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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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hunderte aus den Augen treiben soll. Dann wird es staunend um
sich schauen: an der Schwelle des 20. Jahrhunderts steht das Weib
voll Kraft und Würde, Einlaß begehrend in den großen Rath der
Menschheit, die Märtyrerkrone der Noth auf dem Haupt, in den
Händen die Siegespalme der Arbeit.




4. Fraueninteressen und Politik.

Lauter, eindringlicher denn je appellirt unsere Zeit an das
Jnteresse, an die Mitarbeit der Frauen: die Welt starrt in Waffen
zu Wasser und zu Lande, als ginge es einem männermordenden
Kriege entgegen. Die Massen des Volkes darben, um Kanonen zu
schaffen, die eine Gesellschaftsordnung vertheidigen sollen, in der
die Armen sich den Bissen vom Munde absparen müssen, um die
weiten Taschen der Reichen zu füllen. Protzenhaft tritt ihnen ihr
Ueberfluß vor Augen; die Menschheit, die millionenreiche, aus deren
Hand und Kopf all jene Pracht hervorging, steht frierend, hungernd
und dürstend vor den glänzenden Spiegelscheiben des Glücks.

So ist's überall. Sollten nicht all jene ursprünglichen Kräfte
der Frauen, - Liebe und Haß, Mitleid und Gerechtigkeit dabei rege
werden? Sie werden es ja wohl auch: es giebt Mäßigkeits- und
Sittlichkeitsapostel, Friedensfreunde und Frauenrechtler in Mengen
unter ihnen, und die Dinge, die sie vertreten, sind gewiß schön und
gut. Aber die Zeit fordert mehr als edle Gefühle, als Moral-
predigten und allgemeine Menschheitsbeglückung von uns. Von all
diesen Höhen müssen wir herunter in die Thäler täglicher Arbeit,
Pflichten und Forderungen.

Wer sich nur ein wenig mit den Fragen innerer und äußerer
Politik beschäftigt, die jetzt auf der Tagesordnung stehen, und die
Jnteressen des deutschen Volkes, vor Allem aber die seiner Vertreter
im Reichstage, in nächster Zeit noch beherrschen werden, der kann
sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Frauen ihre Theilnahmlosig-
keit ihnen gegenüber durch keinerlei stichhaltige Argumente begründen
können, daß sie sich vielmehr einer Pflichtvergessenheit schuldig machen,
wenn sie in ihr verharren. Und zwar sind es vor allem die er-
werbsthätigen Frauen, und unter ihnen wieder die Handarbeiterinnen,
in deren Lebens- und Arbeitsbedingungen die innere und äußere
Politik Deutschlands tief eingreift.

Die für ihr Verständniß an nächsten liegenden Fragen, die im
Reichstag erörtert werden und zur Entscheidung kommen, sind die der
Sozialreform, die sowohl Arbeiterschutz als Arbeiterversicherung in
sich schließt. Deutschland wird bekanntlich von all den Leuten, die
von der Ausbeutung der Arbeitskraft Anderer leben, als das klassische
Land der Sozialreform gepriesen, ja, sie versteigen sich sogar dazu,

hunderte aus den Augen treiben soll. Dann wird es staunend um
sich schauen: an der Schwelle des 20. Jahrhunderts steht das Weib
voll Kraft und Würde, Einlaß begehrend in den großen Rath der
Menschheit, die Märtyrerkrone der Noth auf dem Haupt, in den
Händen die Siegespalme der Arbeit.




4. Fraueninteressen und Politik.

Lauter, eindringlicher denn je appellirt unsere Zeit an das
Jnteresse, an die Mitarbeit der Frauen: die Welt starrt in Waffen
zu Wasser und zu Lande, als ginge es einem männermordenden
Kriege entgegen. Die Massen des Volkes darben, um Kanonen zu
schaffen, die eine Gesellschaftsordnung vertheidigen sollen, in der
die Armen sich den Bissen vom Munde absparen müssen, um die
weiten Taschen der Reichen zu füllen. Protzenhaft tritt ihnen ihr
Ueberfluß vor Augen; die Menschheit, die millionenreiche, aus deren
Hand und Kopf all jene Pracht hervorging, steht frierend, hungernd
und dürstend vor den glänzenden Spiegelscheiben des Glücks.

So ist‘s überall. Sollten nicht all jene ursprünglichen Kräfte
der Frauen, – Liebe und Haß, Mitleid und Gerechtigkeit dabei rege
werden? Sie werden es ja wohl auch: es giebt Mäßigkeits- und
Sittlichkeitsapostel, Friedensfreunde und Frauenrechtler in Mengen
unter ihnen, und die Dinge, die sie vertreten, sind gewiß schön und
gut. Aber die Zeit fordert mehr als edle Gefühle, als Moral-
predigten und allgemeine Menschheitsbeglückung von uns. Von all
diesen Höhen müssen wir herunter in die Thäler täglicher Arbeit,
Pflichten und Forderungen.

