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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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Erste Vorlesung.



Einleitung.

Wenn wir, meine hochgeehrten Herren, die uns umgebende
Natur anblicken, wenn wir die mannigfaltigen Erscheinungen,
welche in unaufhörlichem Wechsel vor uns vorübergehen, wahr-
nehmen, wenn wir darauf achten, wie fast kein Augenblick unsers
Lebens vorbeigeht, der uns nicht zu der Frage auffordert, woher
alle diese Erscheinungen entstehen, welcher Zusammenhang zwischen
ihnen statt findet, aus welchen Ursachen sie hervorgehen: so
drängt sich uns gewiß die Ueberzeugung auf, daß die Natur-
kunde, das ist diejenige Wissenschaft, welche uns über alle Er-
scheinungen der Natur näher unterrichten soll, nicht bloß eine
unendlich reichhaltige Wissenschaft, sondern auch eine der wichtig-
sten und anziehendsten Wissenschaften sein muß. Reichhaltig,
weil sie ja das unermeßliche Gebiet alles dessen, was die Sinnen-
welt uns wahrzunehmen darbietet, umfaßt, weil sie in diesem
anscheinend regellosen Gewirre unendlich mannigfaltiger Verän-
derungen, Ordnung und Gesetze auffinden soll; wichtig, weil sie
uns die Mittel lehren muß, um die Gefahren abzuwenden, mit
denen die feindlich uns umgebenden Kräfte der Natur uns be-
drohen, weil sie uns die Regeln angeben muß, wie wir diese
Naturkräfte zu unserm Nutzen anwenden können; anziehend, den
Geist erheiternd und erhebend, weil wir gewiß alle die Bestim-
mung in uns fühlen, den Schauplatz, auf welchen eine höhere
Weisheit uns geführt hat, kennen zu lernen, an dieser Kenntniß
die uns verliehenen Geisteskräfte zu üben und zu stärken, und
durch eine weise Herrschaft über die Natur, so weit sie uns zu
erlangen gestattet ist, einen wichtigen Theil unsrer irdischen Be-
stimmung zu erfüllen.


I. A
Erſte Vorleſung.



Einleitung.

Wenn wir, meine hochgeehrten Herren, die uns umgebende
Natur anblicken, wenn wir die mannigfaltigen Erſcheinungen,
welche in unaufhoͤrlichem Wechſel vor uns voruͤbergehen, wahr-
nehmen, wenn wir darauf achten, wie faſt kein Augenblick unſers
Lebens vorbeigeht, der uns nicht zu der Frage auffordert, woher
alle dieſe Erſcheinungen entſtehen, welcher Zuſammenhang zwiſchen
ihnen ſtatt findet, aus welchen Urſachen ſie hervorgehen: ſo
draͤngt ſich uns gewiß die Ueberzeugung auf, daß die Natur-
kunde, das iſt diejenige Wiſſenſchaft, welche uns uͤber alle Er-
ſcheinungen der Natur naͤher unterrichten ſoll, nicht bloß eine
unendlich reichhaltige Wiſſenſchaft, ſondern auch eine der wichtig-
ſten und anziehendſten Wiſſenſchaften ſein muß. Reichhaltig,
weil ſie ja das unermeßliche Gebiet alles deſſen, was die Sinnen-
welt uns wahrzunehmen darbietet, umfaßt, weil ſie in dieſem
anſcheinend regelloſen Gewirre unendlich mannigfaltiger Veraͤn-
derungen, Ordnung und Geſetze auffinden ſoll; wichtig, weil ſie
uns die Mittel lehren muß, um die Gefahren abzuwenden, mit
denen die feindlich uns umgebenden Kraͤfte der Natur uns be-
drohen, weil ſie uns die Regeln angeben muß, wie wir dieſe
Naturkraͤfte zu unſerm Nutzen anwenden koͤnnen; anziehend, den
Geiſt erheiternd und erhebend, weil wir gewiß alle die Beſtim-
mung in uns fuͤhlen, den Schauplatz, auf welchen eine hoͤhere
Weisheit uns gefuͤhrt hat, kennen zu lernen, an dieſer Kenntniß
die uns verliehenen Geiſteskraͤfte zu uͤben und zu ſtaͤrken, und
durch eine weiſe Herrſchaft uͤber die Natur, ſo weit ſie uns zu
erlangen geſtattet iſt, einen wichtigen Theil unſrer irdiſchen Be-
ſtimmung zu erfuͤllen.


I. A
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[[1]/0023] Erſte Vorleſung. Einleitung. Wenn wir, meine hochgeehrten Herren, die uns umgebende Natur anblicken, wenn wir die mannigfaltigen Erſcheinungen, welche in unaufhoͤrlichem Wechſel vor uns voruͤbergehen, wahr- nehmen, wenn wir darauf achten, wie faſt kein Augenblick unſers Lebens vorbeigeht, der uns nicht zu der Frage auffordert, woher alle dieſe Erſcheinungen entſtehen, welcher Zuſammenhang zwiſchen ihnen ſtatt findet, aus welchen Urſachen ſie hervorgehen: ſo draͤngt ſich uns gewiß die Ueberzeugung auf, daß die Natur- kunde, das iſt diejenige Wiſſenſchaft, welche uns uͤber alle Er- ſcheinungen der Natur naͤher unterrichten ſoll, nicht bloß eine unendlich reichhaltige Wiſſenſchaft, ſondern auch eine der wichtig- ſten und anziehendſten Wiſſenſchaften ſein muß. Reichhaltig, weil ſie ja das unermeßliche Gebiet alles deſſen, was die Sinnen- welt uns wahrzunehmen darbietet, umfaßt, weil ſie in dieſem anſcheinend regelloſen Gewirre unendlich mannigfaltiger Veraͤn- derungen, Ordnung und Geſetze auffinden ſoll; wichtig, weil ſie uns die Mittel lehren muß, um die Gefahren abzuwenden, mit denen die feindlich uns umgebenden Kraͤfte der Natur uns be- drohen, weil ſie uns die Regeln angeben muß, wie wir dieſe Naturkraͤfte zu unſerm Nutzen anwenden koͤnnen; anziehend, den Geiſt erheiternd und erhebend, weil wir gewiß alle die Beſtim- mung in uns fuͤhlen, den Schauplatz, auf welchen eine hoͤhere Weisheit uns gefuͤhrt hat, kennen zu lernen, an dieſer Kenntniß die uns verliehenen Geiſteskraͤfte zu uͤben und zu ſtaͤrken, und durch eine weiſe Herrſchaft uͤber die Natur, ſo weit ſie uns zu erlangen geſtattet iſt, einen wichtigen Theil unſrer irdiſchen Be- ſtimmung zu erfuͤllen. I. A

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/23>, abgerufen am 25.04.2024.