Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite
XXIII.
Unterweisung
.

(1752.)

Indessen wundert' es mich doch bisweilen sehr, wie
mein Vater und der Pfarrer von diesem und jenem
Spruch in der Bibel, von diesem und jenem Büch-
lin denke. Letztrer kam oft zu uns, selbst zu Win-
terszeit, wenn er schier im Schnee stecken blieb. Da
war ich sehr aufmerksam auf alle Discurse, und
merkte bald, daß sie meist bey Weitem nicht einerley
Meinung waren. Anfangs kam's mir unbegreiflich
vor, wie doch der Aeti so frech seyn, und dem Pfar-
rer widersprechen dürfe? Dann dacht ich auf der
andern Seite wieder: Aber mein Vater und der
flüchtige Pater zusammen sind doch auch keine Narren,
und schöpfen ihre Gründe ja wie jener aus der glei-
chen Bibel. Das ging dann in meinem Sinn so hin
und her, bis ich's etwa wieder vergaß, und andern
Fantaseyen nachhieng. Inzwischen kam ich in dem
nämlichen Jahr zu diesem Pfarrer, Heinrich Näf
von Zürich, in die Unterweisung zum H. Abendmal.
Er unterrichtete mich sehr gut und gründlich, und
war mir in der Seele lieb. Oft erzählt' ich meinem
Vater ganze Stunden lang, was er mit mir geredet
hatte; und meynte dann, er sollte davon so gerührt
werden wie ich. Bisweilen that er, mir zu gefallen,
wirklich dergleichen *); aber ich merkte wohl, daß

*) Dergleichen thun. Schweizerscher Provinzialaus-
druck für: Sich so stellen.
XXIII.
Unterweiſung
.

(1752.)

Indeſſen wundert’ es mich doch bisweilen ſehr, wie
mein Vater und der Pfarrer von dieſem und jenem
Spruch in der Bibel, von dieſem und jenem Buͤch-
lin denke. Letztrer kam oft zu uns, ſelbſt zu Win-
terszeit, wenn er ſchier im Schnee ſtecken blieb. Da
war ich ſehr aufmerkſam auf alle Discurſe, und
merkte bald, daß ſie meiſt bey Weitem nicht einerley
Meinung waren. Anfangs kam’s mir unbegreiflich
vor, wie doch der Aeti ſo frech ſeyn, und dem Pfar-
rer widerſprechen duͤrfe? Dann dacht ich auf der
andern Seite wieder: Aber mein Vater und der
fluͤchtige Pater zuſammen ſind doch auch keine Narren,
und ſchoͤpfen ihre Gruͤnde ja wie jener aus der glei-
chen Bibel. Das ging dann in meinem Sinn ſo hin
und her, bis ich’s etwa wieder vergaß, und andern
Fantaſeyen nachhieng. Inzwiſchen kam ich in dem
naͤmlichen Jahr zu dieſem Pfarrer, Heinrich Naͤf
von Zuͤrich, in die Unterweiſung zum H. Abendmal.
Er unterrichtete mich ſehr gut und gruͤndlich, und
war mir in der Seele lieb. Oft erzaͤhlt’ ich meinem
Vater ganze Stunden lang, was er mit mir geredet
hatte; und meynte dann, er ſollte davon ſo geruͤhrt
werden wie ich. Bisweilen that er, mir zu gefallen,
wirklich dergleichen *); aber ich merkte wohl, daß

