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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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"und beyde haben keines Kreutzers werth. Unsre
"Eltern vermöchten uns nur nicht, ein Nestlin zu
"schaffen; wir gäben ein ausgemachtes Bettelvölklin.
"Und wer weiß, das Glück ist kugelrund. Einmal
"ich lebe der guten Hoffnung" -- -- "Nun, wenn's
"so ist, was liegt mir dran"? fiel Aennchen ein.
"Aber, gelt! du kommst noch e'nmal zu mir eh'
"du gehst"? "Ja freylich, warum nicht"? ver-
setzt ich: "Das hätt' ich sonst gethan"! Itzt gieng
ich, wie gesagt, wirklich, meinem Herzgen das letzte
Lebewohl zu sagen. Sie stuhnd an der Thur -- sah
mein Reispäckgen, hüllte ihr hold gesenktes Köpfgen
in ihre Schürze, und schluchzte ohne ein Wort zu
sagen. Das Herz brach mir schier. Es machte mich
wirklich schon wankend in meinem Vorhaben, bis
ich mich wieder ein wenig erholt hatte. Da dacht'
ich: In Gottes Namen! es muß dann doch seyn,
so weh' es thut. Sie führt mich in ihr Kämmer-
in, setzt sich auf's Bett, zieht mich wild an ihren
Busen, und -- Ach! ich muß einen Vorhang über
diese Scene ziehn, so rein sie übrigens war, und so
honnigsüß mir noch Heute ihre Vergegenwärtigung
ist. Wer nie geliebt, kann's und soll's nicht wissen --
und wer geliebt hat, kann sich's vorstellen. Gnug,
wir liessen nicht ab, bis wir beyde matt von Drü-
cken -- geschwollen von Küssen -- naß von Thränen
waren, und die andächtige Nonne in der Nachbar-
schaft Mitternacht läutete. Dann riß ich mich end-
lich los aus Aennchens weichen, holden Armen.
"Muß es dann seyn"? sagte sie: "Ist auf Him-

„und beyde haben keines Kreutzers werth. Unſre
„Eltern vermoͤchten uns nur nicht, ein Neſtlin zu
„ſchaffen; wir gaͤben ein ausgemachtes Bettelvoͤlklin.
„Und wer weiß, das Gluͤck iſt kugelrund. Einmal
„ich lebe der guten Hoffnung„ — — „Nun, wenn’s
„ſo iſt, was liegt mir dran„? fiel Aennchen ein.
„Aber, gelt! du kommſt noch e’nmal zu mir eh’
„du gehſt„? „Ja freylich, warum nicht„? ver-
ſetzt ich: „Das haͤtt’ ich ſonſt gethan„! Itzt gieng
ich, wie geſagt, wirklich, meinem Herzgen das letzte
Lebewohl zu ſagen. Sie ſtuhnd an der Thur — ſah
mein Reispaͤckgen, huͤllte ihr hold geſenktes Koͤpfgen
in ihre Schuͤrze, und ſchluchzte ohne ein Wort zu
ſagen. Das Herz brach mir ſchier. Es machte mich
wirklich ſchon wankend in meinem Vorhaben, bis
ich mich wieder ein wenig erholt hatte. Da dacht’
ich: In Gottes Namen! es muß dann doch ſeyn,
ſo weh’ es thut. Sie fuͤhrt mich in ihr Kaͤmmer-
in, ſetzt ſich auf’s Bett, zieht mich wild an ihren
Buſen, und — Ach! ich muß einen Vorhang uͤber
dieſe Scene ziehn, ſo rein ſie uͤbrigens war, und ſo
honnigſuͤß mir noch Heute ihre Vergegenwaͤrtigung
iſt. Wer nie geliebt, kann’s und ſoll’s nicht wiſſen —
und wer geliebt hat, kann ſich’s vorſtellen. Gnug,
wir lieſſen nicht ab, bis wir beyde matt von Druͤ-
cken — geſchwollen von Kuͤſſen — naß von Thraͤnen
waren, und die andaͤchtige Nonne in der Nachbar-
ſchaft Mitternacht laͤutete. Dann riß ich mich end-
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[85/0101] „und beyde haben keines Kreutzers werth. Unſre „Eltern vermoͤchten uns nur nicht, ein Neſtlin zu „ſchaffen; wir gaͤben ein ausgemachtes Bettelvoͤlklin. „Und wer weiß, das Gluͤck iſt kugelrund. Einmal „ich lebe der guten Hoffnung„ — — „Nun, wenn’s „ſo iſt, was liegt mir dran„? fiel Aennchen ein. „Aber, gelt! du kommſt noch e’nmal zu mir eh’ „du gehſt„? „Ja freylich, warum nicht„? ver- ſetzt ich: „Das haͤtt’ ich ſonſt gethan„! Itzt gieng ich, wie geſagt, wirklich, meinem Herzgen das letzte Lebewohl zu ſagen. Sie ſtuhnd an der Thur — ſah mein Reispaͤckgen, huͤllte ihr hold geſenktes Koͤpfgen in ihre Schuͤrze, und ſchluchzte ohne ein Wort zu ſagen. Das Herz brach mir ſchier. Es machte mich wirklich ſchon wankend in meinem Vorhaben, bis ich mich wieder ein wenig erholt hatte. Da dacht’ ich: In Gottes Namen! es muß dann doch ſeyn, ſo weh’ es thut. Sie fuͤhrt mich in ihr Kaͤmmer- in, ſetzt ſich auf’s Bett, zieht mich wild an ihren Buſen, und — Ach! ich muß einen Vorhang uͤber dieſe Scene ziehn, ſo rein ſie uͤbrigens war, und ſo honnigſuͤß mir noch Heute ihre Vergegenwaͤrtigung iſt. Wer nie geliebt, kann’s und ſoll’s nicht wiſſen — und wer geliebt hat, kann ſich’s vorſtellen. Gnug, wir lieſſen nicht ab, bis wir beyde matt von Druͤ- cken — geſchwollen von Kuͤſſen — naß von Thraͤnen waren, und die andaͤchtige Nonne in der Nachbar- ſchaft Mitternacht laͤutete. Dann riß ich mich end- lich los aus Aennchens weichen, holden Armen. „Muß es dann ſeyn„? ſagte ſie: „Iſt auf Him-

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/101>, abgerufen am 19.04.2024.