Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich will Ihnen wieder einen Beweis geben,
daß die Tugend beloht wird, was Sie mir so oft
nicht glauben wollten. Verflossenen Samstag wollte
ich auf den Opernball gehen. Einige Tage vorher,
hörte ich, daß auf dem Theater (im le mari et l'a¬
mant
) eine Cousine in der Provinz, ihren Vetter der
zum erstenmale nach Paris reiste, die Lehre gab:
surtout Charles, n'allez pas au bal de l'opera;
on s'y perd.
Trotz dieser Warnung aber gedachte
ich doch hinzugehen, so mächtig wirkt das Laster auf
junges Blut. Auf dem Wege aber fing mir an das
Gewissen zu zittern, oder was es sonst war; es
war sehr kalt. An der Ecke des Boulevard stand
ich am Scheidewege des Herkules. Da ging ich nach
Hause zurück und schlief, wie man nach einer edlen Hand¬
lung zu schlafen pflegt. Am andern Morgen erfuhr
ich, daß auf dem Balle ein gräulicher Lärm gewesen.
Die neue moralische Polizei des Jüste-Milieu, wollte,
ich weiß nicht welchen Bachantischen Tanz, verbieten.
Darüber gab es Streit, die Gendsarmerie drang ein,
mishandelte viele, und nahm mehrere gefangen. Das
Lustigste bei der Sache aber war, daß die Polizei
diesmal die Witterung verloren, und gerade die edelste
Jugend des Jüste-Milieu, königliche Beamte, Ban¬


Ich will Ihnen wieder einen Beweis geben,
daß die Tugend beloht wird, was Sie mir ſo oft
nicht glauben wollten. Verfloſſenen Samſtag wollte
ich auf den Opernball gehen. Einige Tage vorher,
hörte ich, daß auf dem Theater (im le mari et l'a¬
mant
) eine Couſine in der Provinz, ihren Vetter der
zum erſtenmale nach Paris reiſte, die Lehre gab:
surtout Charles, n'allez pas au bal de l'opéra;
on s'y perd.
Trotz dieſer Warnung aber gedachte
ich doch hinzugehen, ſo mächtig wirkt das Laſter auf
junges Blut. Auf dem Wege aber fing mir an das
Gewiſſen zu zittern, oder was es ſonſt war; es
war ſehr kalt. An der Ecke des Boulevard ſtand
ich am Scheidewege des Herkules. Da ging ich nach
Hauſe zurück und ſchlief, wie man nach einer edlen Hand¬
lung zu ſchlafen pflegt. Am andern Morgen erfuhr
ich, daß auf dem Balle ein gräulicher Lärm geweſen.
Die neue moraliſche Polizei des Jüſte-Milieu, wollte,
ich weiß nicht welchen Bachantiſchen Tanz, verbieten.
Darüber gab es Streit, die Gendsarmerie drang ein,
mishandelte viele, und nahm mehrere gefangen. Das
Luſtigſte bei der Sache aber war, daß die Polizei
diesmal die Witterung verloren, und gerade die edelſte
Jugend des Jüſte-Milieu, königliche Beamte, Ban¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <pb facs="#f0201" n="189"/>
          <div>
            <dateline rendition="#right">Dien&#x017F;tag, den 8. Januar.</dateline><lb/>
            <p>Ich will Ihnen wieder einen Beweis geben,<lb/>
daß die Tugend beloht wird, was Sie mir &#x017F;o oft<lb/>
nicht glauben wollten. Verflo&#x017F;&#x017F;enen Sam&#x017F;tag wollte<lb/>
ich auf den Opernball gehen. Einige Tage vorher,<lb/>
hörte ich, daß auf dem Theater (im <hi rendition="#aq">le mari et l'a¬<lb/>
mant</hi>) eine Cou&#x017F;ine in der Provinz, ihren Vetter der<lb/>
zum er&#x017F;tenmale nach Paris rei&#x017F;te, die Lehre gab:<lb/><hi rendition="#aq">surtout Charles, n'allez pas au bal de l'opéra;<lb/>
on s'y perd.</hi> Trotz die&#x017F;er Warnung aber gedachte<lb/>
ich doch hinzugehen, &#x017F;o mächtig wirkt das La&#x017F;ter auf<lb/>
junges Blut. Auf dem Wege aber fing mir an das<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en zu zittern, oder was es &#x017F;on&#x017F;t war; es<lb/>
war &#x017F;ehr kalt. An der Ecke des Boulevard &#x017F;tand<lb/>
ich am Scheidewege des Herkules. Da ging ich nach<lb/>
Hau&#x017F;e zurück und &#x017F;chlief, wie man nach einer edlen Hand¬<lb/>
lung zu &#x017F;chlafen pflegt. Am andern Morgen erfuhr<lb/>
ich, daß auf dem Balle ein gräulicher Lärm gewe&#x017F;en.<lb/>
Die neue morali&#x017F;che Polizei des Jü&#x017F;te-Milieu, wollte,<lb/>
ich weiß nicht welchen Bachanti&#x017F;chen Tanz, verbieten.<lb/>
Darüber gab es Streit, die Gendsarmerie drang ein,<lb/>
mishandelte viele, und nahm mehrere gefangen. Das<lb/>
Lu&#x017F;tig&#x017F;te bei der Sache aber war, daß die Polizei<lb/>
diesmal die Witterung verloren, und gerade die edel&#x017F;te<lb/>
Jugend des Jü&#x017F;te-Milieu, königliche Beamte, Ban¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0201] Dienſtag, den 8. Januar. Ich will Ihnen wieder einen Beweis geben, daß die Tugend beloht wird, was Sie mir ſo oft nicht glauben wollten. Verfloſſenen Samſtag wollte ich auf den Opernball gehen. Einige Tage vorher, hörte ich, daß auf dem Theater (im le mari et l'a¬ mant) eine Couſine in der Provinz, ihren Vetter der zum erſtenmale nach Paris reiſte, die Lehre gab: surtout Charles, n'allez pas au bal de l'opéra; on s'y perd. Trotz dieſer Warnung aber gedachte ich doch hinzugehen, ſo mächtig wirkt das Laſter auf junges Blut. Auf dem Wege aber fing mir an das Gewiſſen zu zittern, oder was es ſonſt war; es war ſehr kalt. An der Ecke des Boulevard ſtand ich am Scheidewege des Herkules. Da ging ich nach Hauſe zurück und ſchlief, wie man nach einer edlen Hand¬ lung zu ſchlafen pflegt. Am andern Morgen erfuhr ich, daß auf dem Balle ein gräulicher Lärm geweſen. Die neue moraliſche Polizei des Jüſte-Milieu, wollte, ich weiß nicht welchen Bachantiſchen Tanz, verbieten. Darüber gab es Streit, die Gendsarmerie drang ein, mishandelte viele, und nahm mehrere gefangen. Das Luſtigſte bei der Sache aber war, daß die Polizei diesmal die Witterung verloren, und gerade die edelſte Jugend des Jüſte-Milieu, königliche Beamte, Ban¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/201
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/201>, abgerufen am 19.03.2024.