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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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Gesetze nämlich, daß die Anziehungskraft in der zehnfachen Entfer-
nung nur ein Hunderttel dessen beträgt, was sie in der einfachen
Entfernung war, müßte die Anziehungskraft der Erde in der Ent-
fernung, wo die Sonne sich befindet, 400 mal so weit als der
Mond von uns ist, nur dessen betragen, was sie da be-
trägt, wo sich der Mond befindet. Da sie nun den Mond um 15
Fuß in 1 Minute zu sich heranzieht, so würde sie einen so weit als
die Sonne entfernten Körper nur Fuß in 1 Minute fort-
treiben; die Sonne dagegen zieht die Erde in 1 Minute 35 Fuß,
das ist weit über 300000 mal so viel von der Tangente ihrer Bahn
ab; die Wirkung der Sonne ist also in gleicher Entfernung weit
über 300000 mal so groß, als die Wirkung der Erde, und da wir
diese Anziehungskraft als eine Eigenschaft, die jedem Theilchen
Materie eigen ist, ansehen, so legen wir der Sonne eine mehr als
300000 mal so große Masse als der Erde bei, und berechnen auf
ähnliche Weise die Massen der Planeten.

Anziehungskraft der Berge.

Ich schließe hier noch einige Phänomene an, die auf diese ge-
genseitige Anziehungskraft der materiellen Theilchen, und auf die
Anziehungskraft der Weltkörper auf einander Beziehung haben.
Das eine dieser Phänomene beantwortet die Frage, ob denn jeder
Theil der Erde eine solche Attractionskraft besitzt, das andre zeigt,
daß der Mond auf alle Theilchen der Erde anziehend wirkt. Wenn
jeder Theil der Erde eine Anziehungskraft besitzt, so ist es offenbar,
daß eine kugelförmige Erde alle Körper genau gegen ihren Mittel-
punct anzieht, denn da (Fig. 54.) nach allen Seiten der Linie AC
die anziehenden Theilchen gleichförmig liegen, so heben die seitwärts
ziehenden Kräfte sich einander auf, und selbst die in B, D, gleich
entfernt von A liegenden Theilchen bringen zusammen einen verti-
calen Zug nach AC hervor. Aber wenn sich auf der Oberfläche
dieser kugelförmigen Erde ein Berg E befindet, so übt dieser eine
an der andern Seite nicht ausgeglichene Seitenkraft aus, und die
Richtung der Schwere muß in A ein wenig nach der einen Seite,
in G ein wenig nach der andern Seite von der Verticallinie abwei-
chen. Eine solche Ablenkung findet man wirklich in der Nähe von
Bergen, und obgleich der Winkel, um welchen die Richtung der

Geſetze naͤmlich, daß die Anziehungskraft in der zehnfachen Entfer-
nung nur ein Hunderttel deſſen betraͤgt, was ſie in der einfachen
Entfernung war, muͤßte die Anziehungskraft der Erde in der Ent-
fernung, wo die Sonne ſich befindet, 400 mal ſo weit als der
Mond von uns iſt, nur deſſen betragen, was ſie da be-
traͤgt, wo ſich der Mond befindet. Da ſie nun den Mond um 15
Fuß in 1 Minute zu ſich heranzieht, ſo wuͤrde ſie einen ſo weit als
die Sonne entfernten Koͤrper nur Fuß in 1 Minute fort-
treiben; die Sonne dagegen zieht die Erde in 1 Minute 35 Fuß,
das iſt weit uͤber 300000 mal ſo viel von der Tangente ihrer Bahn
ab; die Wirkung der Sonne iſt alſo in gleicher Entfernung weit
uͤber 300000 mal ſo groß, als die Wirkung der Erde, und da wir
dieſe Anziehungskraft als eine Eigenſchaft, die jedem Theilchen
Materie eigen iſt, anſehen, ſo legen wir der Sonne eine mehr als
300000 mal ſo große Maſſe als der Erde bei, und berechnen auf
aͤhnliche Weiſe die Maſſen der Planeten.

Anziehungskraft der Berge.

