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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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heben die einander entgegengesetzten von NO, no auf M ausgeüb-
ten Anziehungen einander auf, und da dies für alle durch M gezogene
Richtungslinien gilt, so leidet M nach keiner Richtung eine Anzie-
hung von der gleichförmigen Kugelschichte ABCD, und eben dies
gilt, wenn auch die Kugelschichte irgend eine größere Dicke hätte.
Wäre die Erde also hohl und ihre innere Oberfläche hätte eine ge-
naue Kugelform, so wie die äußere, so daß die Mittelpuncte beider
zusammenfielen, so würde ein Punct M im Innern kein Bestreben,
nach irgend einer Seite hin zu fallen, zeigen. Aus eben dem Grun-
de ist die Kraft der Schwere, wenn wir uns in die überall als gleich
dicht vorausgesetzte Erde hinabsteigend denken, immer geringer, je
tiefer wir hinab kommen, immer nämlich nur durch die kleinere,
noch unter uns liegende Kugel hervorgebracht. Könnten wir so tief
in die Erde eindringen, daß wir den halben Erdhalbmesser über uns
hätten, so wäre, wofern die Erde überall gleich dicht ist, die Kraft
der Schwere nur noch halb so groß, als an der Oberfläche; denn
die unter uns bleibende Kugel ist freilich bei halb so großem Durch-
messer nur ein Achtel der ganzen Erde; aber der Mittelpunct dieser
Kugel ist nur halb so entfernt, also jedes Theilchen viermal so wirk-
sam, und jenes Achtel hat daher gleichwohl eine halb so große Wirk-
samkeit, als die ganze Erde.

Fluth und Ebbe.

Ein zweites Phänomen wollte ich noch erwähnen, das in der
physischen Geographie höchst wichtig ist, und einen Beweis für die
Anziehungskraft der Sonne und des Mondes giebt, nämlich die
Ebbe und Fluth. Die Erde, die wir hier als ganz aus
Wasser bestehend ansehen können, würde, wenn sie sich nicht um
ihre Axe drehete, wegen der Anziehung aller ihrer Theile gegen ein-
ander, eine genaue Kugel sein; aber die anziehende Kraft des Mon-
des ändert diese Kugelgestalt. Die Bewegung der Erde um die
Sonne wird durch die anziehende Kraft der Sonne so bestimmt,
daß der Mittelpunct der Erde immer genau auf dieser Bahn bliebe,
wenn kein Mond da wäre. Denken wir uns aber den Mond plötz-
lich zwischen die Sonne und Erde in C hin gestellt (Fig. 56.), wo
er sich im Neumonde befindet, so zöge er den Mittelpunct C der
Erde ein wenig aus der Bahn gegen die Sonne zu; aber der Punct

heben die einander entgegengeſetzten von NO, no auf M ausgeuͤb-
ten Anziehungen einander auf, und da dies fuͤr alle durch M gezogene
Richtungslinien gilt, ſo leidet M nach keiner Richtung eine Anzie-
hung von der gleichfoͤrmigen Kugelſchichte ABCD, und eben dies
gilt, wenn auch die Kugelſchichte irgend eine groͤßere Dicke haͤtte.
Waͤre die Erde alſo hohl und ihre innere Oberflaͤche haͤtte eine ge-
naue Kugelform, ſo wie die aͤußere, ſo daß die Mittelpuncte beider
zuſammenfielen, ſo wuͤrde ein Punct M im Innern kein Beſtreben,
nach irgend einer Seite hin zu fallen, zeigen. Aus eben dem Grun-
de iſt die Kraft der Schwere, wenn wir uns in die uͤberall als gleich
dicht vorausgeſetzte Erde hinabſteigend denken, immer geringer, je
tiefer wir hinab kommen, immer naͤmlich nur durch die kleinere,
noch unter uns liegende Kugel hervorgebracht. Koͤnnten wir ſo tief
in die Erde eindringen, daß wir den halben Erdhalbmeſſer uͤber uns
haͤtten, ſo waͤre, wofern die Erde uͤberall gleich dicht iſt, die Kraft
der Schwere nur noch halb ſo groß, als an der Oberflaͤche; denn
die unter uns bleibende Kugel iſt freilich bei halb ſo großem Durch-
meſſer nur ein Achtel der ganzen Erde; aber der Mittelpunct dieſer
Kugel iſt nur halb ſo entfernt, alſo jedes Theilchen viermal ſo wirk-
ſam, und jenes Achtel hat daher gleichwohl eine halb ſo große Wirk-
ſamkeit, als die ganze Erde.

