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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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blicke erheblicher wird, ja endlich sich selbst darin wahrnehmen läßt,
daß die untere Hälfte der Sonne abgeplatteter, als die obere Hälf-
te, erscheint. Dieses ist eine Wirkung der in der Nähe des Hori-
zontes stark zunehmenden Strahlenbrechung. Wenn der obere
Rand um 32 Minuten, der untere um 33 Minuten gehoben er-
scheint, so ist allerdings schon die Sonne im Verticaldurchmesser
um 1 Minute zu klein, aber das bemerken wir nicht; wenn dage-
gen der obere Rand z. B. 36 Minuten, der untere 44 Minuten
gehoben würde, so erschiene der Verticaldurchmesser um ganze 8 Mi-
nuten vermindert, also nur etwa 24 Minuten groß, statt daß der
Horizontaldurchmesser gegen 32 Minuten beträgt. Diese Erschei-
nung findet nach heißen Tagen statt, wenn bei Sonnen-Untergang
die unteren Luftschichten sich bedeutend abkühlen, während in der
Höhe noch die am Tage erlangte Wärme ziemlich unvermindert
fortdauert.

Ungewöhnliche Erscheinungen durch Strahlenbrechung.
Luftspiegelung. Fata Morgana.

Wenn man sich am Ufer des Meeres oder eines großen Stro-
mes befindet, so daß man entfernte Gegenstände am Ufer über die
Wasserfläche hin sieht, so verbindet sich mit dieser Erscheinung eine
andere. Man sieht Gegenstände über der Meeresfläche hervorragen,
die man sonst, ihrer großen Ferne wegen, nicht sehen konnte, die
sich hinter der Wölbung der Meeres-Oberfläche verbargen, die aber
jetzt, weil die Strahlenbrechung eine so sehr bedeutende Krümmung
der Lichtstrahlen veranlaßt, über dem Meere sichtbar werden. Man
bemerkt ferner, daß die Gegenstände nicht in ihren gewöhnlichen
Verhältnissen erscheinen, daß selbst Häuser, die nur eine Meile
entfernt sind, und die man immer zu sehen gewohnt ist, ganz an-
ders, weniger hoch in Vergleichung der Breite, sich darstellen, weil
auch bei ihnen die höhere Hebung des unteren Theiles in Verglei-
chung gegen den oberen sie als niedriger, ihre verticale Abmessung
als vermindert zeigt. Die Erscheinung kann noch auffallender wer-
den, wenn man in ein ganz flaches ebnes Land hineinsieht, indem
da bei solchem Zustande der Luft die hinter einander liegenden Ge-
genstände, die sonst einander zu verdecken pflegen und dem Auge
nur eine beschränkte Ansicht der nächsten Gegenden gestatten, nun

blicke erheblicher wird, ja endlich ſich ſelbſt darin wahrnehmen laͤßt,
daß die untere Haͤlfte der Sonne abgeplatteter, als die obere Haͤlf-
te, erſcheint. Dieſes iſt eine Wirkung der in der Naͤhe des Hori-
zontes ſtark zunehmenden Strahlenbrechung. Wenn der obere
Rand um 32 Minuten, der untere um 33 Minuten gehoben er-
ſcheint, ſo iſt allerdings ſchon die Sonne im Verticaldurchmeſſer
um 1 Minute zu klein, aber das bemerken wir nicht; wenn dage-
gen der obere Rand z. B. 36 Minuten, der untere 44 Minuten
gehoben wuͤrde, ſo erſchiene der Verticaldurchmeſſer um ganze 8 Mi-
nuten vermindert, alſo nur etwa 24 Minuten groß, ſtatt daß der
Horizontaldurchmeſſer gegen 32 Minuten betraͤgt. Dieſe Erſchei-
nung findet nach heißen Tagen ſtatt, wenn bei Sonnen-Untergang
die unteren Luftſchichten ſich bedeutend abkuͤhlen, waͤhrend in der
Hoͤhe noch die am Tage erlangte Waͤrme ziemlich unvermindert
fortdauert.

Ungewoͤhnliche Erſcheinungen durch Strahlenbrechung.
Luftſpiegelung. Fata Morgana.

