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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Gestern war ich im italienischen Theater und
habe die Malibran wieder gesehen. Aber entzückt
wie das vorige Mal im Barbier war ich nicht, was
aber gar nicht unsere Schuld ist, denn wir hatten
gewiß beide den besten Willen. Cenerentola von
Rossini wurde gegeben. Musik bis auf einige
Stücke, besonders ein herrliches Sextett, sehr matt
und leer; das Gedicht langweilig, schwerfällig. Keine
Spur von der Grazie und der Laune, die im Aschen¬
brödel von Nicolo und Etienne herrschen. Die Ma¬
libran sang und spielte zwar gut, aber es war keine
Rosine. Lablache spielte den Hofmann, welcher beide
Schwestern den Prinzen vorstellt. Es ist merkwür¬
dig was dieser Mann spielt, merkwürdiger was er
nicht spielt. Eine solche Entsagung ist mir noch
bei keinem Schauspieler vorgekommen. Seinen Ge¬
sang bewundere ich immer mehr und mehr. Alle
andere Sänger, die ich noch gehört, selbst die gött¬
liche Malibran -- es bleibt doch immer ein Instru¬
ment, das sie spielen. Sie und die Töne sind ge¬
trennt, sie bringen sie hervor. Lablache aber ist eins
mit seinem Gesange, er ist wie eine Singuhr, die
einmal aufgezogen, von selbst fortsingt. Den Abend
hörte ich auch zum Erstenmale zwei andere vortreffliche


Geſtern war ich im italieniſchen Theater und
habe die Malibran wieder geſehen. Aber entzückt
wie das vorige Mal im Barbier war ich nicht, was
aber gar nicht unſere Schuld iſt, denn wir hatten
gewiß beide den beſten Willen. Cenerentola von
Roſſini wurde gegeben. Muſik bis auf einige
Stücke, beſonders ein herrliches Sextett, ſehr matt
und leer; das Gedicht langweilig, ſchwerfällig. Keine
Spur von der Grazie und der Laune, die im Aſchen¬
brödel von Nicolo und Etienne herrſchen. Die Ma¬
libran ſang und ſpielte zwar gut, aber es war keine
Roſine. Lablache ſpielte den Hofmann, welcher beide
Schweſtern den Prinzen vorſtellt. Es iſt merkwür¬
dig was dieſer Mann ſpielt, merkwürdiger was er
nicht ſpielt. Eine ſolche Entſagung iſt mir noch
bei keinem Schauſpieler vorgekommen. Seinen Ge¬
ſang bewundere ich immer mehr und mehr. Alle
andere Sänger, die ich noch gehört, ſelbſt die gött¬
liche Malibran — es bleibt doch immer ein Inſtru¬
ment, das ſie ſpielen. Sie und die Töne ſind ge¬
trennt, ſie bringen ſie hervor. Lablache aber iſt eins
mit ſeinem Geſange, er iſt wie eine Singuhr, die
einmal aufgezogen, von ſelbſt fortſingt. Den Abend
hörte ich auch zum Erſtenmale zwei andere vortreffliche

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[218/0232] Freitag, den 21. Januar. Geſtern war ich im italieniſchen Theater und habe die Malibran wieder geſehen. Aber entzückt wie das vorige Mal im Barbier war ich nicht, was aber gar nicht unſere Schuld iſt, denn wir hatten gewiß beide den beſten Willen. Cenerentola von Roſſini wurde gegeben. Muſik bis auf einige Stücke, beſonders ein herrliches Sextett, ſehr matt und leer; das Gedicht langweilig, ſchwerfällig. Keine Spur von der Grazie und der Laune, die im Aſchen¬ brödel von Nicolo und Etienne herrſchen. Die Ma¬ libran ſang und ſpielte zwar gut, aber es war keine Roſine. Lablache ſpielte den Hofmann, welcher beide Schweſtern den Prinzen vorſtellt. Es iſt merkwür¬ dig was dieſer Mann ſpielt, merkwürdiger was er nicht ſpielt. Eine ſolche Entſagung iſt mir noch bei keinem Schauſpieler vorgekommen. Seinen Ge¬ ſang bewundere ich immer mehr und mehr. Alle andere Sänger, die ich noch gehört, ſelbſt die gött¬ liche Malibran — es bleibt doch immer ein Inſtru¬ ment, das ſie ſpielen. Sie und die Töne ſind ge¬ trennt, ſie bringen ſie hervor. Lablache aber iſt eins mit ſeinem Geſange, er iſt wie eine Singuhr, die einmal aufgezogen, von ſelbſt fortſingt. Den Abend hörte ich auch zum Erſtenmale zwei andere vortreffliche

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/232>, abgerufen am 16.04.2024.