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Bohse, August: Des Franzöischen Helicons Monat-Früchte. Leipzig, 1696.

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Die unterschiedlichen Kennzeichen
den sie nicht verdienen; und die Grausamkeit lässet
sie eine Tyranney verüben/ welche nicht seyn soll.

Es ist kein Ubel/ welches sie denjenigen nicht an-
thun/ so arm oder sonst unglücklich seynd. Die Ver-
leumdung/ die übele Nachrede/ die Verachtung/
seynd die Begleitere des Eyfers/ den sie gegen den
Nächsten spüren lassen.

Alle liebe gegen den Nothleidenden ist in ihrem
Hertzen erstorben: und geben sie ja was/ so wollen sie
davor fast angebetet seyn/ und auch die Tugendhaff-
testen sollen ein Opffer ihres Jrrthums und ihrer thö-
richten Einbildung werden.

Sie hassen alles andere Frauenzimmer/ das nicht
so heuchlerisch und scheinheilig als sie gekleidet ist/
sonderlich/ welches sonst ein untadelhafftes Leben
führet. Allein die Kleidung ist es nicht/ die eine Heuch-
lerin zu einer tugendhafften Frau machet. Denn
unter solchen demüthigen Habit richtet und urtheilet
sie gantz verwegen/ und sündiget ohngestraffet. Sie
will aber selbst ausser anderer Leute ihrer Censur seyn:
Und wer von einer solchen Gleißnerin die Warheit
saget/ der hat sich zu befürchten/ daß man von seiner
Aufführung alles Uble herlüge. Denn die falsche
Heiligkeit verträgt nichts/ das ihr nachtheilig/ ohne
Verleumdung und Schmähung dagegen auszu-
theilen.

Eine Frau von solchem heuchlerischen Character
hält sonst niemand vor ihren Nächsten/ als die von
ihrer Profession sind. Was sie saget/ soll alles als ein
unverwerfflicher Rechts-Spruch gelten. Und eine
Heuchlerin machete sich ein Gewissen/ an einer Ver-
leumdung zu zweiffeln/ welche eine andere Heuch-

lerin

Die unterſchiedlichen Kennzeichen
den ſie nicht verdienen; und die Grauſamkeit laͤſſet
ſie eine Tyranney veruͤben/ welche nicht ſeyn ſoll.

Es iſt kein Ubel/ welches ſie denjenigen nicht an-
thun/ ſo arm oder ſonſt ungluͤcklich ſeynd. Die Ver-
leumdung/ die uͤbele Nachrede/ die Verachtung/
ſeynd die Begleitere des Eyfers/ den ſie gegen den
Naͤchſten ſpuͤren laſſen.

Alle liebe gegen den Nothleidenden iſt in ihrem
Hertzen erſtorben: und geben ſie ja was/ ſo wollen ſie
davor faſt angebetet ſeyn/ und auch die Tugendhaff-
teſten ſollen ein Opffer ihres Jrꝛthums und ihrer thoͤ-
richten Einbildung werden.

Sie haſſen alles andere Frauenzimmer/ das nicht
ſo heuchleriſch und ſcheinheilig als ſie gekleidet iſt/
ſonderlich/ welches ſonſt ein untadelhafftes Leben
fuͤhret. Allein die Kleidung iſt es nicht/ die eine Heuch-
lerin zu einer tugendhafften Frau machet. Denn
unter ſolchen demuͤthigen Habit richtet und urtheilet
ſie gantz verwegen/ und ſuͤndiget ohngeſtraffet. Sie
will aber ſelbſt auſſer anderer Leute ihrer Cenſur ſeyn:
Und wer von einer ſolchen Gleißnerin die Warheit
ſaget/ der hat ſich zu befuͤrchten/ daß man von ſeiner
Auffuͤhrung alles Uble herluͤge. Denn die falſche
Heiligkeit vertraͤgt nichts/ das ihr nachtheilig/ ohne
Verleumdung und Schmaͤhung dagegen auszu-
theilen.

Eine Frau von ſolchem heuchleriſchen Character
haͤlt ſonſt niemand vor ihren Naͤchſten/ als die von
ihrer Profeſſion ſind. Was ſie ſaget/ ſoll alles als ein
unverwerfflicher Rechts-Spruch gelten. Und eine
Heuchlerin machete ſich ein Gewiſſen/ an einer Ver-
leumdung zu zweiffeln/ welche eine andere Heuch-

lerin
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[288/0320] Die unterſchiedlichen Kennzeichen den ſie nicht verdienen; und die Grauſamkeit laͤſſet ſie eine Tyranney veruͤben/ welche nicht ſeyn ſoll. Es iſt kein Ubel/ welches ſie denjenigen nicht an- thun/ ſo arm oder ſonſt ungluͤcklich ſeynd. Die Ver- leumdung/ die uͤbele Nachrede/ die Verachtung/ ſeynd die Begleitere des Eyfers/ den ſie gegen den Naͤchſten ſpuͤren laſſen. Alle liebe gegen den Nothleidenden iſt in ihrem Hertzen erſtorben: und geben ſie ja was/ ſo wollen ſie davor faſt angebetet ſeyn/ und auch die Tugendhaff- teſten ſollen ein Opffer ihres Jrꝛthums und ihrer thoͤ- richten Einbildung werden. Sie haſſen alles andere Frauenzimmer/ das nicht ſo heuchleriſch und ſcheinheilig als ſie gekleidet iſt/ ſonderlich/ welches ſonſt ein untadelhafftes Leben fuͤhret. Allein die Kleidung iſt es nicht/ die eine Heuch- lerin zu einer tugendhafften Frau machet. Denn unter ſolchen demuͤthigen Habit richtet und urtheilet ſie gantz verwegen/ und ſuͤndiget ohngeſtraffet. Sie will aber ſelbſt auſſer anderer Leute ihrer Cenſur ſeyn: Und wer von einer ſolchen Gleißnerin die Warheit ſaget/ der hat ſich zu befuͤrchten/ daß man von ſeiner Auffuͤhrung alles Uble herluͤge. Denn die falſche Heiligkeit vertraͤgt nichts/ das ihr nachtheilig/ ohne Verleumdung und Schmaͤhung dagegen auszu- theilen. Eine Frau von ſolchem heuchleriſchen Character haͤlt ſonſt niemand vor ihren Naͤchſten/ als die von ihrer Profeſſion ſind. Was ſie ſaget/ ſoll alles als ein unverwerfflicher Rechts-Spruch gelten. Und eine Heuchlerin machete ſich ein Gewiſſen/ an einer Ver- leumdung zu zweiffeln/ welche eine andere Heuch- lerin

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Zitationshilfe: Bohse, August: Des Franzöischen Helicons Monat-Früchte. Leipzig, 1696, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bohse_helicon_1696/320>, abgerufen am 24.04.2024.