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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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Ich kehre zum französisch-europäisch-litterarischen
Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬
nals schrieb früher den Figaro mit viel Geist und
Witz. Unter der Regierung Casimir Periers zog er
sich mit seinem Witze, seinem Gelde und seiner Tu¬
gend zurück, und hing, wie man zu sagen pflegt,
die Politik an den Nagel, das haben schon viele ge¬
than; es ist eine gefahrlose Inokulation des Gal¬
gens. Seitdem lebt er von seinen Renten. Die
Moral eines Schriftstellers hat in Frankreich große
Fortschritte gemacht. Der ärgste Schelm wenn er
sein Gewerbe versteht, kann mit dem Code moral
in der Hand sich vor die himmlischen Assisen stellen,
und Gott und seine Engel keck herausfordern, ihm
den Paragraphen zu nennen, den er übertreten.
Ein deutscher Journalist verkauft sein Gewissen, ein
französischer verkauft seine Aktien. So kömmt das
Journal in andere Hände und man braucht die eig¬
nen nicht zu beschmutzen. Ein deutscher Journalist
stellt sich an den Pranger, ein französischer begnügt
sich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬
rope literaire
, der die Gefahren der Tugend
einmal kennen gelernt, meidet sie ängstlich und, um
nicht zum zweitenmale in Versuchung zu kommen,


Ich kehre zum franzöſiſch-europäiſch-litterariſchen
Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬
nals ſchrieb früher den Figaro mit viel Geiſt und
Witz. Unter der Regierung Caſimir Periers zog er
ſich mit ſeinem Witze, ſeinem Gelde und ſeiner Tu¬
gend zurück, und hing, wie man zu ſagen pflegt,
die Politik an den Nagel, das haben ſchon viele ge¬
than; es iſt eine gefahrloſe Inokulation des Gal¬
gens. Seitdem lebt er von ſeinen Renten. Die
Moral eines Schriftſtellers hat in Frankreich große
Fortſchritte gemacht. Der ärgſte Schelm wenn er
ſein Gewerbe verſteht, kann mit dem Code moral
in der Hand ſich vor die himmliſchen Aſſiſen ſtellen,
und Gott und ſeine Engel keck herausfordern, ihm
den Paragraphen zu nennen, den er übertreten.
Ein deutſcher Journaliſt verkauft ſein Gewiſſen, ein
franzöſiſcher verkauft ſeine Aktien. So kömmt das
Journal in andere Hände und man braucht die eig¬
nen nicht zu beſchmutzen. Ein deutſcher Journaliſt
ſtellt ſich an den Pranger, ein franzöſiſcher begnügt
ſich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬
rope litéraire
, der die Gefahren der Tugend
einmal kennen gelernt, meidet ſie ängſtlich und, um
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[159/0171] Dienſtag, den 1. Januar 1833 Ich kehre zum franzöſiſch-europäiſch-litterariſchen Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬ nals ſchrieb früher den Figaro mit viel Geiſt und Witz. Unter der Regierung Caſimir Periers zog er ſich mit ſeinem Witze, ſeinem Gelde und ſeiner Tu¬ gend zurück, und hing, wie man zu ſagen pflegt, die Politik an den Nagel, das haben ſchon viele ge¬ than; es iſt eine gefahrloſe Inokulation des Gal¬ gens. Seitdem lebt er von ſeinen Renten. Die Moral eines Schriftſtellers hat in Frankreich große Fortſchritte gemacht. Der ärgſte Schelm wenn er ſein Gewerbe verſteht, kann mit dem Code moral in der Hand ſich vor die himmliſchen Aſſiſen ſtellen, und Gott und ſeine Engel keck herausfordern, ihm den Paragraphen zu nennen, den er übertreten. Ein deutſcher Journaliſt verkauft ſein Gewiſſen, ein franzöſiſcher verkauft ſeine Aktien. So kömmt das Journal in andere Hände und man braucht die eig¬ nen nicht zu beſchmutzen. Ein deutſcher Journaliſt ſtellt ſich an den Pranger, ein franzöſiſcher begnügt ſich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬ rope litéraire, der die Gefahren der Tugend einmal kennen gelernt, meidet ſie ängſtlich und, um nicht zum zweitenmale in Verſuchung zu kommen,

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/171>, abgerufen am 29.03.2024.