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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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vorhanden wäre, also das Stück ab seine Schwingungen machen
sollte, während das doppelt so lange Stück bc gleichfalls seine
Schwingungen fortsetzte (Fig. 149.). Daß dies unmöglich ist, läßt
sich leicht übersehen; denn wenn in einem Zeitmomente die Saite
wirklich so wie abc (Fig. 149.) gekrümmt wäre, so hätte nach einer
gewissen Zeit ab einen ganzen Uebergang auf die andre Seite voll-
endet, bc aber wäre wegen seiner doppelt so großen Länge nur bis
zur Mitte zurückgekehrt, oder die Saite müßte nach Verlauf eines
solchen Zeittheiles die Form a'd'b'c', nach Verlauf zweier Zeittheile
sogar die Form a"d"b"e"c" haben, was gewiß nicht statt findet.
Wird die Saite also in b gedämpft und in d gestrichen, so nimmt
sie abwechselnd die Formen adbcef, a'd'b'c'e'f' an (Fig. 150.).
Indem aber die Saite so getheilt schwingt, kann sie zu gleicher Zeit
auch ganz schwingen. Dann sind, z. B. bei einem einzigen Schwin-
gungsknoten in der Mitte, die Formen in verschiedenen Zeitmomen-
ten, so wie ghikl, g'h'i'k'l', g"h"i"k"l" (Fig. 151.). In
diesem Falle hört das geübte Ohr einen doppelten Ton, einen der
wegen des schnelleren Vibrirens der halben Saite höher ist, verbun-
den mit dem Grundtone der ganzen Saite, der eine Octave tiefer
ist, wenn die ganze Saite sich nur in zwei gleiche Stücke theilt.

Schwingungen der Stäbe.

Die Saiten, von welchen wir so unzähligen Gebrauch machen,
verdienten wohl, daß wir ihnen eine etwas sorgfältige Aufmerksam-
keit widmeten; aber auch die schwingenden Stäbe geben uns zu ähn-
lichen Betrachtungen Veranlassung. Wenn ein elastischer Stab am
einen Ende befestigt ist, und durch das Streichen mit einem Vio-
linbogen oder auf ähnliche Weise in Zitterung gesetzt wird, so giebt
auch er, wenn er gleichförmig genug gearbeitet ist, um zu gleich-
mäßigen und nicht allzu langsamen Schwingungen geschickt zu sein,
einen Ton, und die mathematische Berechnung hat Mittel gefunden,
auch hier die Gesetze der Schwingung bei ungleicher Länge, Dicke
und Elasticität anzugeben. Die einfachste Schwingungs-Art ist
hier diejenige, wo der ganze Stab Vibrationen macht und von einer
Lage, wie ab (Fig. 152.), in die ab', und so wechselsweise über-
geht. Hier hängt die Kraft der Elasticität, welche den gebognen
Stab zu seiner natürlichen Lage zurückführt, von der natürlichen

vorhanden waͤre, alſo das Stuͤck ab ſeine Schwingungen machen
ſollte, waͤhrend das doppelt ſo lange Stuͤck bc gleichfalls ſeine
Schwingungen fortſetzte (Fig. 149.). Daß dies unmoͤglich iſt, laͤßt
ſich leicht uͤberſehen; denn wenn in einem Zeitmomente die Saite
wirklich ſo wie abc (Fig. 149.) gekruͤmmt waͤre, ſo haͤtte nach einer
gewiſſen Zeit ab einen ganzen Uebergang auf die andre Seite voll-
endet, bc aber waͤre wegen ſeiner doppelt ſo großen Laͤnge nur bis
zur Mitte zuruͤckgekehrt, oder die Saite muͤßte nach Verlauf eines
ſolchen Zeittheiles die Form a′d′b′c′, nach Verlauf zweier Zeittheile
ſogar die Form a″d″b″e″c″ haben, was gewiß nicht ſtatt findet.
Wird die Saite alſo in b gedaͤmpft und in d geſtrichen, ſo nimmt
ſie abwechſelnd die Formen adbcef, a′d′b′c′e′f′ an (Fig. 150.).
Indem aber die Saite ſo getheilt ſchwingt, kann ſie zu gleicher Zeit
auch ganz ſchwingen. Dann ſind, z. B. bei einem einzigen Schwin-
gungsknoten in der Mitte, die Formen in verſchiedenen Zeitmomen-
ten, ſo wie ghikl, g′h′i′k′l′, g″h″i″k″l″ (Fig. 151.). In
dieſem Falle hoͤrt das geuͤbte Ohr einen doppelten Ton, einen der
wegen des ſchnelleren Vibrirens der halben Saite hoͤher iſt, verbun-
den mit dem Grundtone der ganzen Saite, der eine Octave tiefer
iſt, wenn die ganze Saite ſich nur in zwei gleiche Stuͤcke theilt.

