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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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I. Abschnitt.
prätendirt, dass unsere Annahmen in der Natur genau realisirt
seien. Dagegen haben wir bisher das grösste Gewicht darauf
gelegt, dass die daran geknüpften Rechnungen exact richtig,
d. h. logisch nothwendige Consequenzen der Annahmen seien.
Die hierdurch erzielte Ausbildung der mathematischen Methoden
war unser Hauptzweck. Dadurch, dass aus verschiedenartigen
Annahmen die Consequenzen vorliegen, sollte die Auffindung
von Experimenten zu ihrer Prüfung erleichtert werden und
zugleich sollte dafür gesorgt werden, dass bei jedem Fort-
schritte unserer Erkenntniss die mathematischen Methoden zur
Bearbeitung der neuen Gesetze möglichst bereit liegen.

Leider muss van der Waals auch diese mathematische
Strenge in einem Punkte aufgeben, der sich bisher nicht durch
Rechnung bewältigen liess. Doch beweist es gewiss den hohen
Werth und grossen Nutzen der Waals'schen Theorie, dass
dessen Formel im Allgemeinen ein ziemlich gutes Bild des Ver-
haltens der Gase bis zu ihrer Verflüssigung liefert, wenn sie
auch nicht durchaus quantitativ mit der Erfahrung stimmt.
Man ist auch wohl berechtigt, hieraus zu schliessen, dass sie
in ihren Grundzügen kaum je durch eine völlig verschiedene
ersetzbar sein wird.

Ich will in diesem Abschnitte die Gleichungen van der
Waals'
auf möglichst einfachem und kurzem Wege ableiten
und Ergänzungen dazu erst im V. Abschnitte bringen.

§ 2. Aeusserer und innerer Druck.

Ein beliebiges Gefäss vom Volum V enthalte n gleich be-
schaffene Moleküle, welche vollkommen elastische unendlich wenig
deformirbare Kugeln vom Durchmesser s seien. Das von diesen
Kugeln selbst ausgefüllte Volumen sei ziemlich klein, aber nicht
vollkommen verschwindend gegen das ganze Volumen V des Ge-
fässes. Es wird sich zeigen, dass die Formeln, welche wir er-
halten werden, angenähert auch noch auf Zustände der im
Gefässe befindlichen Substanz anwendbar sind, in denen diese
nicht mehr als Gas, sondern als tropfbare Flüssigkeit bezeichnet
werden muss. Wir werden sie daher im Folgenden schlecht-
weg als Substanz, nicht als Gas bezeichnen, obwohl wir haupt-
sächlich noch immer solche Fälle im Auge haben, wo sich ihr
Zustand sehr dem eines Gases nähert.

I. Abschnitt.
prätendirt, dass unsere Annahmen in der Natur genau realisirt
seien. Dagegen haben wir bisher das grösste Gewicht darauf
gelegt, dass die daran geknüpften Rechnungen exact richtig,
d. h. logisch nothwendige Consequenzen der Annahmen seien.
Die hierdurch erzielte Ausbildung der mathematischen Methoden
war unser Hauptzweck. Dadurch, dass aus verschiedenartigen
Annahmen die Consequenzen vorliegen, sollte die Auffindung
von Experimenten zu ihrer Prüfung erleichtert werden und
zugleich sollte dafür gesorgt werden, dass bei jedem Fort-
schritte unserer Erkenntniss die mathematischen Methoden zur
Bearbeitung der neuen Gesetze möglichst bereit liegen.

Leider muss van der Waals auch diese mathematische
Strenge in einem Punkte aufgeben, der sich bisher nicht durch
Rechnung bewältigen liess. Doch beweist es gewiss den hohen
Werth und grossen Nutzen der Waals’schen Theorie, dass
dessen Formel im Allgemeinen ein ziemlich gutes Bild des Ver-
haltens der Gase bis zu ihrer Verflüssigung liefert, wenn sie
auch nicht durchaus quantitativ mit der Erfahrung stimmt.
Man ist auch wohl berechtigt, hieraus zu schliessen, dass sie
in ihren Grundzügen kaum je durch eine völlig verschiedene
ersetzbar sein wird.

