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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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Zwanzigster Brief.

Meine deutsche Eselshaut ist schon wieder voll
und ich muß sie aufräumen, um für die neue Woche
Platz zu bekommen. Deutsche Eselshaut nenne
ich die Pergamentblätter in meiner Schreibtafel, die
dazu bestimmt sind, beim Zeitungslesen die deutschen
Angelegenheiten zu merken. Wollte ich sie, wie ich
es mit dem übrigen Europa mache, auf Papier zeich¬
nen, müßte ich mir jeden Monat ein neues Taschen¬
buch kaufen. Sie sollten nur einmal das kleine gelbe
Ding sehen, man glaubt es nicht wie viel Aerger
hineingeht. Wenn ich das nachher in Briefen aus¬
breite, ist es nichts mehr; es ist dann Schaam,
Zorn, Wuth, Schrecken in vieler Dinte aufgelößt.
Aber auf dem Pergamente ist es die reine natürliche
Leidenschaft, wie sie aus dem Herzen kömmt. Oft
nur ein Wort, ein Zeichen, ein Schrei; aber beredt¬

Zwanzigſter Brief.

Meine deutſche Eſelshaut iſt ſchon wieder voll
und ich muß ſie aufräumen, um für die neue Woche
Platz zu bekommen. Deutſche Eſelshaut nenne
ich die Pergamentblätter in meiner Schreibtafel, die
dazu beſtimmt ſind, beim Zeitungsleſen die deutſchen
Angelegenheiten zu merken. Wollte ich ſie, wie ich
es mit dem übrigen Europa mache, auf Papier zeich¬
nen, müßte ich mir jeden Monat ein neues Taſchen¬
buch kaufen. Sie ſollten nur einmal das kleine gelbe
Ding ſehen, man glaubt es nicht wie viel Aerger
hineingeht. Wenn ich das nachher in Briefen aus¬
breite, iſt es nichts mehr; es iſt dann Schaam,
Zorn, Wuth, Schrecken in vieler Dinte aufgelößt.
Aber auf dem Pergamente iſt es die reine natürliche
Leidenſchaft, wie ſie aus dem Herzen kömmt. Oft
nur ein Wort, ein Zeichen, ein Schrei; aber beredt¬

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[[226]/0238] Zwanzigſter Brief. Paris, Sonntag, den 20. Januar 1833. Meine deutſche Eſelshaut iſt ſchon wieder voll und ich muß ſie aufräumen, um für die neue Woche Platz zu bekommen. Deutſche Eſelshaut nenne ich die Pergamentblätter in meiner Schreibtafel, die dazu beſtimmt ſind, beim Zeitungsleſen die deutſchen Angelegenheiten zu merken. Wollte ich ſie, wie ich es mit dem übrigen Europa mache, auf Papier zeich¬ nen, müßte ich mir jeden Monat ein neues Taſchen¬ buch kaufen. Sie ſollten nur einmal das kleine gelbe Ding ſehen, man glaubt es nicht wie viel Aerger hineingeht. Wenn ich das nachher in Briefen aus¬ breite, iſt es nichts mehr; es iſt dann Schaam, Zorn, Wuth, Schrecken in vieler Dinte aufgelößt. Aber auf dem Pergamente iſt es die reine natürliche Leidenſchaft, wie ſie aus dem Herzen kömmt. Oft nur ein Wort, ein Zeichen, ein Schrei; aber beredt¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. [226]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/238>, abgerufen am 28.03.2024.