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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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Die Hefte von Rießer mögen Sie mir schicken.
Was ich früher von ihm gelesen, deutet auf ein
vorzügliches Talent; aber mit seinem Journale ist
es ein großer Mißverstand. Wer für die Juden
wirken will, der darf sie nicht isoliren; das thun ja
eben deren Feinde zu ihrem Verderben. Was nützt
ein eignes Journal für die Juden? Ihre Freunde
brauchen es nicht, denn sie bedürfen keiner Zusprache;
ihre Gegner nehmen es gar nicht in die Hand.
Um ihnen zu helfen, muß man ihre Sache mit dem
Rechte und den Ansprüchen der allgemeinen Freiheit
in Verbindung bringen. Man muß nur immer
gelegentlich, unerwartet von ihnen sprechen, damit
der ungeneigte Leser gezwungen werde sich damit zu
beschäftigen, weil es auf seinem Wege liegt. Ich
meine auch, es wäre auf diese Weise leichter die
Juden zu vertheidigen, jedem der keine blinde Liebe
für sie hat. Ich habe oft und warm für sie ge¬
sprochen! hätte ich sie aber isolirt, wäre mir die
Gerechtigkeit gar zu sauer geworden. Es scheint,
Rießer möchte die Nationalität der Juden gewahrt
sehen. Aber die Nationalität der Juden ist auf


Die Hefte von Rießer mögen Sie mir ſchicken.
Was ich früher von ihm geleſen, deutet auf ein
vorzügliches Talent; aber mit ſeinem Journale iſt
es ein großer Mißverſtand. Wer für die Juden
wirken will, der darf ſie nicht iſoliren; das thun ja
eben deren Feinde zu ihrem Verderben. Was nützt
ein eignes Journal für die Juden? Ihre Freunde
brauchen es nicht, denn ſie bedürfen keiner Zuſprache;
ihre Gegner nehmen es gar nicht in die Hand.
Um ihnen zu helfen, muß man ihre Sache mit dem
Rechte und den Anſprüchen der allgemeinen Freiheit
in Verbindung bringen. Man muß nur immer
gelegentlich, unerwartet von ihnen ſprechen, damit
der ungeneigte Leſer gezwungen werde ſich damit zu
beſchäftigen, weil es auf ſeinem Wege liegt. Ich
meine auch, es wäre auf dieſe Weiſe leichter die
Juden zu vertheidigen, jedem der keine blinde Liebe
für ſie hat. Ich habe oft und warm für ſie ge¬
ſprochen! hätte ich ſie aber iſolirt, wäre mir die
Gerechtigkeit gar zu ſauer geworden. Es ſcheint,
Rießer möchte die Nationalität der Juden gewahrt
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[50/0062] Samſtag, den 2. Februar. Die Hefte von Rießer mögen Sie mir ſchicken. Was ich früher von ihm geleſen, deutet auf ein vorzügliches Talent; aber mit ſeinem Journale iſt es ein großer Mißverſtand. Wer für die Juden wirken will, der darf ſie nicht iſoliren; das thun ja eben deren Feinde zu ihrem Verderben. Was nützt ein eignes Journal für die Juden? Ihre Freunde brauchen es nicht, denn ſie bedürfen keiner Zuſprache; ihre Gegner nehmen es gar nicht in die Hand. Um ihnen zu helfen, muß man ihre Sache mit dem Rechte und den Anſprüchen der allgemeinen Freiheit in Verbindung bringen. Man muß nur immer gelegentlich, unerwartet von ihnen ſprechen, damit der ungeneigte Leſer gezwungen werde ſich damit zu beſchäftigen, weil es auf ſeinem Wege liegt. Ich meine auch, es wäre auf dieſe Weiſe leichter die Juden zu vertheidigen, jedem der keine blinde Liebe für ſie hat. Ich habe oft und warm für ſie ge¬ ſprochen! hätte ich ſie aber iſolirt, wäre mir die Gerechtigkeit gar zu ſauer geworden. Es ſcheint, Rießer möchte die Nationalität der Juden gewahrt ſehen. Aber die Nationalität der Juden iſt auf

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/62>, abgerufen am 29.03.2024.