Wer sich nur ein wenig mit den Fragen innerer und äußerer
Politik beschäftigt, die jetzt auf der Tagesordnung stehen, und die
Jnteressen des deutschen Volkes, vor Allem aber die seiner Vertreter
im Reichstage, in nächster Zeit noch beherrschen werden, der kann
sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Frauen ihre Theilnahmlosig-
keit ihnen gegenüber durch keinerlei stichhaltige Argumente begründen
können, daß sie sich vielmehr einer Pflichtvergessenheit schuldig machen,
wenn sie in ihr verharren. Und zwar sind es vor allem die er-
werbsthätigen Frauen, und unter ihnen wieder die Handarbeiterinnen,
in deren Lebens- und Arbeitsbedingungen die innere und äußere
Politik Deutschlands tief eingreift.

Die für ihr Verständniß an nächsten liegenden Fragen, die im
Reichstag erörtert werden und zur Entscheidung kommen, sind die der
Sozialreform, die sowohl Arbeiterschutz als Arbeiterversicherung in
sich schließt. Deutschland wird bekanntlich von all den Leuten, die
von der Ausbeutung der Arbeitskraft Anderer leben, als das klassische
Land der Sozialreform gepriesen, ja, sie versteigen sich sogar dazu,

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[15/0014] hunderte aus den Augen treiben soll. Dann wird es staunend um sich schauen: an der Schwelle des 20. Jahrhunderts steht das Weib voll Kraft und Würde, Einlaß begehrend in den großen Rath der Menschheit, die Märtyrerkrone der Noth auf dem Haupt, in den Händen die Siegespalme der Arbeit. 4. Fraueninteressen und Politik. Lauter, eindringlicher denn je appellirt unsere Zeit an das Jnteresse, an die Mitarbeit der Frauen: die Welt starrt in Waffen zu Wasser und zu Lande, als ginge es einem männermordenden Kriege entgegen. Die Massen des Volkes darben, um Kanonen zu schaffen, die eine Gesellschaftsordnung vertheidigen sollen, in der die Armen sich den Bissen vom Munde absparen müssen, um die weiten Taschen der Reichen zu füllen. Protzenhaft tritt ihnen ihr Ueberfluß vor Augen; die Menschheit, die millionenreiche, aus deren Hand und Kopf all jene Pracht hervorging, steht frierend, hungernd und dürstend vor den glänzenden Spiegelscheiben des Glücks. So ist‘s überall. Sollten nicht all jene ursprünglichen Kräfte der Frauen, – Liebe und Haß, Mitleid und Gerechtigkeit dabei rege werden? Sie werden es ja wohl auch: es giebt Mäßigkeits- und Sittlichkeitsapostel, Friedensfreunde und Frauenrechtler in Mengen unter ihnen, und die Dinge, die sie vertreten, sind gewiß schön und gut. Aber die Zeit fordert mehr als edle Gefühle, als Moral- predigten und allgemeine Menschheitsbeglückung von uns. Von all diesen Höhen müssen wir herunter in die Thäler täglicher Arbeit, Pflichten und Forderungen. Wer sich nur ein wenig mit den Fragen innerer und äußerer Politik beschäftigt, die jetzt auf der Tagesordnung stehen, und die Jnteressen des deutschen Volkes, vor Allem aber die seiner Vertreter im Reichstage, in nächster Zeit noch beherrschen werden, der kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Frauen ihre Theilnahmlosig- keit ihnen gegenüber durch keinerlei stichhaltige Argumente begründen können, daß sie sich vielmehr einer Pflichtvergessenheit schuldig machen, wenn sie in ihr verharren. Und zwar sind es vor allem die er- werbsthätigen Frauen, und unter ihnen wieder die Handarbeiterinnen, in deren Lebens- und Arbeitsbedingungen die innere und äußere Politik Deutschlands tief eingreift. Die für ihr Verständniß an nächsten liegenden Fragen, die im Reichstag erörtert werden und zur Entscheidung kommen, sind die der Sozialreform, die sowohl Arbeiterschutz als Arbeiterversicherung in sich schließt. Deutschland wird bekanntlich von all den Leuten, die von der Ausbeutung der Arbeitskraft Anderer leben, als das klassische Land der Sozialreform gepriesen, ja, sie versteigen sich sogar dazu,

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/14>, abgerufen am 28.03.2024.