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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

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I. Abschnitt. [Gleich. 11]
ist, als die ursprünglich gleiche Geschwindigkeit aller Moleküle,
und es handelt sich darum, zu berechnen, nach welchem Ge-
setze in dem schliesslich sich bildenden Endzustande die ver-
schiedenen Geschwindigkeiten unter den Molekülen vertheilt
sein werden, oder, wie man kurz sagt, es handelt sich darum,
das Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz zu kennen. Um dieses
zu finden, wollen wir jedoch den Fall sogleich wieder ver-
allgemeinern. Wir nehmen an, wir hätten zwei Gattungen
von Molekülen im Gefässe. Jedes Molekül der einen Gattung
habe die Masse m, jedes der anderen die Masse m1. Wir
nennen sie kurz die Moleküle m, resp. m1. Die Geschwindig-
keitsvertheilung, welche zu irgend einer Zeit t unter den
Molekülen m herrscht, versinnlichen wir uns dadurch, dass wir
vom Coordinatenursprunge aus soviele Gerade ziehen, als Mole-
küle m in der Volumeneinheit enthalten sind. Jede dieser Ge-
raden soll gleich und gleichgerichtet mit der Geschwindigkeit
des betreffenden Moleküls sein. Ihren Endpunkt nennen wir
kurz den Geschwindigkeitspunkt des betreffenden Moleküls.
Es sei nun zur Zeit t
9) [Formel 1]
die Anzahl der Moleküle m, für welche die Geschwindigkeits-
componenten in den drei Coordinatenrichtungen zwischen den
Grenzen
10) [Formel 2]
liegen, für welche also der Geschwindigkeitspunkt in dem
Parallelepipede liegt, dessen eine Ecke die Coordinaten x, e, z
hat und dessen den Coordinatenaxen parallele Kanten die
Längen d x, d e, d z haben. Wir wollen dasselbe immer als
das Parallelepiped d o bezeichnen. Wir schreiben Kürze halber
auch d o für das Produkt d x d e d z und f für f (x, e, z, t). Wäre
d o ein irgendwie anders gestaltetes (natürlich unendlich kleines)
Volumenelement, welches den Punkt mit den Coordinaten x, e, z
enhält, so wäre selbstverständlich die Anzahl der Moleküle m,
deren Geschwindigkeitspunkt innerhalb d o liegt, ebenfalls gleich
11) [Formel 3] ,
wie man sofort sieht, wenn man das Volumelement d o in
noch weit kleinere Parallelepipede zerlegt. Ist die Function f
für einen Werth von t bekannt, so ist damit die Geschwindig-

I. Abschnitt. [Gleich. 11]
ist, als die ursprünglich gleiche Geschwindigkeit aller Moleküle,
und es handelt sich darum, zu berechnen, nach welchem Ge-
setze in dem schliesslich sich bildenden Endzustande die ver-
schiedenen Geschwindigkeiten unter den Molekülen vertheilt
sein werden, oder, wie man kurz sagt, es handelt sich darum,
das Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz zu kennen. Um dieses
zu finden, wollen wir jedoch den Fall sogleich wieder ver-
allgemeinern. Wir nehmen an, wir hätten zwei Gattungen
von Molekülen im Gefässe. Jedes Molekül der einen Gattung
habe die Masse m, jedes der anderen die Masse m1. Wir
nennen sie kurz die Moleküle m, resp. m1. Die Geschwindig-
keitsvertheilung, welche zu irgend einer Zeit t unter den
Molekülen m herrscht, versinnlichen wir uns dadurch, dass wir
vom Coordinatenursprunge aus soviele Gerade ziehen, als Mole-
küle m in der Volumeneinheit enthalten sind. Jede dieser Ge-
raden soll gleich und gleichgerichtet mit der Geschwindigkeit
des betreffenden Moleküls sein. Ihren Endpunkt nennen wir
kurz den Geschwindigkeitspunkt des betreffenden Moleküls.
Es sei nun zur Zeit t
9) [Formel 1]
die Anzahl der Moleküle m, für welche die Geschwindigkeits-
componenten in den drei Coordinatenrichtungen zwischen den
Grenzen
10) [Formel 2]
liegen, für welche also der Geschwindigkeitspunkt in dem
Parallelepipede liegt, dessen eine Ecke die Coordinaten ξ, η, ζ
hat und dessen den Coordinatenaxen parallele Kanten die
Längen d ξ, d η, d ζ haben. Wir wollen dasselbe immer als
das Parallelepiped d ω bezeichnen. Wir schreiben Kürze halber
auch d ω für das Produkt d ξ d η d ζ und f für f (ξ, η, ζ, t). Wäre
d ω ein irgendwie anders gestaltetes (natürlich unendlich kleines)
Volumenelement, welches den Punkt mit den Coordinaten ξ, η, ζ
enhält, so wäre selbstverständlich die Anzahl der Moleküle m,
deren Geschwindigkeitspunkt innerhalb d ω liegt, ebenfalls gleich
11) [Formel 3] ,
wie man sofort sieht, wenn man das Volumelement d ω in
noch weit kleinere Parallelepipede zerlegt. Ist die Function f
für einen Werth von t bekannt, so ist damit die Geschwindig-

