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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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[Gleich. 37] § 19. Willkürlichkeit im vorigen Paragraphen.
Substanz mit der betrachteten gemischt ist, kann letztere nur
als Flüssigkeit existiren, der ein bestimmtes Volumen zukommt,
das durch Druck nur verhältnissmässig wenig verkleinert werden
kann. Die Compressibilität der Flüssigkeit tief unter der
kritischen Temperatur ist also sehr klein. Natürlich nähert
sich aber nach unserem Diagramme der Dampfdruck nur asym-
ptotisch der Nulle. Eine Spur von Verdampfung müsste also
selbst bei den tiefsten Temperaturen noch möglich sein.

§ 19. Willkürlichkeit der Definitionen des vorigen
Paragraphen
.

Wir haben hier bei der Definition der Begriffe Gas, Dampf
und tropfbare Flüssigkeit die isotherme Zustandsänderung zu
Grunde gelegt. Dies ist natürlich eine Willkürlichkeit, welche
man höchstens damit motiviren kann, dass man in der Praxis
gewöhnlich bestrebt ist, die Temperatur möglichst gleich der
der Umgebung also möglichst constant zu erhalten. Wir
könnten auch solche Zustandsänderungen betrachten, wobei
sich die Substanz in einem cylindrischen Gefässe befindet, das
durch einen luftdicht schliessenden, sehr leicht beweglichen
Stempel verschlossen ist, auf dem ein constanter Druck lastet.
Anfangs soll die Temperatur sehr hoch sein. Bei Wärmeent-
ziehung wird sich das Volumen verkleinern. Eine solche Zu-
standsänderung wollen wir eine isobare nennen; sie ist durch
eine der Abscissenaxe parallele Gerade dargestellt (die Isobare).
Ist der constante Druck, unter welchem die Substanz hiebei
erhalten wird, grösser als der kritische, so geht sie wieder ohne
Unterbrechung der Continuität von einem angenähert gas-
förmigen zu einem angenähert tropfbar flüssigen Zustande über.
Ist dagegen der Druck kleiner, als der kritische, so sinkt die
Temperatur mit abnehmendem Volumen nur so lange, bis der
Zweiphasenraum erreicht ist. Da alsdann die Isobare mit der
Isotherme zusammenfällt, bleibt die Temperatur constant, bis
die ganze Substanz verflüssigt ist. Wollte man also bei der
Definition der Begriffe Dampf und Gas die isobare Compression
zu Grunde legen, so wäre die durch den kritischen Punkt ge-
zogene der Abscissenaxe parallele Gerade die Trennungslinie
zwischen beiden Zuständen, da oberhalb derselben die isobare
Ueberführung irgend eines Zustandes in irgend einen anderen

[Gleich. 37] § 19. Willkürlichkeit im vorigen Paragraphen.
Substanz mit der betrachteten gemischt ist, kann letztere nur
als Flüssigkeit existiren, der ein bestimmtes Volumen zukommt,
das durch Druck nur verhältnissmässig wenig verkleinert werden
kann. Die Compressibilität der Flüssigkeit tief unter der
kritischen Temperatur ist also sehr klein. Natürlich nähert
sich aber nach unserem Diagramme der Dampfdruck nur asym-
ptotisch der Nulle. Eine Spur von Verdampfung müsste also
selbst bei den tiefsten Temperaturen noch möglich sein.

§ 19. Willkürlichkeit der Definitionen des vorigen
Paragraphen
.