Ich ſchließe hier noch einige Phaͤnomene an, die auf dieſe ge-
genſeitige Anziehungskraft der materiellen Theilchen, und auf die
Anziehungskraft der Weltkoͤrper auf einander Beziehung haben.
Das eine dieſer Phaͤnomene beantwortet die Frage, ob denn jeder
Theil der Erde eine ſolche Attractionskraft beſitzt, das andre zeigt,
daß der Mond auf alle Theilchen der Erde anziehend wirkt. Wenn
jeder Theil der Erde eine Anziehungskraft beſitzt, ſo iſt es offenbar,
daß eine kugelfoͤrmige Erde alle Koͤrper genau gegen ihren Mittel-
punct anzieht, denn da (Fig. 54.) nach allen Seiten der Linie AC
die anziehenden Theilchen gleichfoͤrmig liegen, ſo heben die ſeitwaͤrts
ziehenden Kraͤfte ſich einander auf, und ſelbſt die in B, D, gleich
entfernt von A liegenden Theilchen bringen zuſammen einen verti-
calen Zug nach AC hervor. Aber wenn ſich auf der Oberflaͤche
dieſer kugelfoͤrmigen Erde ein Berg E befindet, ſo uͤbt dieſer eine
an der andern Seite nicht ausgeglichene Seitenkraft aus, und die
Richtung der Schwere muß in A ein wenig nach der einen Seite,
in G ein wenig nach der andern Seite von der Verticallinie abwei-
chen. Eine ſolche Ablenkung findet man wirklich in der Naͤhe von
Bergen, und obgleich der Winkel, um welchen die Richtung der

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[84/0106] Geſetze naͤmlich, daß die Anziehungskraft in der zehnfachen Entfer- nung nur ein Hunderttel deſſen betraͤgt, was ſie in der einfachen Entfernung war, muͤßte die Anziehungskraft der Erde in der Ent- fernung, wo die Sonne ſich befindet, 400 mal ſo weit als der Mond von uns iſt, nur [FORMEL] deſſen betragen, was ſie da be- traͤgt, wo ſich der Mond befindet. Da ſie nun den Mond um 15 Fuß in 1 Minute zu ſich heranzieht, ſo wuͤrde ſie einen ſo weit als die Sonne entfernten Koͤrper nur [FORMEL] Fuß in 1 Minute fort- treiben; die Sonne dagegen zieht die Erde in 1 Minute 35 Fuß, das iſt weit uͤber 300000 mal ſo viel von der Tangente ihrer Bahn ab; die Wirkung der Sonne iſt alſo in gleicher Entfernung weit uͤber 300000 mal ſo groß, als die Wirkung der Erde, und da wir dieſe Anziehungskraft als eine Eigenſchaft, die jedem Theilchen Materie eigen iſt, anſehen, ſo legen wir der Sonne eine mehr als 300000 mal ſo große Maſſe als der Erde bei, und berechnen auf aͤhnliche Weiſe die Maſſen der Planeten. Anziehungskraft der Berge. Ich ſchließe hier noch einige Phaͤnomene an, die auf dieſe ge- genſeitige Anziehungskraft der materiellen Theilchen, und auf die Anziehungskraft der Weltkoͤrper auf einander Beziehung haben. Das eine dieſer Phaͤnomene beantwortet die Frage, ob denn jeder Theil der Erde eine ſolche Attractionskraft beſitzt, das andre zeigt, daß der Mond auf alle Theilchen der Erde anziehend wirkt. Wenn jeder Theil der Erde eine Anziehungskraft beſitzt, ſo iſt es offenbar, daß eine kugelfoͤrmige Erde alle Koͤrper genau gegen ihren Mittel- punct anzieht, denn da (Fig. 54.) nach allen Seiten der Linie AC die anziehenden Theilchen gleichfoͤrmig liegen, ſo heben die ſeitwaͤrts ziehenden Kraͤfte ſich einander auf, und ſelbſt die in B, D, gleich entfernt von A liegenden Theilchen bringen zuſammen einen verti- calen Zug nach AC hervor. Aber wenn ſich auf der Oberflaͤche dieſer kugelfoͤrmigen Erde ein Berg E befindet, ſo uͤbt dieſer eine an der andern Seite nicht ausgeglichene Seitenkraft aus, und die Richtung der Schwere muß in A ein wenig nach der einen Seite, in G ein wenig nach der andern Seite von der Verticallinie abwei- chen. Eine ſolche Ablenkung findet man wirklich in der Naͤhe von Bergen, und obgleich der Winkel, um welchen die Richtung der

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/106>, abgerufen am 19.04.2024.