraft. Und was liegt daran! Was heißt Lüge? Kann Einer in unſern Tagen etwas erſinnen, was nicht den Tag darauf wahr

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/222>, abgerufen am 29.03.2024.