Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

[Gleich. 234] § 74. Definition von H.
ihrer geradlinigen Bahn beim Zusammentreffen zweier der-
selben so gering, dass das System kaum mehr die Eigenschaften
eines Gases zeigen dürfte. Bei zehnmal kleinerer absoluter
Temperatur aber würde schon n2 viel grösser als n1 und es
würde, wie in dem vorher betrachteten Falle, ein Zusammen-
rücken grösserer Atomcomplexe in ihre Anziehungssphären,
also eine Verflüssigung eintreten.

Wenn daher auch das mechanische System für einzelne
Temperaturen noch beiläufig den Gas-Charakter zeigen würde,
so wäre es doch als mechanisches Bild für alle Temperaturen
unbrauchbar. Aehnliches dürfte wahrscheinlich auch von dem
anderen Bilde gelten, das der Verfasser an derselben Stelle
vorschlug, welches auf einer der fünften Potenz der Entfernung
verkehrt proportionalen Anziehungskraft basirt ist. Würde
dieses Gesetz bis zur Entfernung Null gelten, so würden alle
Atome sich zusammenballen. Würde für gewisse kleine Ent-
fernungen die Wirkung aufhören, so müsste über einer ge-
wissen Temperaturgrenze auch die Ablenkung bei den Zu-
sammenstössen sehr klein werden. Ein bloss auf anziehende
Kräfte basirtes, auch elastische Stosskräfte vermeidendes, in
allen Stücken mit den Thatsachen übereinstimmendes mecha-
nisches Bild für den gasförmigen und tropfbar flüssigen Aggregat-
zustand ist also noch nicht gefunden.


VII. Abschnitt.
Ergänzungen zu den Sätzen über das Wärmegleichgewicht
in Gasen mit zusammengesetzten Molekülen.

§ 74. Definition der Grösse H, welche die Zustands-
wahrscheinlichkeit misst
.

Wir haben im I. Theile § 3 den Beweis geliefert, dass
das Maxwell'sche Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz für Gase
mit einatomigen Molekülen den Bedingungen genügt, welche
der stationäre Zustand erfüllen muss; dann haben wir in § 5

[Gleich. 234] § 74. Definition von H.
ihrer geradlinigen Bahn beim Zusammentreffen zweier der-
selben so gering, dass das System kaum mehr die Eigenschaften
eines Gases zeigen dürfte. Bei zehnmal kleinerer absoluter
Temperatur aber würde schon n2 viel grösser als n1 und es
würde, wie in dem vorher betrachteten Falle, ein Zusammen-
rücken grösserer Atomcomplexe in ihre Anziehungssphären,
also eine Verflüssigung eintreten.

Wenn daher auch das mechanische System für einzelne
Temperaturen noch beiläufig den Gas-Charakter zeigen würde,
so wäre es doch als mechanisches Bild für alle Temperaturen
unbrauchbar. Aehnliches dürfte wahrscheinlich auch von dem
anderen Bilde gelten, das der Verfasser an derselben Stelle
vorschlug, welches auf einer der fünften Potenz der Entfernung
verkehrt proportionalen Anziehungskraft basirt ist. Würde
dieses Gesetz bis zur Entfernung Null gelten, so würden alle
Atome sich zusammenballen. Würde für gewisse kleine Ent-
fernungen die Wirkung aufhören, so müsste über einer ge-
wissen Temperaturgrenze auch die Ablenkung bei den Zu-
sammenstössen sehr klein werden. Ein bloss auf anziehende
Kräfte basirtes, auch elastische Stosskräfte vermeidendes, in
allen Stücken mit den Thatsachen übereinstimmendes mecha-
nisches Bild für den gasförmigen und tropfbar flüssigen Aggregat-
zustand ist also noch nicht gefunden.


VII. Abschnitt.
Ergänzungen zu den Sätzen über das Wärmegleichgewicht
in Gasen mit zusammengesetzten Molekülen.

§ 74. Definition der Grösse H, welche die Zustands-
wahrscheinlichkeit misst
.