Fluth und Ebbe.

Ein zweites Phaͤnomen wollte ich noch erwaͤhnen, das in der
phyſiſchen Geographie hoͤchſt wichtig iſt, und einen Beweis fuͤr die
Anziehungskraft der Sonne und des Mondes giebt, naͤmlich die
Ebbe und Fluth. Die Erde, die wir hier als ganz aus
Waſſer beſtehend anſehen koͤnnen, wuͤrde, wenn ſie ſich nicht um
ihre Axe drehete, wegen der Anziehung aller ihrer Theile gegen ein-
ander, eine genaue Kugel ſein; aber die anziehende Kraft des Mon-
des aͤndert dieſe Kugelgeſtalt. Die Bewegung der Erde um die
Sonne wird durch die anziehende Kraft der Sonne ſo beſtimmt,
daß der Mittelpunct der Erde immer genau auf dieſer Bahn bliebe,
wenn kein Mond da waͤre. Denken wir uns aber den Mond ploͤtz-
lich zwiſchen die Sonne und Erde in C hin geſtellt (Fig. 56.), wo
er ſich im Neumonde befindet, ſo zoͤge er den Mittelpunct C der
Erde ein wenig aus der Bahn gegen die Sonne zu; aber der Punct

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[87/0109] heben die einander entgegengeſetzten von NO, no auf M ausgeuͤb- ten Anziehungen einander auf, und da dies fuͤr alle durch M gezogene Richtungslinien gilt, ſo leidet M nach keiner Richtung eine Anzie- hung von der gleichfoͤrmigen Kugelſchichte ABCD, und eben dies gilt, wenn auch die Kugelſchichte irgend eine groͤßere Dicke haͤtte. Waͤre die Erde alſo hohl und ihre innere Oberflaͤche haͤtte eine ge- naue Kugelform, ſo wie die aͤußere, ſo daß die Mittelpuncte beider zuſammenfielen, ſo wuͤrde ein Punct M im Innern kein Beſtreben, nach irgend einer Seite hin zu fallen, zeigen. Aus eben dem Grun- de iſt die Kraft der Schwere, wenn wir uns in die uͤberall als gleich dicht vorausgeſetzte Erde hinabſteigend denken, immer geringer, je tiefer wir hinab kommen, immer naͤmlich nur durch die kleinere, noch unter uns liegende Kugel hervorgebracht. Koͤnnten wir ſo tief in die Erde eindringen, daß wir den halben Erdhalbmeſſer uͤber uns haͤtten, ſo waͤre, wofern die Erde uͤberall gleich dicht iſt, die Kraft der Schwere nur noch halb ſo groß, als an der Oberflaͤche; denn die unter uns bleibende Kugel iſt freilich bei halb ſo großem Durch- meſſer nur ein Achtel der ganzen Erde; aber der Mittelpunct dieſer Kugel iſt nur halb ſo entfernt, alſo jedes Theilchen viermal ſo wirk- ſam, und jenes Achtel hat daher gleichwohl eine halb ſo große Wirk- ſamkeit, als die ganze Erde. Fluth und Ebbe. Ein zweites Phaͤnomen wollte ich noch erwaͤhnen, das in der phyſiſchen Geographie hoͤchſt wichtig iſt, und einen Beweis fuͤr die Anziehungskraft der Sonne und des Mondes giebt, naͤmlich die Ebbe und Fluth. Die Erde, die wir hier als ganz aus Waſſer beſtehend anſehen koͤnnen, wuͤrde, wenn ſie ſich nicht um ihre Axe drehete, wegen der Anziehung aller ihrer Theile gegen ein- ander, eine genaue Kugel ſein; aber die anziehende Kraft des Mon- des aͤndert dieſe Kugelgeſtalt. Die Bewegung der Erde um die Sonne wird durch die anziehende Kraft der Sonne ſo beſtimmt, daß der Mittelpunct der Erde immer genau auf dieſer Bahn bliebe, wenn kein Mond da waͤre. Denken wir uns aber den Mond ploͤtz- lich zwiſchen die Sonne und Erde in C hin geſtellt (Fig. 56.), wo er ſich im Neumonde befindet, ſo zoͤge er den Mittelpunct C der Erde ein wenig aus der Bahn gegen die Sonne zu; aber der Punct

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/109>, abgerufen am 25.04.2024.