Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

funden. Im Jahre 1813 wollte ein Russe die Be¬
schreibung einer Reise drucken lassen, die er im Jahre
1812 durch Frankreich gemacht. Die Censur fand
auch an dem Buche nichts auszusetzen, außer dem
Titel; denn es war nicht schicklich, daß ein Russe
1812 in Frankreich reise, zu einer Zeit, wo Ru߬
land und Frankreich Krieg führten. Um diesem Mis¬
stande abzuhelfen, strich die Censur den Titel Reise
durch Frankreich
aus und schrieb dafür Reise
durch England
, und wo im Buche das Wort
Frankreich vorkam, setzte sie England an dessen Stelle.

Jetzt noch zwei chinesische Anekdoten zum
Einschlafen
, denn ich will zu Bette gehen. Der
Kaiser von Rußland ließ dem Kaiser von China sa¬
gen: er möchte doch an der Grenze seines Reichs
einen Cordon gegen die Cholera ziehen lassen. Dar¬
auf ließ der Kaiser von China erwiedern: er werde
das bleiben lassen; denn er habe gehört, daß die
Krankheit nur Müssiggänger, Trunkenbolde und un¬
reinliche Menschen befalle, und es wäre ihm ganz
lieb, wenn er fünf Millionen solcher Unterthanen
verlöhre. Auch an einer andern Grenze des chinesi¬
schen Reichs wollte der Regierungsbeamte von Maas¬
regeln gegen das Eindringen der Cholera nichts hö¬
ren, weil er sie als fruchtlos und den Müssigang be¬
günstigend ansah. Um seine Meinung zu unterstützen,
erzählte er folgende Anekdote:

funden. Im Jahre 1813 wollte ein Ruſſe die Be¬
ſchreibung einer Reiſe drucken laſſen, die er im Jahre
1812 durch Frankreich gemacht. Die Cenſur fand
auch an dem Buche nichts auszuſetzen, außer dem
Titel; denn es war nicht ſchicklich, daß ein Ruſſe
1812 in Frankreich reiſe, zu einer Zeit, wo Ru߬
land und Frankreich Krieg führten. Um dieſem Mis¬
ſtande abzuhelfen, ſtrich die Cenſur den Titel Reiſe
durch Frankreich
aus und ſchrieb dafür Reiſe
durch England
, und wo im Buche das Wort
Frankreich vorkam, ſetzte ſie England an deſſen Stelle.