*) Dergleichen thun. Schweizerſcher Provinzialaus-
druck für: Sich ſo ſtellen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0062" n="46"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">XXIII.</hi><lb/><hi rendition="#fr">Unterwei&#x017F;ung</hi></hi>.</head><lb/>
        <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">(1752.)</hi> </hi> </p><lb/>
        <p><hi rendition="#in">I</hi>nde&#x017F;&#x017F;en wundert&#x2019; es mich doch bisweilen &#x017F;ehr, wie<lb/>
mein Vater und der Pfarrer von die&#x017F;em und jenem<lb/>
Spruch in der Bibel, von die&#x017F;em und jenem Bu&#x0364;ch-<lb/>
lin denke. Letztrer kam oft zu uns, &#x017F;elb&#x017F;t zu Win-<lb/>
terszeit, wenn er &#x017F;chier im Schnee &#x017F;tecken blieb. Da<lb/>
war ich &#x017F;ehr aufmerk&#x017F;am auf alle Discur&#x017F;e, und<lb/>
merkte bald, daß &#x017F;ie mei&#x017F;t bey Weitem nicht einerley<lb/>
Meinung waren. Anfangs kam&#x2019;s mir unbegreiflich<lb/>
vor, wie doch der Aeti &#x017F;o frech &#x017F;eyn, und dem Pfar-<lb/>
rer wider&#x017F;prechen du&#x0364;rfe? Dann dacht ich auf der<lb/>
andern Seite wieder: Aber mein Vater und der<lb/><hi rendition="#fr">flu&#x0364;chtige Pater</hi> zu&#x017F;ammen &#x017F;ind doch auch keine Narren,<lb/>
und &#x017F;cho&#x0364;pfen ihre Gru&#x0364;nde ja wie jener aus der glei-<lb/>
chen Bibel. Das ging dann in meinem Sinn &#x017F;o hin<lb/>
und her, bis ich&#x2019;s etwa wieder vergaß, und andern<lb/>
Fanta&#x017F;eyen nachhieng. Inzwi&#x017F;chen kam ich in dem<lb/>
na&#x0364;mlichen Jahr zu die&#x017F;em Pfarrer, <hi rendition="#fr">Heinrich Na&#x0364;f</hi><lb/>
von <hi rendition="#fr">Zu&#x0364;rich</hi>, in die Unterwei&#x017F;ung zum H. Abendmal.<lb/>
Er unterrichtete mich &#x017F;ehr gut und gru&#x0364;ndlich, und<lb/>
war mir in der Seele lieb. Oft erza&#x0364;hlt&#x2019; ich meinem<lb/>
Vater ganze Stunden lang, was er mit mir geredet<lb/>
hatte; und meynte dann, er &#x017F;ollte davon &#x017F;o geru&#x0364;hrt<lb/>
werden wie ich. Bisweilen that er, mir zu gefallen,<lb/>
wirklich dergleichen <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Dergleichen thun</hi>. Schweizer&#x017F;cher Provinzialaus-<lb/>
druck für: <hi rendition="#g">Sich &#x017F;o &#x017F;tellen</hi>.</note>; aber ich merkte wohl, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0062] XXIII. Unterweiſung. (1752.) Indeſſen wundert’ es mich doch bisweilen ſehr, wie mein Vater und der Pfarrer von dieſem und jenem Spruch in der Bibel, von dieſem und jenem Buͤch- lin denke. Letztrer kam oft zu uns, ſelbſt zu Win- terszeit, wenn er ſchier im Schnee ſtecken blieb. Da war ich ſehr aufmerkſam auf alle Discurſe, und merkte bald, daß ſie meiſt bey Weitem nicht einerley Meinung waren. Anfangs kam’s mir unbegreiflich vor, wie doch der Aeti ſo frech ſeyn, und dem Pfar- rer widerſprechen duͤrfe? Dann dacht ich auf der andern Seite wieder: Aber mein Vater und der fluͤchtige Pater zuſammen ſind doch auch keine Narren, und ſchoͤpfen ihre Gruͤnde ja wie jener aus der glei- chen Bibel. Das ging dann in meinem Sinn ſo hin und her, bis ich’s etwa wieder vergaß, und andern Fantaſeyen nachhieng. Inzwiſchen kam ich in dem naͤmlichen Jahr zu dieſem Pfarrer, Heinrich Naͤf von Zuͤrich, in die Unterweiſung zum H. Abendmal. Er unterrichtete mich ſehr gut und gruͤndlich, und war mir in der Seele lieb. Oft erzaͤhlt’ ich meinem Vater ganze Stunden lang, was er mit mir geredet hatte; und meynte dann, er ſollte davon ſo geruͤhrt werden wie ich. Bisweilen that er, mir zu gefallen, wirklich dergleichen *); aber ich merkte wohl, daß *) Dergleichen thun. Schweizerſcher Provinzialaus- druck für: Sich ſo ſtellen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/62
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/62>, abgerufen am 20.04.2024.