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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Wiederkäuer.
Umfange. Jn der Wirbelsäule fallen die ungewöhnlich langen, schmalen, beweglichen Halswirbel
auf. Die Zahl der rippentragenden Wirbel schwankt zwischen 12 und 15, die der rippenlosen zwi-
schen 4 und 7, die der Kreuzwirbel zwischen 3 und 6, die der Schwanzwirbel zwischen 6 und 20;
doch herrschen fast überall die mittleren Zahlen vor. Die Rippen sind sehr breit; das Schulterblatt
ist wenigstens doppelt so hoch, als breit; der Oberarm ist kurz und dick; die Handwurzel ist schmal
und hoch. Mittelhände und Mittelfüße bestehen aus je einem stark verlängerten Knochen, welcher
sich ursprünglich aus zweien zusammensetzte. Bei allen Wiederkäuern ohne Ausnahme sind nur zwei
Zehen, die dritte und vierte, vollkommen entwickelt. Der Mund zeichnet sich durch starke Lippen-
muskeln und innen durch zahlreiche Warzen aus; die Speicheldrüsen sind ansehnlich groß; der Magen
besteht, wie oben angegeben, aus vier verschiedenen Theilen. Jn dem verhältnißmäßig kleinen Ge-
hirn fallen die zahlreichen Windungen auf.

Nicht unwichtig zur Gruppirung und Bestimmung der Arten sind die Gehörne und Geweihe,
welche die Wiederkäuer tragen. Man unterscheidet zunächst zwei größere Gruppen: die scheiden-
hörnigen
und die geweihtragenden Zweihufer. Unter Scheidenhörnern, oder Hörnern
schlechthin, versteht man diejenigen Gebilde aus Hornmasse, welche, auf einer knochigen Unterlage der
sich fortsetzenden Stirnbeine ruhend, eigentlich nichts Anderes sind, als eine hornige Schale, und welche
niemals erneuert werden, sondern bei dem fortgesetzten Wachsthum nur an Größe zunehmen; Geweihe
dagegen heißen Hörner, welche nur auf kurzen Erhöhungen der Stirnbeine sitzen, durchaus aus fester
Knochenmasse bestehen und sich mit zunehmenden Alter bis zu einem gewissen Grade mehr und mehr
verästeln. Diese Geweihe werden alljährlich abgeworfen und nach Verlauf von einigen Monaten
durch neue ersetzt. Jn der Regel tragen sie blos die männlichen Thiere, während die Gehörne beiden
Geschlechtern gemeinsam zu sein pflegen. Die Hufe ändern in ihrer Gestalt und Größe vielfach
ab. Manche sind lang und schmal, andere breiter, diese scharfrandig, jene nach unten hin abge-
rundet u. s. w.

Die Wiederkäuer bewohnen mit Ausnahme Neuhollands alle Erdtheile. Eine sehr regelmäßige
Verbreitung der Hauptgruppen ist nicht zu verkennen. Am verbreitetsten sind die Stiere und Hirsche,
am beschränktesten die Girafen. Diese, das Kamel und die Antilopen, sind vorzugsweise afrikanisch,
die Hirsche dagegen gehören anderen Erdtheilen an, die Böcke, Schafe und Stiere fehlen in Süd-
amerika, die Moschusthiere sind nur in Afrika und auf den südasiatischen Jnseln heimisch.

