Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Tag. Es ist krank darüber zu werden vor Neid.
Wie ein Komet, der sich keiner bürgerlichen Ordnung
der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei
durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne
Abschied, und wollte lieber einsam seyn als ein Knecht
der Freundschaft. Nie berührte er die trockene Erde;
zwischen Sturm und Schiffbruch steuerte er muthig
hin und der Tod war der erste Hafen, den er sah. Wie
wurde er umhergeschleudert, aber welche selige Insel hat
er auch entdeckt, wohin stiller Wind und der bedächtige
Compaß niemals führen! Das ist die königliche Natur.
Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und
gibt -- das thut jeder Unterthan auch -- König ist wer
seinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute
sagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre
alt geworden; er hat tausend Jahre gelebt. Und
wenn sie ihn bedauern, daß er so melancholisch ge¬
wesen! Ist es Gott nicht auch? Melancholie ist
die Freudigkeit Gottes. Kann man froh seyn wenn
man liebt? Byron haßte die Menschen, weil er die
Menschheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte.
Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz ist das
Glück der Seligen. Am meisten lebt, wer am mei¬
sten leidet. Keiner ist glücklich, an den Gott nicht
denkt, ist es nicht in Liebe, sei es in Zorn; nur

Tag. Es iſt krank darüber zu werden vor Neid.
Wie ein Komet, der ſich keiner bürgerlichen Ordnung
der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei
durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne
Abſchied, und wollte lieber einſam ſeyn als ein Knecht
der Freundſchaft. Nie berührte er die trockene Erde;
zwiſchen Sturm und Schiffbruch ſteuerte er muthig
hin und der Tod war der erſte Hafen, den er ſah. Wie
wurde er umhergeſchleudert, aber welche ſelige Inſel hat
er auch entdeckt, wohin ſtiller Wind und der bedächtige
Compaß niemals führen! Das iſt die königliche Natur.
Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und
gibt — das thut jeder Unterthan auch — König iſt wer
ſeinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute
ſagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre
alt geworden; er hat tauſend Jahre gelebt. Und
wenn ſie ihn bedauern, daß er ſo melancholiſch ge¬
weſen! Iſt es Gott nicht auch? Melancholie iſt
die Freudigkeit Gottes. Kann man froh ſeyn wenn
man liebt? Byron haßte die Menſchen, weil er die
Menſchheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte.
Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz iſt das
Glück der Seligen. Am meiſten lebt, wer am mei¬
ſten leidet. Keiner iſt glücklich, an den Gott nicht
denkt, iſt es nicht in Liebe, ſei es in Zorn; nur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0192" n="178"/>
Tag. Es i&#x017F;t krank darüber zu werden vor Neid.<lb/>
Wie ein Komet, der &#x017F;ich keiner bürgerlichen Ordnung<lb/>
der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei<lb/>
durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne<lb/>
Ab&#x017F;chied, und wollte lieber ein&#x017F;am &#x017F;eyn als ein Knecht<lb/>
der Freund&#x017F;chaft. Nie berührte er die trockene Erde;<lb/>
zwi&#x017F;chen Sturm und Schiffbruch &#x017F;teuerte er muthig<lb/>
hin und der Tod war der er&#x017F;te Hafen, den er &#x017F;ah. Wie<lb/>
wurde er umherge&#x017F;chleudert, aber welche &#x017F;elige In&#x017F;el hat<lb/>
er auch entdeckt, wohin &#x017F;tiller Wind und der bedächtige<lb/>
Compaß niemals führen! Das i&#x017F;t die königliche Natur.<lb/>
Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und<lb/>
gibt &#x2014; das thut jeder Unterthan auch &#x2014; König i&#x017F;t wer<lb/>
&#x017F;einen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute<lb/>
&#x017F;agen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre<lb/>
alt geworden; er hat tau&#x017F;end Jahre gelebt. Und<lb/>
wenn &#x017F;ie ihn bedauern, daß er &#x017F;o melancholi&#x017F;ch ge¬<lb/>
we&#x017F;en! I&#x017F;t es Gott nicht auch? Melancholie i&#x017F;t<lb/>
die Freudigkeit Gottes. Kann man froh &#x017F;eyn wenn<lb/>
man liebt? Byron haßte die Men&#x017F;chen, weil er die<lb/>
Men&#x017F;chheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte.<lb/>
Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz i&#x017F;t das<lb/>
Glück der Seligen. Am mei&#x017F;ten lebt, wer am mei¬<lb/>
&#x017F;ten leidet. Keiner i&#x017F;t glücklich, an den Gott nicht<lb/>
denkt, i&#x017F;t es nicht in Liebe, &#x017F;ei es in Zorn; nur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0192] Tag. Es iſt krank darüber zu werden vor Neid. Wie ein Komet, der ſich keiner bürgerlichen Ordnung der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne Abſchied, und wollte lieber einſam ſeyn als ein Knecht der Freundſchaft. Nie berührte er die trockene Erde; zwiſchen Sturm und Schiffbruch ſteuerte er muthig hin und der Tod war der erſte Hafen, den er ſah. Wie wurde er umhergeſchleudert, aber welche ſelige Inſel hat er auch entdeckt, wohin ſtiller Wind und der bedächtige Compaß niemals führen! Das iſt die königliche Natur. Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und gibt — das thut jeder Unterthan auch — König iſt wer ſeinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute ſagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre alt geworden; er hat tauſend Jahre gelebt. Und wenn ſie ihn bedauern, daß er ſo melancholiſch ge¬ weſen! Iſt es Gott nicht auch? Melancholie iſt die Freudigkeit Gottes. Kann man froh ſeyn wenn man liebt? Byron haßte die Menſchen, weil er die Menſchheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte. Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz iſt das Glück der Seligen. Am meiſten lebt, wer am mei¬ ſten leidet. Keiner iſt glücklich, an den Gott nicht denkt, iſt es nicht in Liebe, ſei es in Zorn; nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/192
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/192>, abgerufen am 25.04.2024.