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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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VII. Abschnitt. [Gleich. 235]
des I. Theiles unter Zuziehung der Voraussetzung, dass die
Moleküle so unregelmässig durch einander fliegen, dass die
Wahrscheinlichkeitsgesetze Anwendung finden, bewiesen, dass
sie die einzige ist, welche diesen Bedingungen genügt, dass
sie daher die einzige ist, welche sich, sobald diese Voraus-
setzung zutrifft, dauernd stationär im Gase erhalten kann.

Jetzt, im II. Theile, haben wir von der allgemeinen, durch
Formel 118) S. 109 dargestellten Zustandsvertheilung bewiesen,
dass sie die Bedingungen erfüllt, welche man für eine stationäre
Zustandsvertheilung in einem Gase mit zusammengesetzten
Molekülen findet. Die vollständige Durchführung des Beweises
jedoch, dass es die einzige ist, die diesen Bedingungen genügt,
ist bisher in vollkommener Allgemeinheit nicht gelungen. Doch
ist die Durchführung dieses Beweises in den einfachsten und
für die Praxis wichtigsten Fällen in demselben Umfange wie
für Gase mit einatomigen Molekülen möglich. Ich will daher
im Folgenden diejenigen Schritte des Beweises allgemein
durchführen, bei denen dies möglich ist, und die übrigen
wenigstens für einige specielle Fälle ergänzen.

In einem Gefässe sei ein aus lauter gleich beschaffenen
zusammengesetzten Molekülen bestehendes Gas oder ein Ge-
misch mehrerer verschiedenartiger so beschaffener Gase vor-
handen. Dieselben sollen die Eigenschaft idealer Gase haben,
d. h. die Wirkungssphäre der Moleküle soll verschwindend
klein gegenüber dem mittleren Abstande zweier zunächst ge-
legener Moleküle sein. x, y, z seien die rechtwinkeligen Co-
ordinaten,
235) u, v, w
die Geschwindigkeitscomponenten des Schwerpunktes eines
Moleküles der ersten Gattung; p1 ... pn seien die generalisirten
Coordinaten, welche die relative Lage der Bestandtheile eines
solchen Moleküles gegen drei durch dessen Schwerpunkt ge-
zogene Coordinatenaxen bestimmen, deren Richtungen im
Raume unveränderlich sind, q1 ... qn seien die dazu gehörigen
Momente.

Die Betrachtung äusserer Kräfte würde die Schwierigkeiten
nicht qualitativ erhöhen, aber die Formeln noch mehr compli-
ciren. Wir schliessen solche daher aus und nehmen ausserdem

VII. Abschnitt. [Gleich. 235]
des I. Theiles unter Zuziehung der Voraussetzung, dass die
Moleküle so unregelmässig durch einander fliegen, dass die
Wahrscheinlichkeitsgesetze Anwendung finden, bewiesen, dass
sie die einzige ist, welche diesen Bedingungen genügt, dass
sie daher die einzige ist, welche sich, sobald diese Voraus-
setzung zutrifft, dauernd stationär im Gase erhalten kann.

Jetzt, im II. Theile, haben wir von der allgemeinen, durch
Formel 118) S. 109 dargestellten Zustandsvertheilung bewiesen,
dass sie die Bedingungen erfüllt, welche man für eine stationäre
Zustandsvertheilung in einem Gase mit zusammengesetzten
Molekülen findet. Die vollständige Durchführung des Beweises
jedoch, dass es die einzige ist, die diesen Bedingungen genügt,
ist bisher in vollkommener Allgemeinheit nicht gelungen. Doch
ist die Durchführung dieses Beweises in den einfachsten und
für die Praxis wichtigsten Fällen in demselben Umfange wie
für Gase mit einatomigen Molekülen möglich. Ich will daher
im Folgenden diejenigen Schritte des Beweises allgemein
durchführen, bei denen dies möglich ist, und die übrigen
wenigstens für einige specielle Fälle ergänzen.

In einem Gefässe sei ein aus lauter gleich beschaffenen
zusammengesetzten Molekülen bestehendes Gas oder ein Ge-
misch mehrerer verschiedenartiger so beschaffener Gase vor-
handen. Dieselben sollen die Eigenschaft idealer Gase haben,
d. h. die Wirkungssphäre der Moleküle soll verschwindend
klein gegenüber dem mittleren Abstande zweier zunächst ge-
legener Moleküle sein. x, y, z seien die rechtwinkeligen Co-
ordinaten,
235) u, v, w
die Geschwindigkeitscomponenten des Schwerpunktes eines
Moleküles der ersten Gattung; p1pν seien die generalisirten
Coordinaten, welche die relative Lage der Bestandtheile eines
solchen Moleküles gegen drei durch dessen Schwerpunkt ge-
zogene Coordinatenaxen bestimmen, deren Richtungen im
Raume unveränderlich sind, q1qν seien die dazu gehörigen
Momente.

Die Betrachtung äusserer Kräfte würde die Schwierigkeiten
nicht qualitativ erhöhen, aber die Formeln noch mehr compli-
ciren. Wir schliessen solche daher aus und nehmen ausserdem

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[218/0236] VII. Abschnitt. [Gleich. 235] des I. Theiles unter Zuziehung der Voraussetzung, dass die Moleküle so unregelmässig durch einander fliegen, dass die Wahrscheinlichkeitsgesetze Anwendung finden, bewiesen, dass sie die einzige ist, welche diesen Bedingungen genügt, dass sie daher die einzige ist, welche sich, sobald diese Voraus- setzung zutrifft, dauernd stationär im Gase erhalten kann. Jetzt, im II. Theile, haben wir von der allgemeinen, durch Formel 118) S. 109 dargestellten Zustandsvertheilung bewiesen, dass sie die Bedingungen erfüllt, welche man für eine stationäre Zustandsvertheilung in einem Gase mit zusammengesetzten Molekülen findet. Die vollständige Durchführung des Beweises jedoch, dass es die einzige ist, die diesen Bedingungen genügt, ist bisher in vollkommener Allgemeinheit nicht gelungen. Doch ist die Durchführung dieses Beweises in den einfachsten und für die Praxis wichtigsten Fällen in demselben Umfange wie für Gase mit einatomigen Molekülen möglich. Ich will daher im Folgenden diejenigen Schritte des Beweises allgemein durchführen, bei denen dies möglich ist, und die übrigen wenigstens für einige specielle Fälle ergänzen. In einem Gefässe sei ein aus lauter gleich beschaffenen zusammengesetzten Molekülen bestehendes Gas oder ein Ge- misch mehrerer verschiedenartiger so beschaffener Gase vor- handen. Dieselben sollen die Eigenschaft idealer Gase haben, d. h. die Wirkungssphäre der Moleküle soll verschwindend klein gegenüber dem mittleren Abstande zweier zunächst ge- legener Moleküle sein. x, y, z seien die rechtwinkeligen Co- ordinaten, 235) u, v, w die Geschwindigkeitscomponenten des Schwerpunktes eines Moleküles der ersten Gattung; p1 … pν seien die generalisirten Coordinaten, welche die relative Lage der Bestandtheile eines solchen Moleküles gegen drei durch dessen Schwerpunkt ge- zogene Coordinatenaxen bestimmen, deren Richtungen im Raume unveränderlich sind, q1 … qν seien die dazu gehörigen Momente. Die Betrachtung äusserer Kräfte würde die Schwierigkeiten nicht qualitativ erhöhen, aber die Formeln noch mehr compli- ciren. Wir schliessen solche daher aus und nehmen ausserdem

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/236>, abgerufen am 28.03.2024.