Ich will in diesem Abschnitte die Gleichungen van der
Waals’
auf möglichst einfachem und kurzem Wege ableiten
und Ergänzungen dazu erst im V. Abschnitte bringen.

§ 2. Aeusserer und innerer Druck.

Ein beliebiges Gefäss vom Volum V enthalte n gleich be-
schaffene Moleküle, welche vollkommen elastische unendlich wenig
deformirbare Kugeln vom Durchmesser σ seien. Das von diesen
Kugeln selbst ausgefüllte Volumen sei ziemlich klein, aber nicht
vollkommen verschwindend gegen das ganze Volumen V des Ge-
fässes. Es wird sich zeigen, dass die Formeln, welche wir er-
halten werden, angenähert auch noch auf Zustände der im
Gefässe befindlichen Substanz anwendbar sind, in denen diese
nicht mehr als Gas, sondern als tropfbare Flüssigkeit bezeichnet
werden muss. Wir werden sie daher im Folgenden schlecht-
weg als Substanz, nicht als Gas bezeichnen, obwohl wir haupt-
sächlich noch immer solche Fälle im Auge haben, wo sich ihr
Zustand sehr dem eines Gases nähert.

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[4/0022] I. Abschnitt. prätendirt, dass unsere Annahmen in der Natur genau realisirt seien. Dagegen haben wir bisher das grösste Gewicht darauf gelegt, dass die daran geknüpften Rechnungen exact richtig, d. h. logisch nothwendige Consequenzen der Annahmen seien. Die hierdurch erzielte Ausbildung der mathematischen Methoden war unser Hauptzweck. Dadurch, dass aus verschiedenartigen Annahmen die Consequenzen vorliegen, sollte die Auffindung von Experimenten zu ihrer Prüfung erleichtert werden und zugleich sollte dafür gesorgt werden, dass bei jedem Fort- schritte unserer Erkenntniss die mathematischen Methoden zur Bearbeitung der neuen Gesetze möglichst bereit liegen. Leider muss van der Waals auch diese mathematische Strenge in einem Punkte aufgeben, der sich bisher nicht durch Rechnung bewältigen liess. Doch beweist es gewiss den hohen Werth und grossen Nutzen der Waals’schen Theorie, dass dessen Formel im Allgemeinen ein ziemlich gutes Bild des Ver- haltens der Gase bis zu ihrer Verflüssigung liefert, wenn sie auch nicht durchaus quantitativ mit der Erfahrung stimmt. Man ist auch wohl berechtigt, hieraus zu schliessen, dass sie in ihren Grundzügen kaum je durch eine völlig verschiedene ersetzbar sein wird. Ich will in diesem Abschnitte die Gleichungen van der Waals’ auf möglichst einfachem und kurzem Wege ableiten und Ergänzungen dazu erst im V. Abschnitte bringen. § 2. Aeusserer und innerer Druck. Ein beliebiges Gefäss vom Volum V enthalte n gleich be- schaffene Moleküle, welche vollkommen elastische unendlich wenig deformirbare Kugeln vom Durchmesser σ seien. Das von diesen Kugeln selbst ausgefüllte Volumen sei ziemlich klein, aber nicht vollkommen verschwindend gegen das ganze Volumen V des Ge- fässes. Es wird sich zeigen, dass die Formeln, welche wir er- halten werden, angenähert auch noch auf Zustände der im Gefässe befindlichen Substanz anwendbar sind, in denen diese nicht mehr als Gas, sondern als tropfbare Flüssigkeit bezeichnet werden muss. Wir werden sie daher im Folgenden schlecht- weg als Substanz, nicht als Gas bezeichnen, obwohl wir haupt- sächlich noch immer solche Fälle im Auge haben, wo sich ihr Zustand sehr dem eines Gases nähert.

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/22>, abgerufen am 28.03.2024.