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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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einmal gefaßte Meinung darf blenden lassen, und daß man sich
hüten muß, der Hypothese noch Vertrauen zu schenken, die sich
nicht als wahr bewährt.

Einzelne Hauptgegenstände der Naturlehre.

Diese Bemerkungen über die Art, wie die Naturforschung
getrieben werden muß, wie wir Naturgesetze entdecken und ihre
Richtigkeit bestätigen können, werden bald durch die Anwendung
noch deutlicher werden. Ueber die verschiedenen Gegenstände, die
sich in der Naturlehre unsrer Untersuchung darbieten, und die
daraus hervorgehenden einzelnen Zweige der Physik, ist es schwe-
rer hier schon etwas ganz Genügendes anzugeben. Die Frage,
was denn die Materie sei, oder was den Stoff zu allen unsern
sinnlichen Wahrnehmungen liefere, und welche nothwendige oder
zufällige Eigenschaften die Materie besitze, ist die erste, wozu wir
uns hingezogen finden. Die Bewegung, deren Gesetze wir, als
nothwendig, aus mathematischen Betrachtungen herleiten können,
bietet uns durch die mannigfaltigsten Anwendungen auf einzelne
Erscheinungen einen reichhaltigen Stoff zu Untersuchungen dar.
Die Erfahrungen ferner über diejenige Einwirkung der Körper
auf einander, wodurch ihr ganzes Wesen verändert zu werden
scheint, die Auflösungen, wo der feste Körper in einen flüssigen
übergeht, die Niederschläge, wo sich aus dem Flüssigen ein ganz
andrer fester Körper darstellt, bieten eine eigne Wissenschaft, die
Chemie dar, die in ihren besondern Anwendungen so reich ist,
daß man sie, als einen eignen Zweig der Naturwissenschaft, von der
Physik trennt, und nur ihre Grundzüge in der Physik vorzutra-
gen pflegt. Die übrigen Lehren der Physik lassen sich endlich in
vier Haupt-Abtheilungen bringen, da die Erfahrungen darauf
geleitet haben, die Erscheinungen, welche das Licht, die Wärme,
die Electricität und der Magnetismus darstellen, zu untersuchen,
und ihre Gesetze zu erforschen.

Anordnung des Vortrags. -- Nutzen des Studiums der
Physik
.

Um diese verschiedenen Lehren vollständig und gründlich dar-
zustellen, würde es nun freilich der Mathematik bedürfen; aber
da es Ihr Zweck nicht ist, den ganzen Reichthum schöner, aber

einmal gefaßte Meinung darf blenden laſſen, und daß man ſich
huͤten muß, der Hypotheſe noch Vertrauen zu ſchenken, die ſich
nicht als wahr bewaͤhrt.

Einzelne Hauptgegenſtaͤnde der Naturlehre.

Dieſe Bemerkungen uͤber die Art, wie die Naturforſchung
getrieben werden muß, wie wir Naturgeſetze entdecken und ihre
Richtigkeit beſtaͤtigen koͤnnen, werden bald durch die Anwendung
noch deutlicher werden. Ueber die verſchiedenen Gegenſtaͤnde, die
ſich in der Naturlehre unſrer Unterſuchung darbieten, und die
daraus hervorgehenden einzelnen Zweige der Phyſik, iſt es ſchwe-
rer hier ſchon etwas ganz Genuͤgendes anzugeben. Die Frage,
was denn die Materie ſei, oder was den Stoff zu allen unſern
ſinnlichen Wahrnehmungen liefere, und welche nothwendige oder
zufaͤllige Eigenſchaften die Materie beſitze, iſt die erſte, wozu wir
uns hingezogen finden. Die Bewegung, deren Geſetze wir, als
nothwendig, aus mathematiſchen Betrachtungen herleiten koͤnnen,
bietet uns durch die mannigfaltigſten Anwendungen auf einzelne
Erſcheinungen einen reichhaltigen Stoff zu Unterſuchungen dar.
Die Erfahrungen ferner uͤber diejenige Einwirkung der Koͤrper
auf einander, wodurch ihr ganzes Weſen veraͤndert zu werden
ſcheint, die Aufloͤſungen, wo der feſte Koͤrper in einen fluͤſſigen
uͤbergeht, die Niederſchlaͤge, wo ſich aus dem Fluͤſſigen ein ganz
andrer feſter Koͤrper darſtellt, bieten eine eigne Wiſſenſchaft, die
Chemie dar, die in ihren beſondern Anwendungen ſo reich iſt,
daß man ſie, als einen eignen Zweig der Naturwiſſenſchaft, von der
Phyſik trennt, und nur ihre Grundzuͤge in der Phyſik vorzutra-
gen pflegt. Die uͤbrigen Lehren der Phyſik laſſen ſich endlich in
vier Haupt-Abtheilungen bringen, da die Erfahrungen darauf
geleitet haben, die Erſcheinungen, welche das Licht, die Waͤrme,
die Electricitaͤt und der Magnetismus darſtellen, zu unterſuchen,
und ihre Geſetze zu erforſchen.

