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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Zehnter Brief.

Seit gestern bin ich in meiner neuen Wohnung.
Ich wollte sie schon Freitag beziehen, aber meine
Wirthin, eine junge hübsche Frau, machte eine ganz
allerliebste fromme Miene, sagte: c'est vendredi und
bat mich meinen Einzug zu verschieben. Ich bot
ihr an, alles Unglück, was daraus entstehen könnte,
auf mich allein zu nehmen, doch sie gab nicht nach.
Man sagte mir, dieser Aberglaube sei hier in allen
Ständen sehr verbreitet. Es giebt zum Transporte
der Möbel beim Ein- und Ausziehen eine eigene
Anstalt, ein besonderes Fuhrwesen. Bei den häufi¬
gen Wohnungsveränderungen, die hier statt finden,
sind jene Wagen nicht täglich zu haben, man muß oft
Wochen lang vorher seine Bestellung machen. An den
Freitagen aber sind sie unbeschäftigt, weil da Nie¬
mand sein Haus wechseln will. Sollte man das
von Parisern erwarten?

I. 5
Zehnter Brief.

Seit geſtern bin ich in meiner neuen Wohnung.
Ich wollte ſie ſchon Freitag beziehen, aber meine
Wirthin, eine junge hübſche Frau, machte eine ganz
allerliebſte fromme Miene, ſagte: c'est vendredi und
bat mich meinen Einzug zu verſchieben. Ich bot
ihr an, alles Unglück, was daraus entſtehen könnte,
auf mich allein zu nehmen, doch ſie gab nicht nach.
Man ſagte mir, dieſer Aberglaube ſei hier in allen
Ständen ſehr verbreitet. Es giebt zum Transporte
der Möbel beim Ein- und Ausziehen eine eigene
Anſtalt, ein beſonderes Fuhrweſen. Bei den häufi¬
gen Wohnungsveränderungen, die hier ſtatt finden,
ſind jene Wagen nicht täglich zu haben, man muß oft
Wochen lang vorher ſeine Beſtellung machen. An den
Freitagen aber ſind ſie unbeſchäftigt, weil da Nie¬
mand ſein Haus wechſeln will. Sollte man das
von Pariſern erwarten?

I. 5
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[[65]/0079] Zehnter Brief. Paris, den 19. October 1830. Seit geſtern bin ich in meiner neuen Wohnung. Ich wollte ſie ſchon Freitag beziehen, aber meine Wirthin, eine junge hübſche Frau, machte eine ganz allerliebſte fromme Miene, ſagte: c'est vendredi und bat mich meinen Einzug zu verſchieben. Ich bot ihr an, alles Unglück, was daraus entſtehen könnte, auf mich allein zu nehmen, doch ſie gab nicht nach. Man ſagte mir, dieſer Aberglaube ſei hier in allen Ständen ſehr verbreitet. Es giebt zum Transporte der Möbel beim Ein- und Ausziehen eine eigene Anſtalt, ein beſonderes Fuhrweſen. Bei den häufi¬ gen Wohnungsveränderungen, die hier ſtatt finden, ſind jene Wagen nicht täglich zu haben, man muß oft Wochen lang vorher ſeine Beſtellung machen. An den Freitagen aber ſind ſie unbeſchäftigt, weil da Nie¬ mand ſein Haus wechſeln will. Sollte man das von Pariſern erwarten? I. 5

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. [65]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/79>, abgerufen am 25.04.2024.