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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833.

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"Als ich nehmlich auf den Dünen des Liedo,
"welche die venezianischen Lagunen von dem
"adriatischen Meere sondern, mich oftmals er¬
"ging, fand ich einen so glücklich geborstenen
"Schafschädel, der mir... jene große früher
"von mir erkannte Wahrheit: die sämmtlichen
"Schädelknochen seyen aus verwandelten Wir¬
"belknochen entstanden, abermals bethätigte...."

Was? Göthe ein reich begabter Mensch,
ein Dichter; damals in den schönsten Jahren
des Lebens, wo der Jüngling neben dem
Manne steht, wo der Baum der Erkenntniß
zugleich mit Blüthen und mit Früchten pran¬
get -- er war im Kriegsrathe, er war im
Lager der Titanen, da, wo vor vierzig Jah¬
ren der zwar freche, doch erhabene Kampf
der Könige gegen die Völker begann -- und
zu nichts begeisterte ihn dieses Schauspiel, zu
keiner Liebe, zu keinem Hasse, zu keinem Ge¬
bete, zu keiner Verwünschung, zu gar nichts

„Als ich nehmlich auf den Duͤnen des Liedo,
„welche die venezianiſchen Lagunen von dem
„adriatiſchen Meere ſondern, mich oftmals er¬
„ging, fand ich einen ſo gluͤcklich geborſtenen
„Schafſchaͤdel, der mir... jene große fruͤher
„von mir erkannte Wahrheit: die ſaͤmmtlichen
„Schaͤdelknochen ſeyen aus verwandelten Wir¬
„belknochen entſtanden, abermals bethaͤtigte....“

Was? Goͤthe ein reich begabter Menſch,
ein Dichter; damals in den ſchoͤnſten Jahren
des Lebens, wo der Juͤngling neben dem
Manne ſteht, wo der Baum der Erkenntniß
zugleich mit Bluͤthen und mit Fruͤchten pran¬
get — er war im Kriegsrathe, er war im
Lager der Titanen, da, wo vor vierzig Jah¬
ren der zwar freche, doch erhabene Kampf
der Koͤnige gegen die Voͤlker begann — und
zu nichts begeiſterte ihn dieſes Schauſpiel, zu
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[30/0044] „Als ich nehmlich auf den Duͤnen des Liedo, „welche die venezianiſchen Lagunen von dem „adriatiſchen Meere ſondern, mich oftmals er¬ „ging, fand ich einen ſo gluͤcklich geborſtenen „Schafſchaͤdel, der mir... jene große fruͤher „von mir erkannte Wahrheit: die ſaͤmmtlichen „Schaͤdelknochen ſeyen aus verwandelten Wir¬ „belknochen entſtanden, abermals bethaͤtigte....“ Was? Goͤthe ein reich begabter Menſch, ein Dichter; damals in den ſchoͤnſten Jahren des Lebens, wo der Juͤngling neben dem Manne ſteht, wo der Baum der Erkenntniß zugleich mit Bluͤthen und mit Fruͤchten pran¬ get — er war im Kriegsrathe, er war im Lager der Titanen, da, wo vor vierzig Jah¬ ren der zwar freche, doch erhabene Kampf der Koͤnige gegen die Voͤlker begann — und zu nichts begeiſterte ihn dieſes Schauſpiel, zu keiner Liebe, zu keinem Haſſe, zu keinem Ge¬ bete, zu keiner Verwuͤnſchung, zu gar nichts

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/44>, abgerufen am 29.03.2024.