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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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unelastischer Körper, weil nur die weichen und deshalb zu Ver-
suchen nicht gut anwendbaren Körper ganz ohne Elasticität sind.
Hängt man zwei elfenbeinerne Kugeln an gleich langen Fäden nahe
neben einander vor einem Gradbogen auf, in dessen Centro
die Fäden befestigt sind, und hebt, vom untersten Puncte an,
beide zu einer gleichen Anzahl von Graden, so erlangen sie gewiß
beim Fallen gleiche Geschwindigkeit; sie prallen beim Zusammen-
treffen so von einander ab, daß sie wieder dieselben Höhen er-
reichen, von welchen man sie fallen ließ. Wenn dagegen eine
dieser Kugeln auf 10 Grade, die andre auf 30 Grade gehoben
war, so geht beim Zurückprallen jene auf 30 Grade, diese auf 10
Grade. Hatte man die eine ganz in Ruhe gelassen, und die
andre von 30 Graden her fallen lassen, so geht nach dem Stoße
jene auf 30 Grade hinauf, und diese bleibt unten in Ruhe.
Sind die Kugeln ungleich und man läßt die kleinere, ich will
annehmen, nur den halben Durchmesser, nur ein Achtel der Masse
der größern enthaltende, ruhen, so wird diese viel weiter fortge-
stoßen, als die größere beim Antreffen und bei der Erlangung
ihrer Geschwindigkeit fortgegangen war. Hätte nämlich diese 9
Fuß Geschwindigkeit gehabt, so erlangt die kleinere, weil sie nur
1/8 jener Masse hat, 16 Fuß Geschwindigkeit, und wenn diese
eine dritte noch kleinere ruhende träfe, so würde die Geschwindig-
keit dieser dritten noch viel größer werden.

Hängt man fünf oder sechs gleiche Kugeln hinter einander auf,
und läßt die erste an die ruhenden übrigen treffen, so bleiben nach
dem Stoße alle, die letzte ausgenommen, in Ruhe, und diese
letzte erlangt die Geschwindigkeit, welche die erste vor dem Stoße
hatte. Im Augenblicke des Stoßes verliert nämlich die erste ihre
Geschwindigkeit ganz und überträgt sie auf die zweite; aber diese
trifft sogleich die dritte an und giebt ihr die erlangte Geschwindig-
keit, während sie selbst zur Ruhe kömmt; und so geht es fort,
bis zur letzten, welche abprallt. Läßt man zwei, hinter einander
liegende Kugeln, gehoben an die dritte stoßen, so prallen die
zwei letzten ab, und so ferner. Diese letzte Erscheinung erklärt
sich dadurch, daß die zwei gehobenen Kugeln doch nicht im aller-
strengsten Sinne gleichzeitig stoßen; indem eine sehr kleine, uns
unmerkliche Zwischenzeit zwischen dem Stoße der ersten Kugel und dem

unelaſtiſcher Koͤrper, weil nur die weichen und deshalb zu Ver-
ſuchen nicht gut anwendbaren Koͤrper ganz ohne Elaſticitaͤt ſind.
Haͤngt man zwei elfenbeinerne Kugeln an gleich langen Faͤden nahe
neben einander vor einem Gradbogen auf, in deſſen Centro
die Faͤden befeſtigt ſind, und hebt, vom unterſten Puncte an,
beide zu einer gleichen Anzahl von Graden, ſo erlangen ſie gewiß
beim Fallen gleiche Geſchwindigkeit; ſie prallen beim Zuſammen-
treffen ſo von einander ab, daß ſie wieder dieſelben Hoͤhen er-
reichen, von welchen man ſie fallen ließ. Wenn dagegen eine
dieſer Kugeln auf 10 Grade, die andre auf 30 Grade gehoben
war, ſo geht beim Zuruͤckprallen jene auf 30 Grade, dieſe auf 10
Grade. Hatte man die eine ganz in Ruhe gelaſſen, und die
andre von 30 Graden her fallen laſſen, ſo geht nach dem Stoße
jene auf 30 Grade hinauf, und dieſe bleibt unten in Ruhe.
Sind die Kugeln ungleich und man laͤßt die kleinere, ich will
annehmen, nur den halben Durchmeſſer, nur ein Achtel der Maſſe
der groͤßern enthaltende, ruhen, ſo wird dieſe viel weiter fortge-
ſtoßen, als die groͤßere beim Antreffen und bei der Erlangung
ihrer Geſchwindigkeit fortgegangen war. Haͤtte naͤmlich dieſe 9
Fuß Geſchwindigkeit gehabt, ſo erlangt die kleinere, weil ſie nur
⅛ jener Maſſe hat, 16 Fuß Geſchwindigkeit, und wenn dieſe
eine dritte noch kleinere ruhende traͤfe, ſo wuͤrde die Geſchwindig-
keit dieſer dritten noch viel groͤßer werden.