Schwingungen der Staͤbe.

Die Saiten, von welchen wir ſo unzaͤhligen Gebrauch machen,
verdienten wohl, daß wir ihnen eine etwas ſorgfaͤltige Aufmerkſam-
keit widmeten; aber auch die ſchwingenden Staͤbe geben uns zu aͤhn-
lichen Betrachtungen Veranlaſſung. Wenn ein elaſtiſcher Stab am
einen Ende befeſtigt iſt, und durch das Streichen mit einem Vio-
linbogen oder auf aͤhnliche Weiſe in Zitterung geſetzt wird, ſo giebt
auch er, wenn er gleichfoͤrmig genug gearbeitet iſt, um zu gleich-
maͤßigen und nicht allzu langſamen Schwingungen geſchickt zu ſein,
einen Ton, und die mathematiſche Berechnung hat Mittel gefunden,
auch hier die Geſetze der Schwingung bei ungleicher Laͤnge, Dicke
und Elaſticitaͤt anzugeben. Die einfachſte Schwingungs-Art iſt
hier diejenige, wo der ganze Stab Vibrationen macht und von einer
Lage, wie ab (Fig. 152.), in die ab′, und ſo wechſelsweiſe uͤber-
geht. Hier haͤngt die Kraft der Elaſticitaͤt, welche den gebognen
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[290/0312] vorhanden waͤre, alſo das Stuͤck ab ſeine Schwingungen machen ſollte, waͤhrend das doppelt ſo lange Stuͤck bc gleichfalls ſeine Schwingungen fortſetzte (Fig. 149.). Daß dies unmoͤglich iſt, laͤßt ſich leicht uͤberſehen; denn wenn in einem Zeitmomente die Saite wirklich ſo wie abc (Fig. 149.) gekruͤmmt waͤre, ſo haͤtte nach einer gewiſſen Zeit ab einen ganzen Uebergang auf die andre Seite voll- endet, bc aber waͤre wegen ſeiner doppelt ſo großen Laͤnge nur bis zur Mitte zuruͤckgekehrt, oder die Saite muͤßte nach Verlauf eines ſolchen Zeittheiles die Form a′d′b′c′, nach Verlauf zweier Zeittheile ſogar die Form a″d″b″e″c″ haben, was gewiß nicht ſtatt findet. Wird die Saite alſo in b gedaͤmpft und in d geſtrichen, ſo nimmt ſie abwechſelnd die Formen adbcef, a′d′b′c′e′f′ an (Fig. 150.). Indem aber die Saite ſo getheilt ſchwingt, kann ſie zu gleicher Zeit auch ganz ſchwingen. Dann ſind, z. B. bei einem einzigen Schwin- gungsknoten in der Mitte, die Formen in verſchiedenen Zeitmomen- ten, ſo wie ghikl, g′h′i′k′l′, g″h″i″k″l″ (Fig. 151.). In dieſem Falle hoͤrt das geuͤbte Ohr einen doppelten Ton, einen der wegen des ſchnelleren Vibrirens der halben Saite hoͤher iſt, verbun- den mit dem Grundtone der ganzen Saite, der eine Octave tiefer iſt, wenn die ganze Saite ſich nur in zwei gleiche Stuͤcke theilt. Schwingungen der Staͤbe. Die Saiten, von welchen wir ſo unzaͤhligen Gebrauch machen, verdienten wohl, daß wir ihnen eine etwas ſorgfaͤltige Aufmerkſam- keit widmeten; aber auch die ſchwingenden Staͤbe geben uns zu aͤhn- lichen Betrachtungen Veranlaſſung. Wenn ein elaſtiſcher Stab am einen Ende befeſtigt iſt, und durch das Streichen mit einem Vio- linbogen oder auf aͤhnliche Weiſe in Zitterung geſetzt wird, ſo giebt auch er, wenn er gleichfoͤrmig genug gearbeitet iſt, um zu gleich- maͤßigen und nicht allzu langſamen Schwingungen geſchickt zu ſein, einen Ton, und die mathematiſche Berechnung hat Mittel gefunden, auch hier die Geſetze der Schwingung bei ungleicher Laͤnge, Dicke und Elaſticitaͤt anzugeben. Die einfachſte Schwingungs-Art iſt hier diejenige, wo der ganze Stab Vibrationen macht und von einer Lage, wie ab (Fig. 152.), in die ab′, und ſo wechſelsweiſe uͤber- geht. Hier haͤngt die Kraft der Elaſticitaͤt, welche den gebognen Stab zu ſeiner natuͤrlichen Lage zuruͤckfuͤhrt, von der natuͤrlichen

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/312>, abgerufen am 16.04.2024.