Jetzt noch zwei chineſiſche Anekdoten zum
Einſchlafen
, denn ich will zu Bette gehen. Der
Kaiſer von Rußland ließ dem Kaiſer von China ſa¬
gen: er möchte doch an der Grenze ſeines Reichs
einen Cordon gegen die Cholera ziehen laſſen. Dar¬
auf ließ der Kaiſer von China erwiedern: er werde
das bleiben laſſen; denn er habe gehört, daß die
Krankheit nur Müſſiggänger, Trunkenbolde und un¬
reinliche Menſchen befalle, und es wäre ihm ganz
lieb, wenn er fünf Millionen ſolcher Unterthanen
verlöhre. Auch an einer andern Grenze des chineſi¬
ſchen Reichs wollte der Regierungsbeamte von Maas¬
regeln gegen das Eindringen der Cholera nichts hö¬
ren, weil er ſie als fruchtlos und den Müſſigang be¬
günſtigend anſah. Um ſeine Meinung zu unterſtützen,
erzählte er folgende Anekdote:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0138" n="124"/>
funden. Im Jahre 1813 wollte ein Ru&#x017F;&#x017F;e die Be¬<lb/>
&#x017F;chreibung einer Rei&#x017F;e drucken la&#x017F;&#x017F;en, die er im Jahre<lb/>
1812 durch Frankreich gemacht. Die Cen&#x017F;ur fand<lb/>
auch an dem Buche nichts auszu&#x017F;etzen, außer dem<lb/>
Titel; denn es war nicht &#x017F;chicklich, daß ein Ru&#x017F;&#x017F;e<lb/>
1812 in Frankreich rei&#x017F;e, zu einer Zeit, wo Ru߬<lb/>
land und Frankreich Krieg führten. Um die&#x017F;em Mis¬<lb/>
&#x017F;tande abzuhelfen, &#x017F;trich die Cen&#x017F;ur den Titel <hi rendition="#g">Rei&#x017F;e<lb/>
durch Frankreich</hi> aus und &#x017F;chrieb dafür <hi rendition="#g">Rei&#x017F;e<lb/>
durch England</hi>, und wo im Buche das Wort<lb/>
Frankreich vorkam, &#x017F;etzte &#x017F;ie England an de&#x017F;&#x017F;en Stelle.</p><lb/>
          <p>Jetzt noch zwei chine&#x017F;i&#x017F;che Anekdoten <hi rendition="#g">zum<lb/>
Ein&#x017F;chlafen</hi>, denn ich will zu Bette gehen. Der<lb/>
Kai&#x017F;er von Rußland ließ dem Kai&#x017F;er von China &#x017F;<lb/>
gen: er möchte doch an der Grenze &#x017F;eines Reichs<lb/>
einen Cordon gegen die Cholera ziehen la&#x017F;&#x017F;en. Dar¬<lb/>
auf ließ der Kai&#x017F;er von China erwiedern: er werde<lb/>
das bleiben la&#x017F;&#x017F;en; denn er habe gehört, daß die<lb/>
Krankheit nur Mü&#x017F;&#x017F;iggänger, Trunkenbolde und un¬<lb/>
reinliche Men&#x017F;chen befalle, und es wäre ihm ganz<lb/>
lieb, wenn er fünf Millionen &#x017F;olcher Unterthanen<lb/>
verlöhre. Auch an einer andern Grenze des chine&#x017F;<lb/>
&#x017F;chen Reichs wollte der Regierungsbeamte von Maas¬<lb/>
regeln gegen das Eindringen der Cholera nichts hö¬<lb/>
ren, weil er &#x017F;ie als fruchtlos und den Mü&#x017F;&#x017F;igang be¬<lb/>
gün&#x017F;tigend an&#x017F;ah. Um &#x017F;eine Meinung zu unter&#x017F;tützen,<lb/>
erzählte er folgende Anekdote:<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0138] funden. Im Jahre 1813 wollte ein Ruſſe die Be¬ ſchreibung einer Reiſe drucken laſſen, die er im Jahre 1812 durch Frankreich gemacht. Die Cenſur fand auch an dem Buche nichts auszuſetzen, außer dem Titel; denn es war nicht ſchicklich, daß ein Ruſſe 1812 in Frankreich reiſe, zu einer Zeit, wo Ru߬ land und Frankreich Krieg führten. Um dieſem Mis¬ ſtande abzuhelfen, ſtrich die Cenſur den Titel Reiſe durch Frankreich aus und ſchrieb dafür Reiſe durch England, und wo im Buche das Wort Frankreich vorkam, ſetzte ſie England an deſſen Stelle. Jetzt noch zwei chineſiſche Anekdoten zum Einſchlafen, denn ich will zu Bette gehen. Der Kaiſer von Rußland ließ dem Kaiſer von China ſa¬ gen: er möchte doch an der Grenze ſeines Reichs einen Cordon gegen die Cholera ziehen laſſen. Dar¬ auf ließ der Kaiſer von China erwiedern: er werde das bleiben laſſen; denn er habe gehört, daß die Krankheit nur Müſſiggänger, Trunkenbolde und un¬ reinliche Menſchen befalle, und es wäre ihm ganz lieb, wenn er fünf Millionen ſolcher Unterthanen verlöhre. Auch an einer andern Grenze des chineſi¬ ſchen Reichs wollte der Regierungsbeamte von Maas¬ regeln gegen das Eindringen der Cholera nichts hö¬ ren, weil er ſie als fruchtlos und den Müſſigang be¬ günſtigend anſah. Um ſeine Meinung zu unterſtützen, erzählte er folgende Anekdote:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/138
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/138>, abgerufen am 19.04.2024.