Wir haben hier bei der Definition der Begriffe Gas, Dampf
und tropfbare Flüssigkeit die isotherme Zustandsänderung zu
Grunde gelegt. Dies ist natürlich eine Willkürlichkeit, welche
man höchstens damit motiviren kann, dass man in der Praxis
gewöhnlich bestrebt ist, die Temperatur möglichst gleich der
der Umgebung also möglichst constant zu erhalten. Wir
könnten auch solche Zustandsänderungen betrachten, wobei
sich die Substanz in einem cylindrischen Gefässe befindet, das
durch einen luftdicht schliessenden, sehr leicht beweglichen
Stempel verschlossen ist, auf dem ein constanter Druck lastet.
Anfangs soll die Temperatur sehr hoch sein. Bei Wärmeent-
ziehung wird sich das Volumen verkleinern. Eine solche Zu-
standsänderung wollen wir eine isobare nennen; sie ist durch
eine der Abscissenaxe parallele Gerade dargestellt (die Isobare).
Ist der constante Druck, unter welchem die Substanz hiebei
erhalten wird, grösser als der kritische, so geht sie wieder ohne
Unterbrechung der Continuität von einem angenähert gas-
förmigen zu einem angenähert tropfbar flüssigen Zustande über.
Ist dagegen der Druck kleiner, als der kritische, so sinkt die
Temperatur mit abnehmendem Volumen nur so lange, bis der
Zweiphasenraum erreicht ist. Da alsdann die Isobare mit der
Isotherme zusammenfällt, bleibt die Temperatur constant, bis
die ganze Substanz verflüssigt ist. Wollte man also bei der
Definition der Begriffe Dampf und Gas die isobare Compression
zu Grunde legen, so wäre die durch den kritischen Punkt ge-
zogene der Abscissenaxe parallele Gerade die Trennungslinie
zwischen beiden Zuständen, da oberhalb derselben die isobare
Ueberführung irgend eines Zustandes in irgend einen anderen

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[47/0065] [Gleich. 37] § 19. Willkürlichkeit im vorigen Paragraphen. Substanz mit der betrachteten gemischt ist, kann letztere nur als Flüssigkeit existiren, der ein bestimmtes Volumen zukommt, das durch Druck nur verhältnissmässig wenig verkleinert werden kann. Die Compressibilität der Flüssigkeit tief unter der kritischen Temperatur ist also sehr klein. Natürlich nähert sich aber nach unserem Diagramme der Dampfdruck nur asym- ptotisch der Nulle. Eine Spur von Verdampfung müsste also selbst bei den tiefsten Temperaturen noch möglich sein. § 19. Willkürlichkeit der Definitionen des vorigen Paragraphen. Wir haben hier bei der Definition der Begriffe Gas, Dampf und tropfbare Flüssigkeit die isotherme Zustandsänderung zu Grunde gelegt. Dies ist natürlich eine Willkürlichkeit, welche man höchstens damit motiviren kann, dass man in der Praxis gewöhnlich bestrebt ist, die Temperatur möglichst gleich der der Umgebung also möglichst constant zu erhalten. Wir könnten auch solche Zustandsänderungen betrachten, wobei sich die Substanz in einem cylindrischen Gefässe befindet, das durch einen luftdicht schliessenden, sehr leicht beweglichen Stempel verschlossen ist, auf dem ein constanter Druck lastet. Anfangs soll die Temperatur sehr hoch sein. Bei Wärmeent- ziehung wird sich das Volumen verkleinern. Eine solche Zu- standsänderung wollen wir eine isobare nennen; sie ist durch eine der Abscissenaxe parallele Gerade dargestellt (die Isobare). Ist der constante Druck, unter welchem die Substanz hiebei erhalten wird, grösser als der kritische, so geht sie wieder ohne Unterbrechung der Continuität von einem angenähert gas- förmigen zu einem angenähert tropfbar flüssigen Zustande über. Ist dagegen der Druck kleiner, als der kritische, so sinkt die Temperatur mit abnehmendem Volumen nur so lange, bis der Zweiphasenraum erreicht ist. Da alsdann die Isobare mit der Isotherme zusammenfällt, bleibt die Temperatur constant, bis die ganze Substanz verflüssigt ist. Wollte man also bei der Definition der Begriffe Dampf und Gas die isobare Compression zu Grunde legen, so wäre die durch den kritischen Punkt ge- zogene der Abscissenaxe parallele Gerade die Trennungslinie zwischen beiden Zuständen, da oberhalb derselben die isobare Ueberführung irgend eines Zustandes in irgend einen anderen

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/65>, abgerufen am 19.04.2024.