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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

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Eiscrystalle. Schnee.

Der Grund, warum außer einer niedrigen Temperatur auch
einige Bewegung erfordert wird, damit Eis entstehe, scheint in
der regelmäßigen Bildung der Eiscrystalle zu liegen, bei welcher die
Theilchen nicht ganz in der Anordnung bleiben, welche sie im Wasser
hatten, und die daher eine Erschütterung, damit die neue Anord-
nung der Theilchen eintrete, fordert. Wirklich aber zeigt sich uns
eine solche bestimmte Anordnung, indem das Eis Crystalle bildet.
Wir sehen die Eisnadeln und Eisblättchen in einem Gefäße sich
immer unter Winkeln von 60 Graden an einander ansetzen, und
die Zwischenräume zwischen diesen füllen sich mit kleinern, ebenso
geneigten Nadeln aus. Wir sehen diese Eisbildung am leichtesten
und auch fast am vollständigsten bei dem Gefrieren der Fenster-
scheiben, deren dünne Wasserschichte sich gern mit großer Regel-
mäßigkeit in Crystalle bildet. Ist an einer Fensterscheibe nur sehr
wenig Feuchtigkeit, so finden wir einzelne sechsspitzige Sterne auf
ihr, die sich nur, wenn es zu sehr an Feuchtigkeit gefehlt hat, nicht
vollkommen zu sechsspitzigen Sternen ausbilden. Ist die Glas-
scheibe ganz mit einer dünnen Schichte Wasser bedeckt, so schießen
einzelne Eisnadeln an und an diese fügen sich unter dem Winkel
von 60 Graden andre Nadeln, die oft sehr schnell zunehmen, oft
in parallelen Richtungen einen bedeutenden Raum füllen. So
entstehen die Blumen an den Fenstern, bei denen die Krümmung
der einzelnen Nadeln wohl theils von Ungleichheiten im Glase,
theils von der mehr oder minderen Dicke der Wasserschichte herrührt.
Man hat diese Regelmäßigkeit der Crystalle als sechseckige und
dreieckige Prismen auch oft bei größern Eismassen gefunden;
Clarke aber glaubt gefunden zu haben, daß die eigentlich ursprüng-
liche Gestalt der Eiscrystalle das Rhomboid mit Winkeln von 60
und 120 Graden sei, daß aus diesem sich die größern Eiscrystalle
zusammensetzen, daß aber nur bei einem sehr langsamen Gefrieren,
bei gelinder Kälte, diese Grundform kenntlich bleibe *).

Eben diese Bildung in Eisnadeln, an welche sich feinere
Eisnadeln unter dem Winkel von 60 Gr. ansetzen, zeigt der Reif
und noch schöner der Schnee. Bei starkem Froste, am besten wenn

*) Gehlers Wörterb. Th. III. S. 111.
Eiscryſtalle. Schnee.

Der Grund, warum außer einer niedrigen Temperatur auch
einige Bewegung erfordert wird, damit Eis entſtehe, ſcheint in
der regelmaͤßigen Bildung der Eiscryſtalle zu liegen, bei welcher die
Theilchen nicht ganz in der Anordnung bleiben, welche ſie im Waſſer
hatten, und die daher eine Erſchuͤtterung, damit die neue Anord-
nung der Theilchen eintrete, fordert. Wirklich aber zeigt ſich uns
eine ſolche beſtimmte Anordnung, indem das Eis Cryſtalle bildet.
Wir ſehen die Eisnadeln und Eisblaͤttchen in einem Gefaͤße ſich
immer unter Winkeln von 60 Graden an einander anſetzen, und
die Zwiſchenraͤume zwiſchen dieſen fuͤllen ſich mit kleinern, ebenſo
geneigten Nadeln aus. Wir ſehen dieſe Eisbildung am leichteſten
und auch faſt am vollſtaͤndigſten bei dem Gefrieren der Fenſter-
ſcheiben, deren duͤnne Waſſerſchichte ſich gern mit großer Regel-
maͤßigkeit in Cryſtalle bildet. Iſt an einer Fenſterſcheibe nur ſehr
wenig Feuchtigkeit, ſo finden wir einzelne ſechsſpitzige Sterne auf
ihr, die ſich nur, wenn es zu ſehr an Feuchtigkeit gefehlt hat, nicht
vollkommen zu ſechsſpitzigen Sternen ausbilden. Iſt die Glas-
ſcheibe ganz mit einer duͤnnen Schichte Waſſer bedeckt, ſo ſchießen
einzelne Eisnadeln an und an dieſe fuͤgen ſich unter dem Winkel
von 60 Graden andre Nadeln, die oft ſehr ſchnell zunehmen, oft
in parallelen Richtungen einen bedeutenden Raum fuͤllen. So
entſtehen die Blumen an den Fenſtern, bei denen die Kruͤmmung
der einzelnen Nadeln wohl theils von Ungleichheiten im Glaſe,
theils von der mehr oder minderen Dicke der Waſſerſchichte herruͤhrt.
Man hat dieſe Regelmaͤßigkeit der Cryſtalle als ſechseckige und
dreieckige Prismen auch oft bei groͤßern Eismaſſen gefunden;
Clarke aber glaubt gefunden zu haben, daß die eigentlich urſpruͤng-
liche Geſtalt der Eiscryſtalle das Rhomboid mit Winkeln von 60
und 120 Graden ſei, daß aus dieſem ſich die groͤßern Eiscryſtalle
zuſammenſetzen, daß aber nur bei einem ſehr langſamen Gefrieren,
bei gelinder Kaͤlte, dieſe Grundform kenntlich bleibe *).