Haͤngt man fuͤnf oder ſechs gleiche Kugeln hinter einander auf,
und laͤßt die erſte an die ruhenden uͤbrigen treffen, ſo bleiben nach
dem Stoße alle, die letzte ausgenommen, in Ruhe, und dieſe
letzte erlangt die Geſchwindigkeit, welche die erſte vor dem Stoße
hatte. Im Augenblicke des Stoßes verliert naͤmlich die erſte ihre
Geſchwindigkeit ganz und uͤbertraͤgt ſie auf die zweite; aber dieſe
trifft ſogleich die dritte an und giebt ihr die erlangte Geſchwindig-
keit, waͤhrend ſie ſelbſt zur Ruhe koͤmmt; und ſo geht es fort,
bis zur letzten, welche abprallt. Laͤßt man zwei, hinter einander
liegende Kugeln, gehoben an die dritte ſtoßen, ſo prallen die
zwei letzten ab, und ſo ferner. Dieſe letzte Erſcheinung erklaͤrt
ſich dadurch, daß die zwei gehobenen Kugeln doch nicht im aller-
ſtrengſten Sinne gleichzeitig ſtoßen; indem eine ſehr kleine, uns
unmerkliche Zwiſchenzeit zwiſchen dem Stoße der erſten Kugel und dem

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[123/0145] unelaſtiſcher Koͤrper, weil nur die weichen und deshalb zu Ver- ſuchen nicht gut anwendbaren Koͤrper ganz ohne Elaſticitaͤt ſind. Haͤngt man zwei elfenbeinerne Kugeln an gleich langen Faͤden nahe neben einander vor einem Gradbogen auf, in deſſen Centro die Faͤden befeſtigt ſind, und hebt, vom unterſten Puncte an, beide zu einer gleichen Anzahl von Graden, ſo erlangen ſie gewiß beim Fallen gleiche Geſchwindigkeit; ſie prallen beim Zuſammen- treffen ſo von einander ab, daß ſie wieder dieſelben Hoͤhen er- reichen, von welchen man ſie fallen ließ. Wenn dagegen eine dieſer Kugeln auf 10 Grade, die andre auf 30 Grade gehoben war, ſo geht beim Zuruͤckprallen jene auf 30 Grade, dieſe auf 10 Grade. Hatte man die eine ganz in Ruhe gelaſſen, und die andre von 30 Graden her fallen laſſen, ſo geht nach dem Stoße jene auf 30 Grade hinauf, und dieſe bleibt unten in Ruhe. Sind die Kugeln ungleich und man laͤßt die kleinere, ich will annehmen, nur den halben Durchmeſſer, nur ein Achtel der Maſſe der groͤßern enthaltende, ruhen, ſo wird dieſe viel weiter fortge- ſtoßen, als die groͤßere beim Antreffen und bei der Erlangung ihrer Geſchwindigkeit fortgegangen war. Haͤtte naͤmlich dieſe 9 Fuß Geſchwindigkeit gehabt, ſo erlangt die kleinere, weil ſie nur ⅛ jener Maſſe hat, 16 Fuß Geſchwindigkeit, und wenn dieſe eine dritte noch kleinere ruhende traͤfe, ſo wuͤrde die Geſchwindig- keit dieſer dritten noch viel groͤßer werden. Haͤngt man fuͤnf oder ſechs gleiche Kugeln hinter einander auf, und laͤßt die erſte an die ruhenden uͤbrigen treffen, ſo bleiben nach dem Stoße alle, die letzte ausgenommen, in Ruhe, und dieſe letzte erlangt die Geſchwindigkeit, welche die erſte vor dem Stoße hatte. Im Augenblicke des Stoßes verliert naͤmlich die erſte ihre Geſchwindigkeit ganz und uͤbertraͤgt ſie auf die zweite; aber dieſe trifft ſogleich die dritte an und giebt ihr die erlangte Geſchwindig- keit, waͤhrend ſie ſelbſt zur Ruhe koͤmmt; und ſo geht es fort, bis zur letzten, welche abprallt. Laͤßt man zwei, hinter einander liegende Kugeln, gehoben an die dritte ſtoßen, ſo prallen die zwei letzten ab, und ſo ferner. Dieſe letzte Erſcheinung erklaͤrt ſich dadurch, daß die zwei gehobenen Kugeln doch nicht im aller- ſtrengſten Sinne gleichzeitig ſtoßen; indem eine ſehr kleine, uns unmerkliche Zwiſchenzeit zwiſchen dem Stoße der erſten Kugel und dem

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/145>, abgerufen am 25.04.2024.