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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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Mittwoch ist da. Es sollte nicht seyn, es ist
zu Ende mit den Polen! Wir wollen darum nicht
verzweifeln, die Freiheit verliert nichts dabei. Die
Erben haben sich vermindert, desto größer wird die
Erbschaft. Schmerzlich ist es, daß Polen sich als
Saatkorn in die Erde legen mußte; aber der Saame
wird herrlich aufgehen. So laut schreit das vergos¬
sene Blut, daß es der taube Himmel selbst hört, und
Gott schicken wird, wenn auch zu spät zur Hülfe,
doch nicht zu spät zur Rache. Nichts Schlimmes
ahndend ging ich gestern Nachmittag, das Modell von
Petersburg zu sehen, das hier gezeigt wird. Ich be¬
wunderte die herrliche Straße, die prächtigen Palläste
dieser schönsten Stadt der Welt. Ich stellte mich
vor den Pallast des Kaisers und dachte: da sitzt er,
und wartet ungeduldig auf das letzte Röcheln eines
geschlachteten Volks. Von dort hatte ich nur einige
Schritte zur Börse. Ich trat hinein und erfuhr das
Entsetzliche. Bei allem meinem Gram erquickte mich
die Schadenfreude, die ich über die Kaufleute empfand.
Das französische Papiervolk ist so jammervoll und
jämmerlich als das deutsche. Diese Blut- und Schwei߬
krämer waren nach den polnischen Nachrichten wie
zwischen Hund und Wolf. Sie wußten nicht, wo


Mittwoch iſt da. Es ſollte nicht ſeyn, es iſt
zu Ende mit den Polen! Wir wollen darum nicht
verzweifeln, die Freiheit verliert nichts dabei. Die
Erben haben ſich vermindert, deſto größer wird die
Erbſchaft. Schmerzlich iſt es, daß Polen ſich als
Saatkorn in die Erde legen mußte; aber der Saame
wird herrlich aufgehen. So laut ſchreit das vergoſ¬
ſene Blut, daß es der taube Himmel ſelbſt hört, und
Gott ſchicken wird, wenn auch zu ſpät zur Hülfe,
doch nicht zu ſpät zur Rache. Nichts Schlimmes
ahndend ging ich geſtern Nachmittag, das Modell von
Petersburg zu ſehen, das hier gezeigt wird. Ich be¬
wunderte die herrliche Straße, die prächtigen Palläſte
dieſer ſchönſten Stadt der Welt. Ich ſtellte mich
vor den Pallaſt des Kaiſers und dachte: da ſitzt er,
und wartet ungeduldig auf das letzte Röcheln eines
geſchlachteten Volks. Von dort hatte ich nur einige
Schritte zur Börſe. Ich trat hinein und erfuhr das
Entſetzliche. Bei allem meinem Gram erquickte mich
die Schadenfreude, die ich über die Kaufleute empfand.
Das franzöſiſche Papiervolk iſt ſo jammervoll und
jämmerlich als das deutſche. Dieſe Blut- und Schwei߬
krämer waren nach den polniſchen Nachrichten wie
zwiſchen Hund und Wolf. Sie wußten nicht, wo

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[133/0147] Mittwoch, den 9. März. Mittwoch iſt da. Es ſollte nicht ſeyn, es iſt zu Ende mit den Polen! Wir wollen darum nicht verzweifeln, die Freiheit verliert nichts dabei. Die Erben haben ſich vermindert, deſto größer wird die Erbſchaft. Schmerzlich iſt es, daß Polen ſich als Saatkorn in die Erde legen mußte; aber der Saame wird herrlich aufgehen. So laut ſchreit das vergoſ¬ ſene Blut, daß es der taube Himmel ſelbſt hört, und Gott ſchicken wird, wenn auch zu ſpät zur Hülfe, doch nicht zu ſpät zur Rache. Nichts Schlimmes ahndend ging ich geſtern Nachmittag, das Modell von Petersburg zu ſehen, das hier gezeigt wird. Ich be¬ wunderte die herrliche Straße, die prächtigen Palläſte dieſer ſchönſten Stadt der Welt. Ich ſtellte mich vor den Pallaſt des Kaiſers und dachte: da ſitzt er, und wartet ungeduldig auf das letzte Röcheln eines geſchlachteten Volks. Von dort hatte ich nur einige Schritte zur Börſe. Ich trat hinein und erfuhr das Entſetzliche. Bei allem meinem Gram erquickte mich die Schadenfreude, die ich über die Kaufleute empfand. Das franzöſiſche Papiervolk iſt ſo jammervoll und jämmerlich als das deutſche. Dieſe Blut- und Schwei߬ krämer waren nach den polniſchen Nachrichten wie zwiſchen Hund und Wolf. Sie wußten nicht, wo

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/147>, abgerufen am 29.03.2024.