Anordnung des Vortrags. — Nutzen des Studiums der
Phyſik
.

Um dieſe verſchiedenen Lehren vollſtaͤndig und gruͤndlich dar-
zuſtellen, wuͤrde es nun freilich der Mathematik beduͤrfen; aber
da es Ihr Zweck nicht iſt, den ganzen Reichthum ſchoͤner, aber

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[9/0031] einmal gefaßte Meinung darf blenden laſſen, und daß man ſich huͤten muß, der Hypotheſe noch Vertrauen zu ſchenken, die ſich nicht als wahr bewaͤhrt. Einzelne Hauptgegenſtaͤnde der Naturlehre. Dieſe Bemerkungen uͤber die Art, wie die Naturforſchung getrieben werden muß, wie wir Naturgeſetze entdecken und ihre Richtigkeit beſtaͤtigen koͤnnen, werden bald durch die Anwendung noch deutlicher werden. Ueber die verſchiedenen Gegenſtaͤnde, die ſich in der Naturlehre unſrer Unterſuchung darbieten, und die daraus hervorgehenden einzelnen Zweige der Phyſik, iſt es ſchwe- rer hier ſchon etwas ganz Genuͤgendes anzugeben. Die Frage, was denn die Materie ſei, oder was den Stoff zu allen unſern ſinnlichen Wahrnehmungen liefere, und welche nothwendige oder zufaͤllige Eigenſchaften die Materie beſitze, iſt die erſte, wozu wir uns hingezogen finden. Die Bewegung, deren Geſetze wir, als nothwendig, aus mathematiſchen Betrachtungen herleiten koͤnnen, bietet uns durch die mannigfaltigſten Anwendungen auf einzelne Erſcheinungen einen reichhaltigen Stoff zu Unterſuchungen dar. Die Erfahrungen ferner uͤber diejenige Einwirkung der Koͤrper auf einander, wodurch ihr ganzes Weſen veraͤndert zu werden ſcheint, die Aufloͤſungen, wo der feſte Koͤrper in einen fluͤſſigen uͤbergeht, die Niederſchlaͤge, wo ſich aus dem Fluͤſſigen ein ganz andrer feſter Koͤrper darſtellt, bieten eine eigne Wiſſenſchaft, die Chemie dar, die in ihren beſondern Anwendungen ſo reich iſt, daß man ſie, als einen eignen Zweig der Naturwiſſenſchaft, von der Phyſik trennt, und nur ihre Grundzuͤge in der Phyſik vorzutra- gen pflegt. Die uͤbrigen Lehren der Phyſik laſſen ſich endlich in vier Haupt-Abtheilungen bringen, da die Erfahrungen darauf geleitet haben, die Erſcheinungen, welche das Licht, die Waͤrme, die Electricitaͤt und der Magnetismus darſtellen, zu unterſuchen, und ihre Geſetze zu erforſchen. Anordnung des Vortrags. — Nutzen des Studiums der Phyſik. Um dieſe verſchiedenen Lehren vollſtaͤndig und gruͤndlich dar- zuſtellen, wuͤrde es nun freilich der Mathematik beduͤrfen; aber da es Ihr Zweck nicht iſt, den ganzen Reichthum ſchoͤner, aber

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/31>, abgerufen am 24.04.2024.