Fast alle Wiederkäuer sind scheue, flüchtige, friedliche Thiere; sie sind leiblich sehr wohl aus-
gerüstet, geistig beschränkt. Viele leben in Herden, alle in Gesellschaften. Die einen bewohnen
das Gebirge, die anderen die Ebenen; keine einzige Art lebt eigentlich im Wasser, wohl aber ziehen
einige Sumpfniederungen den trockenen Ebenen vor. Jhre Nahrung besteht ausschließlich aus
Pflanzen. Diese lieben Gras, Blätter, Kräuter, junge Triebe und Wurzeln, jene mehr Körner
und Flechten. Das Weibchen wirft gewöhnlich nur ein Junges, seltener deren zwei, und blos aus-
nahmsweise drei. Die meisten Wiederkäuer nützen ebensowohl gezähmt, als im wilden Zustande mehr,
als sie schaden, wenn auch einzelne Arten da, wo der Anbau des Bodens eine gewisse Höhe erreicht
hat, nicht mehr geduldet werden können. Von den wildlebenden, wie von den zahmen wird Fleisch
und Fell, Horn und Haar aufs vielseitigste verwendet: die Wiederkäuer liefern, wie bekannt, den
größten Theil unserer Kleidung. Jm gezähmten Zustande zeigen sie sich zwar nicht klug, aber sehr
folgsam, geduldig und genügsam, und werden deshalb dem Menschen geradezu unentbehrlich. Blos
von den drei Familien der Moschusthiere, Girafen und Antilopen ist bisjetzt noch kein Glied als
Hausthier verwendet worden; von den übrigen hat sich der Mensch das eine oder das andere Mit-
glied zu seinem Diener und Sklaven gemacht. Alle wildlebenden bilden einen Hauptgegenstand der
Jagd und sind deshalb wahrhaft königlicher Ehren theilhaftig. Die Wiederkäuer erschienen in der
Tertiärzeit auf unserer Erde, und zwar so ziemlich in den noch gegenwärtig lebenden Formen, ob-
wohl in beschränkterer Verbreitung.

Wiederkäuer.
Umfange. Jn der Wirbelſäule fallen die ungewöhnlich langen, ſchmalen, beweglichen Halswirbel
auf. Die Zahl der rippentragenden Wirbel ſchwankt zwiſchen 12 und 15, die der rippenloſen zwi-
ſchen 4 und 7, die der Kreuzwirbel zwiſchen 3 und 6, die der Schwanzwirbel zwiſchen 6 und 20;
doch herrſchen faſt überall die mittleren Zahlen vor. Die Rippen ſind ſehr breit; das Schulterblatt
iſt wenigſtens doppelt ſo hoch, als breit; der Oberarm iſt kurz und dick; die Handwurzel iſt ſchmal
und hoch. Mittelhände und Mittelfüße beſtehen aus je einem ſtark verlängerten Knochen, welcher
ſich urſprünglich aus zweien zuſammenſetzte. Bei allen Wiederkäuern ohne Ausnahme ſind nur zwei
Zehen, die dritte und vierte, vollkommen entwickelt. Der Mund zeichnet ſich durch ſtarke Lippen-
muskeln und innen durch zahlreiche Warzen aus; die Speicheldrüſen ſind anſehnlich groß; der Magen
beſteht, wie oben angegeben, aus vier verſchiedenen Theilen. Jn dem verhältnißmäßig kleinen Ge-
hirn fallen die zahlreichen Windungen auf.

Nicht unwichtig zur Gruppirung und Beſtimmung der Arten ſind die Gehörne und Geweihe,
welche die Wiederkäuer tragen. Man unterſcheidet zunächſt zwei größere Gruppen: die ſcheiden-
hörnigen
und die geweihtragenden Zweihufer. Unter Scheidenhörnern, oder Hörnern
ſchlechthin, verſteht man diejenigen Gebilde aus Hornmaſſe, welche, auf einer knochigen Unterlage der
ſich fortſetzenden Stirnbeine ruhend, eigentlich nichts Anderes ſind, als eine hornige Schale, und welche
niemals erneuert werden, ſondern bei dem fortgeſetzten Wachsthum nur an Größe zunehmen; Geweihe
dagegen heißen Hörner, welche nur auf kurzen Erhöhungen der Stirnbeine ſitzen, durchaus aus feſter
Knochenmaſſe beſtehen und ſich mit zunehmenden Alter bis zu einem gewiſſen Grade mehr und mehr
veräſteln. Dieſe Geweihe werden alljährlich abgeworfen und nach Verlauf von einigen Monaten
durch neue erſetzt. Jn der Regel tragen ſie blos die männlichen Thiere, während die Gehörne beiden
Geſchlechtern gemeinſam zu ſein pflegen. Die Hufe ändern in ihrer Geſtalt und Größe vielfach
ab. Manche ſind lang und ſchmal, andere breiter, dieſe ſcharfrandig, jene nach unten hin abge-
rundet u. ſ. w.