Eben dieſe Bildung in Eisnadeln, an welche ſich feinere
Eisnadeln unter dem Winkel von 60 Gr. anſetzen, zeigt der Reif
und noch ſchoͤner der Schnee. Bei ſtarkem Froſte, am beſten wenn

*) Gehlers Woͤrterb. Th. III. S. 111.
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[88/0102] Eiscryſtalle. Schnee. Der Grund, warum außer einer niedrigen Temperatur auch einige Bewegung erfordert wird, damit Eis entſtehe, ſcheint in der regelmaͤßigen Bildung der Eiscryſtalle zu liegen, bei welcher die Theilchen nicht ganz in der Anordnung bleiben, welche ſie im Waſſer hatten, und die daher eine Erſchuͤtterung, damit die neue Anord- nung der Theilchen eintrete, fordert. Wirklich aber zeigt ſich uns eine ſolche beſtimmte Anordnung, indem das Eis Cryſtalle bildet. Wir ſehen die Eisnadeln und Eisblaͤttchen in einem Gefaͤße ſich immer unter Winkeln von 60 Graden an einander anſetzen, und die Zwiſchenraͤume zwiſchen dieſen fuͤllen ſich mit kleinern, ebenſo geneigten Nadeln aus. Wir ſehen dieſe Eisbildung am leichteſten und auch faſt am vollſtaͤndigſten bei dem Gefrieren der Fenſter- ſcheiben, deren duͤnne Waſſerſchichte ſich gern mit großer Regel- maͤßigkeit in Cryſtalle bildet. Iſt an einer Fenſterſcheibe nur ſehr wenig Feuchtigkeit, ſo finden wir einzelne ſechsſpitzige Sterne auf ihr, die ſich nur, wenn es zu ſehr an Feuchtigkeit gefehlt hat, nicht vollkommen zu ſechsſpitzigen Sternen ausbilden. Iſt die Glas- ſcheibe ganz mit einer duͤnnen Schichte Waſſer bedeckt, ſo ſchießen einzelne Eisnadeln an und an dieſe fuͤgen ſich unter dem Winkel von 60 Graden andre Nadeln, die oft ſehr ſchnell zunehmen, oft in parallelen Richtungen einen bedeutenden Raum fuͤllen. So entſtehen die Blumen an den Fenſtern, bei denen die Kruͤmmung der einzelnen Nadeln wohl theils von Ungleichheiten im Glaſe, theils von der mehr oder minderen Dicke der Waſſerſchichte herruͤhrt. Man hat dieſe Regelmaͤßigkeit der Cryſtalle als ſechseckige und dreieckige Prismen auch oft bei groͤßern Eismaſſen gefunden; Clarke aber glaubt gefunden zu haben, daß die eigentlich urſpruͤng- liche Geſtalt der Eiscryſtalle das Rhomboid mit Winkeln von 60 und 120 Graden ſei, daß aus dieſem ſich die groͤßern Eiscryſtalle zuſammenſetzen, daß aber nur bei einem ſehr langſamen Gefrieren, bei gelinder Kaͤlte, dieſe Grundform kenntlich bleibe *). Eben dieſe Bildung in Eisnadeln, an welche ſich feinere Eisnadeln unter dem Winkel von 60 Gr. anſetzen, zeigt der Reif und noch ſchoͤner der Schnee. Bei ſtarkem Froſte, am beſten wenn *) Gehlers Woͤrterb. Th. III. S. 111.

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/102>, abgerufen am 19.04.2024.