Wir haben im I. Theile § 3 den Beweis geliefert, dass
das Maxwell’sche Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz für Gase
mit einatomigen Molekülen den Bedingungen genügt, welche
der stationäre Zustand erfüllen muss; dann haben wir in § 5

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0235" n="217"/><fw place="top" type="header">[Gleich. 234] § 74. Definition von <hi rendition="#i">H</hi>.</fw><lb/>
ihrer geradlinigen Bahn beim Zusammentreffen zweier der-<lb/>
selben so gering, dass das System kaum mehr die Eigenschaften<lb/>
eines Gases zeigen dürfte. Bei zehnmal kleinerer absoluter<lb/>
Temperatur aber würde schon <hi rendition="#i">n</hi><hi rendition="#sub">2</hi> viel grösser als <hi rendition="#i">n</hi><hi rendition="#sub">1</hi> und es<lb/>
würde, wie in dem vorher betrachteten Falle, ein Zusammen-<lb/>
rücken grösserer Atomcomplexe in ihre Anziehungssphären,<lb/>
also eine Verflüssigung eintreten.</p><lb/>
          <p>Wenn daher auch das mechanische System für einzelne<lb/>
Temperaturen noch beiläufig den Gas-Charakter zeigen würde,<lb/>
so wäre es doch als mechanisches Bild für alle Temperaturen<lb/>
unbrauchbar. Aehnliches dürfte wahrscheinlich auch von dem<lb/>
anderen Bilde gelten, das der Verfasser an derselben Stelle<lb/>
vorschlug, welches auf einer der fünften Potenz der Entfernung<lb/>
verkehrt proportionalen Anziehungskraft basirt ist. Würde<lb/>
dieses Gesetz bis zur Entfernung Null gelten, so würden alle<lb/>
Atome sich zusammenballen. Würde für gewisse kleine Ent-<lb/>
fernungen die Wirkung aufhören, so müsste über einer ge-<lb/>
wissen Temperaturgrenze auch die Ablenkung bei den Zu-<lb/>
sammenstössen sehr klein werden. Ein bloss auf anziehende<lb/>
Kräfte basirtes, auch elastische Stosskräfte vermeidendes, in<lb/>
allen Stücken mit den Thatsachen übereinstimmendes mecha-<lb/>
nisches Bild für den gasförmigen und tropfbar flüssigen Aggregat-<lb/>
zustand ist also noch nicht gefunden.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">VII. Abschnitt.<lb/>
Ergänzungen zu den Sätzen über das Wärmegleichgewicht<lb/>
in Gasen mit zusammengesetzten Molekülen.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>§ 74. <hi rendition="#g">Definition der Grösse <hi rendition="#i">H</hi>, welche die Zustands-<lb/>
wahrscheinlichkeit misst</hi>.</head><lb/>
          <p>Wir haben im I. Theile § 3 den Beweis geliefert, dass<lb/>
das <hi rendition="#g">Maxwell</hi>&#x2019;sche Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz für Gase<lb/>
mit einatomigen Molekülen den Bedingungen genügt, welche<lb/>
der stationäre Zustand erfüllen muss; dann haben wir in § 5<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0235] [Gleich. 234] § 74. Definition von H. ihrer geradlinigen Bahn beim Zusammentreffen zweier der- selben so gering, dass das System kaum mehr die Eigenschaften eines Gases zeigen dürfte. Bei zehnmal kleinerer absoluter Temperatur aber würde schon n2 viel grösser als n1 und es würde, wie in dem vorher betrachteten Falle, ein Zusammen- rücken grösserer Atomcomplexe in ihre Anziehungssphären, also eine Verflüssigung eintreten. Wenn daher auch das mechanische System für einzelne Temperaturen noch beiläufig den Gas-Charakter zeigen würde, so wäre es doch als mechanisches Bild für alle Temperaturen unbrauchbar. Aehnliches dürfte wahrscheinlich auch von dem anderen Bilde gelten, das der Verfasser an derselben Stelle vorschlug, welches auf einer der fünften Potenz der Entfernung verkehrt proportionalen Anziehungskraft basirt ist. Würde dieses Gesetz bis zur Entfernung Null gelten, so würden alle Atome sich zusammenballen. Würde für gewisse kleine Ent- fernungen die Wirkung aufhören, so müsste über einer ge- wissen Temperaturgrenze auch die Ablenkung bei den Zu- sammenstössen sehr klein werden. Ein bloss auf anziehende Kräfte basirtes, auch elastische Stosskräfte vermeidendes, in allen Stücken mit den Thatsachen übereinstimmendes mecha- nisches Bild für den gasförmigen und tropfbar flüssigen Aggregat- zustand ist also noch nicht gefunden. VII. Abschnitt. Ergänzungen zu den Sätzen über das Wärmegleichgewicht in Gasen mit zusammengesetzten Molekülen. § 74. Definition der Grösse H, welche die Zustands- wahrscheinlichkeit misst. Wir haben im I. Theile § 3 den Beweis geliefert, dass das Maxwell’sche Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz für Gase mit einatomigen Molekülen den Bedingungen genügt, welche der stationäre Zustand erfüllen muss; dann haben wir in § 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/235
Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/235>, abgerufen am 28.03.2024.