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[16/0030] I. Abschnitt. [Gleich. 11] ist, als die ursprünglich gleiche Geschwindigkeit aller Moleküle, und es handelt sich darum, zu berechnen, nach welchem Ge- setze in dem schliesslich sich bildenden Endzustande die ver- schiedenen Geschwindigkeiten unter den Molekülen vertheilt sein werden, oder, wie man kurz sagt, es handelt sich darum, das Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz zu kennen. Um dieses zu finden, wollen wir jedoch den Fall sogleich wieder ver- allgemeinern. Wir nehmen an, wir hätten zwei Gattungen von Molekülen im Gefässe. Jedes Molekül der einen Gattung habe die Masse m, jedes der anderen die Masse m1. Wir nennen sie kurz die Moleküle m, resp. m1. Die Geschwindig- keitsvertheilung, welche zu irgend einer Zeit t unter den Molekülen m herrscht, versinnlichen wir uns dadurch, dass wir vom Coordinatenursprunge aus soviele Gerade ziehen, als Mole- küle m in der Volumeneinheit enthalten sind. Jede dieser Ge- raden soll gleich und gleichgerichtet mit der Geschwindigkeit des betreffenden Moleküls sein. Ihren Endpunkt nennen wir kurz den Geschwindigkeitspunkt des betreffenden Moleküls. Es sei nun zur Zeit t 9) [FORMEL] die Anzahl der Moleküle m, für welche die Geschwindigkeits- componenten in den drei Coordinatenrichtungen zwischen den Grenzen 10) [FORMEL] liegen, für welche also der Geschwindigkeitspunkt in dem Parallelepipede liegt, dessen eine Ecke die Coordinaten ξ, η, ζ hat und dessen den Coordinatenaxen parallele Kanten die Längen d ξ, d η, d ζ haben. Wir wollen dasselbe immer als das Parallelepiped d ω bezeichnen. Wir schreiben Kürze halber auch d ω für das Produkt d ξ d η d ζ und f für f (ξ, η, ζ, t). Wäre d ω ein irgendwie anders gestaltetes (natürlich unendlich kleines) Volumenelement, welches den Punkt mit den Coordinaten ξ, η, ζ enhält, so wäre selbstverständlich die Anzahl der Moleküle m, deren Geschwindigkeitspunkt innerhalb d ω liegt, ebenfalls gleich 11) [FORMEL], wie man sofort sieht, wenn man das Volumelement d ω in noch weit kleinere Parallelepipede zerlegt. Ist die Function f für einen Werth von t bekannt, so ist damit die Geschwindig-

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/30>, abgerufen am 18.04.2024.