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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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dem Daumen und zieht die Röhre heraus, so bleibt das Wasser in
ihr hängen und fließt weil die untere Oeffnung enge ist, auch dann
nicht aus, wenn man das ganze Instrument aus dem Wasser her-
vorhebt; erst wenn man die obere Oeffnung frei macht, also dem
Drucke der Luft den freien Zutritt auf die obere Fläche gestattet,
fängt das Wasser an, auszufließen. Ganz ebenso ist es mit der
Kunst, das Wasser im Siebe zu tragen, wo nämlich (Fig. 125.)
der untere Boden AB mit vielen feinen Löchern durchbohrt ist, durch
welche das Wasser nicht ausfließt, so lange man die obere Oeffnung
C mit dem Finger verschlossen hält. Selbst in einem etwas wei-
tern Glase kann man das Wasser durch den Druck der Luft erhal-
ten, wenn man die Oeffnung vor dem Umkehren des Glases mit
einem Blatte Papier bedeckt; dieses hindert nämlich, daß nicht, wie
es sonst so leicht geschieht, Wellen auf der untern Wasserfläche ent-
stehen; denn wo diese entstehen, wo auch nur in geringem Maaße
die etwas tiefer herabdringende, dadurch also in diesem Puncte einen
größern Druck ausübende Wassermasse mehr niederwärts drückt,
als in den benachbarten Puncten, da fängt gewiß das Wasser an
auszufließen, während dicht daneben, in den weniger Druck leidenden
Puncten, die Luft hinauf steigt. Bei sehr engen Oeffnungen findet
ein solches Ausweichen der Luft und des Wassers neben einander
nicht statt, und deshalb können wir oft aus einem Glase mit engen
Halse keinen Tropfen Wasser herausbringen, wenn wir es auch
so halten, daß die Oeffnung zu unterst ist.

Dieses Zurückhalten der Flüssigkeit in einer unten offenen
engen Röhre, kann zu einem bequemen Mittel dienen, um ohne
Verlust bei sehr genauen Abwägungen grade die Quantität in ein
Gefäß zu bringen, welche man verlangt. Steht zum Beispiel das
zu füllende Gefäß auf der Waageschale und der geringe Ausschlag
der Waage zeigt, daß nur noch eine sehr geringe Quantität hinzuzu-
thun ist, so taucht man eine enge Röhre in den noch übrigen Vor-
rath der Flüssigkeit, füllt sie, wie den Stechheber, und läßt durch
ein sehr kurzes Oeffnen des obern Endes nur grade soviel von der
Flüssigkeit, als man bedarf, in das auf der Waage stehende Gefäß
tröpfeln; oder ist ein wenig zu viel eingefüllt, so hebt man auf eben
die Weise wenige Tropfen daraus weg.



dem Daumen und zieht die Roͤhre heraus, ſo bleibt das Waſſer in
ihr haͤngen und fließt weil die untere Oeffnung enge iſt, auch dann
nicht aus, wenn man das ganze Inſtrument aus dem Waſſer her-
vorhebt; erſt wenn man die obere Oeffnung frei macht, alſo dem
Drucke der Luft den freien Zutritt auf die obere Flaͤche geſtattet,
faͤngt das Waſſer an, auszufließen. Ganz ebenſo iſt es mit der
Kunſt, das Waſſer im Siebe zu tragen, wo naͤmlich (Fig. 125.)
der untere Boden AB mit vielen feinen Loͤchern durchbohrt iſt, durch
welche das Waſſer nicht ausfließt, ſo lange man die obere Oeffnung
C mit dem Finger verſchloſſen haͤlt. Selbſt in einem etwas wei-
tern Glaſe kann man das Waſſer durch den Druck der Luft erhal-
ten, wenn man die Oeffnung vor dem Umkehren des Glaſes mit
einem Blatte Papier bedeckt; dieſes hindert naͤmlich, daß nicht, wie
es ſonſt ſo leicht geſchieht, Wellen auf der untern Waſſerflaͤche ent-
ſtehen; denn wo dieſe entſtehen, wo auch nur in geringem Maaße
die etwas tiefer herabdringende, dadurch alſo in dieſem Puncte einen
groͤßern Druck ausuͤbende Waſſermaſſe mehr niederwaͤrts druͤckt,
als in den benachbarten Puncten, da faͤngt gewiß das Waſſer an
auszufließen, waͤhrend dicht daneben, in den weniger Druck leidenden
Puncten, die Luft hinauf ſteigt. Bei ſehr engen Oeffnungen findet
ein ſolches Ausweichen der Luft und des Waſſers neben einander
nicht ſtatt, und deshalb koͤnnen wir oft aus einem Glaſe mit engen
Halſe keinen Tropfen Waſſer herausbringen, wenn wir es auch
ſo halten, daß die Oeffnung zu unterſt iſt.