Wenn man ſich am Ufer des Meeres oder eines großen Stro-
mes befindet, ſo daß man entfernte Gegenſtaͤnde am Ufer uͤber die
Waſſerflaͤche hin ſieht, ſo verbindet ſich mit dieſer Erſcheinung eine
andere. Man ſieht Gegenſtaͤnde uͤber der Meeresflaͤche hervorragen,
die man ſonſt, ihrer großen Ferne wegen, nicht ſehen konnte, die
ſich hinter der Woͤlbung der Meeres-Oberflaͤche verbargen, die aber
jetzt, weil die Strahlenbrechung eine ſo ſehr bedeutende Kruͤmmung
der Lichtſtrahlen veranlaßt, uͤber dem Meere ſichtbar werden. Man
bemerkt ferner, daß die Gegenſtaͤnde nicht in ihren gewoͤhnlichen
Verhaͤltniſſen erſcheinen, daß ſelbſt Haͤuſer, die nur eine Meile
entfernt ſind, und die man immer zu ſehen gewohnt iſt, ganz an-
ders, weniger hoch in Vergleichung der Breite, ſich darſtellen, weil
auch bei ihnen die hoͤhere Hebung des unteren Theiles in Verglei-
chung gegen den oberen ſie als niedriger, ihre verticale Abmeſſung
als vermindert zeigt. Die Erſcheinung kann noch auffallender wer-
den, wenn man in ein ganz flaches ebnes Land hineinſieht, indem
da bei ſolchem Zuſtande der Luft die hinter einander liegenden Ge-
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[162/0176] blicke erheblicher wird, ja endlich ſich ſelbſt darin wahrnehmen laͤßt, daß die untere Haͤlfte der Sonne abgeplatteter, als die obere Haͤlf- te, erſcheint. Dieſes iſt eine Wirkung der in der Naͤhe des Hori- zontes ſtark zunehmenden Strahlenbrechung. Wenn der obere Rand um 32 Minuten, der untere um 33 Minuten gehoben er- ſcheint, ſo iſt allerdings ſchon die Sonne im Verticaldurchmeſſer um 1 Minute zu klein, aber das bemerken wir nicht; wenn dage- gen der obere Rand z. B. 36 Minuten, der untere 44 Minuten gehoben wuͤrde, ſo erſchiene der Verticaldurchmeſſer um ganze 8 Mi- nuten vermindert, alſo nur etwa 24 Minuten groß, ſtatt daß der Horizontaldurchmeſſer gegen 32 Minuten betraͤgt. Dieſe Erſchei- nung findet nach heißen Tagen ſtatt, wenn bei Sonnen-Untergang die unteren Luftſchichten ſich bedeutend abkuͤhlen, waͤhrend in der Hoͤhe noch die am Tage erlangte Waͤrme ziemlich unvermindert fortdauert. Ungewoͤhnliche Erſcheinungen durch Strahlenbrechung. Luftſpiegelung. Fata Morgana. Wenn man ſich am Ufer des Meeres oder eines großen Stro- mes befindet, ſo daß man entfernte Gegenſtaͤnde am Ufer uͤber die Waſſerflaͤche hin ſieht, ſo verbindet ſich mit dieſer Erſcheinung eine andere. Man ſieht Gegenſtaͤnde uͤber der Meeresflaͤche hervorragen, die man ſonſt, ihrer großen Ferne wegen, nicht ſehen konnte, die ſich hinter der Woͤlbung der Meeres-Oberflaͤche verbargen, die aber jetzt, weil die Strahlenbrechung eine ſo ſehr bedeutende Kruͤmmung der Lichtſtrahlen veranlaßt, uͤber dem Meere ſichtbar werden. Man bemerkt ferner, daß die Gegenſtaͤnde nicht in ihren gewoͤhnlichen Verhaͤltniſſen erſcheinen, daß ſelbſt Haͤuſer, die nur eine Meile entfernt ſind, und die man immer zu ſehen gewohnt iſt, ganz an- ders, weniger hoch in Vergleichung der Breite, ſich darſtellen, weil auch bei ihnen die hoͤhere Hebung des unteren Theiles in Verglei- chung gegen den oberen ſie als niedriger, ihre verticale Abmeſſung als vermindert zeigt. Die Erſcheinung kann noch auffallender wer- den, wenn man in ein ganz flaches ebnes Land hineinſieht, indem da bei ſolchem Zuſtande der Luft die hinter einander liegenden Ge- genſtaͤnde, die ſonſt einander zu verdecken pflegen und dem Auge nur eine beſchraͤnkte Anſicht der naͤchſten Gegenden geſtatten, nun

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/176>, abgerufen am 25.04.2024.