Dieſes Zuruͤckhalten der Fluͤſſigkeit in einer unten offenen
engen Roͤhre, kann zu einem bequemen Mittel dienen, um ohne
Verluſt bei ſehr genauen Abwaͤgungen grade die Quantitaͤt in ein
Gefaͤß zu bringen, welche man verlangt. Steht zum Beiſpiel das
zu fuͤllende Gefaͤß auf der Waageſchale und der geringe Ausſchlag
der Waage zeigt, daß nur noch eine ſehr geringe Quantitaͤt hinzuzu-
thun iſt, ſo taucht man eine enge Roͤhre in den noch uͤbrigen Vor-
rath der Fluͤſſigkeit, fuͤllt ſie, wie den Stechheber, und laͤßt durch
ein ſehr kurzes Oeffnen des obern Endes nur grade ſoviel von der
Fluͤſſigkeit, als man bedarf, in das auf der Waage ſtehende Gefaͤß
troͤpfeln; oder iſt ein wenig zu viel eingefuͤllt, ſo hebt man auf eben
die Weiſe wenige Tropfen daraus weg.


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[233/0255] dem Daumen und zieht die Roͤhre heraus, ſo bleibt das Waſſer in ihr haͤngen und fließt weil die untere Oeffnung enge iſt, auch dann nicht aus, wenn man das ganze Inſtrument aus dem Waſſer her- vorhebt; erſt wenn man die obere Oeffnung frei macht, alſo dem Drucke der Luft den freien Zutritt auf die obere Flaͤche geſtattet, faͤngt das Waſſer an, auszufließen. Ganz ebenſo iſt es mit der Kunſt, das Waſſer im Siebe zu tragen, wo naͤmlich (Fig. 125.) der untere Boden AB mit vielen feinen Loͤchern durchbohrt iſt, durch welche das Waſſer nicht ausfließt, ſo lange man die obere Oeffnung C mit dem Finger verſchloſſen haͤlt. Selbſt in einem etwas wei- tern Glaſe kann man das Waſſer durch den Druck der Luft erhal- ten, wenn man die Oeffnung vor dem Umkehren des Glaſes mit einem Blatte Papier bedeckt; dieſes hindert naͤmlich, daß nicht, wie es ſonſt ſo leicht geſchieht, Wellen auf der untern Waſſerflaͤche ent- ſtehen; denn wo dieſe entſtehen, wo auch nur in geringem Maaße die etwas tiefer herabdringende, dadurch alſo in dieſem Puncte einen groͤßern Druck ausuͤbende Waſſermaſſe mehr niederwaͤrts druͤckt, als in den benachbarten Puncten, da faͤngt gewiß das Waſſer an auszufließen, waͤhrend dicht daneben, in den weniger Druck leidenden Puncten, die Luft hinauf ſteigt. Bei ſehr engen Oeffnungen findet ein ſolches Ausweichen der Luft und des Waſſers neben einander nicht ſtatt, und deshalb koͤnnen wir oft aus einem Glaſe mit engen Halſe keinen Tropfen Waſſer herausbringen, wenn wir es auch ſo halten, daß die Oeffnung zu unterſt iſt. Dieſes Zuruͤckhalten der Fluͤſſigkeit in einer unten offenen engen Roͤhre, kann zu einem bequemen Mittel dienen, um ohne Verluſt bei ſehr genauen Abwaͤgungen grade die Quantitaͤt in ein Gefaͤß zu bringen, welche man verlangt. Steht zum Beiſpiel das zu fuͤllende Gefaͤß auf der Waageſchale und der geringe Ausſchlag der Waage zeigt, daß nur noch eine ſehr geringe Quantitaͤt hinzuzu- thun iſt, ſo taucht man eine enge Roͤhre in den noch uͤbrigen Vor- rath der Fluͤſſigkeit, fuͤllt ſie, wie den Stechheber, und laͤßt durch ein ſehr kurzes Oeffnen des obern Endes nur grade ſoviel von der Fluͤſſigkeit, als man bedarf, in das auf der Waage ſtehende Gefaͤß troͤpfeln; oder iſt ein wenig zu viel eingefuͤllt, ſo hebt man auf eben die Weiſe wenige Tropfen daraus weg.

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/255>, abgerufen am 25.04.2024.