Die Wiederkäuer bewohnen mit Ausnahme Neuhollands alle Erdtheile. Eine ſehr regelmäßige
Verbreitung der Hauptgruppen iſt nicht zu verkennen. Am verbreitetſten ſind die Stiere und Hirſche,
am beſchränkteſten die Girafen. Dieſe, das Kamel und die Antilopen, ſind vorzugsweiſe afrikaniſch,
die Hirſche dagegen gehören anderen Erdtheilen an, die Böcke, Schafe und Stiere fehlen in Süd-
amerika, die Moſchusthiere ſind nur in Afrika und auf den ſüdaſiatiſchen Jnſeln heimiſch.

Faſt alle Wiederkäuer ſind ſcheue, flüchtige, friedliche Thiere; ſie ſind leiblich ſehr wohl aus-
gerüſtet, geiſtig beſchränkt. Viele leben in Herden, alle in Geſellſchaften. Die einen bewohnen
das Gebirge, die anderen die Ebenen; keine einzige Art lebt eigentlich im Waſſer, wohl aber ziehen
einige Sumpfniederungen den trockenen Ebenen vor. Jhre Nahrung beſteht ausſchließlich aus
Pflanzen. Dieſe lieben Gras, Blätter, Kräuter, junge Triebe und Wurzeln, jene mehr Körner
und Flechten. Das Weibchen wirft gewöhnlich nur ein Junges, ſeltener deren zwei, und blos aus-
nahmsweiſe drei. Die meiſten Wiederkäuer nützen ebenſowohl gezähmt, als im wilden Zuſtande mehr,
als ſie ſchaden, wenn auch einzelne Arten da, wo der Anbau des Bodens eine gewiſſe Höhe erreicht
hat, nicht mehr geduldet werden können. Von den wildlebenden, wie von den zahmen wird Fleiſch
und Fell, Horn und Haar aufs vielſeitigſte verwendet: die Wiederkäuer liefern, wie bekannt, den
größten Theil unſerer Kleidung. Jm gezähmten Zuſtande zeigen ſie ſich zwar nicht klug, aber ſehr
folgſam, geduldig und genügſam, und werden deshalb dem Menſchen geradezu unentbehrlich. Blos
von den drei Familien der Moſchusthiere, Girafen und Antilopen iſt bisjetzt noch kein Glied als
Hausthier verwendet worden; von den übrigen hat ſich der Menſch das eine oder das andere Mit-
glied zu ſeinem Diener und Sklaven gemacht. Alle wildlebenden bilden einen Hauptgegenſtand der
Jagd und ſind deshalb wahrhaft königlicher Ehren theilhaftig. Die Wiederkäuer erſchienen in der
Tertiärzeit auf unſerer Erde, und zwar ſo ziemlich in den noch gegenwärtig lebenden Formen, ob-
wohl in beſchränkterer Verbreitung.

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[381/0405] Wiederkäuer. Umfange. Jn der Wirbelſäule fallen die ungewöhnlich langen, ſchmalen, beweglichen Halswirbel auf. Die Zahl der rippentragenden Wirbel ſchwankt zwiſchen 12 und 15, die der rippenloſen zwi- ſchen 4 und 7, die der Kreuzwirbel zwiſchen 3 und 6, die der Schwanzwirbel zwiſchen 6 und 20; doch herrſchen faſt überall die mittleren Zahlen vor. Die Rippen ſind ſehr breit; das Schulterblatt iſt wenigſtens doppelt ſo hoch, als breit; der Oberarm iſt kurz und dick; die Handwurzel iſt ſchmal und hoch. Mittelhände und Mittelfüße beſtehen aus je einem ſtark verlängerten Knochen, welcher ſich urſprünglich aus zweien zuſammenſetzte. Bei allen Wiederkäuern ohne Ausnahme ſind nur zwei Zehen, die dritte und vierte, vollkommen entwickelt. Der Mund zeichnet ſich durch ſtarke Lippen- muskeln und innen durch zahlreiche Warzen aus; die Speicheldrüſen ſind anſehnlich groß; der Magen beſteht, wie oben angegeben, aus vier verſchiedenen Theilen. Jn dem verhältnißmäßig kleinen Ge- hirn fallen die zahlreichen Windungen auf. Nicht unwichtig zur Gruppirung und Beſtimmung der Arten ſind die Gehörne und Geweihe, welche die Wiederkäuer tragen. Man unterſcheidet zunächſt zwei größere Gruppen: die ſcheiden- hörnigen und die geweihtragenden Zweihufer. Unter Scheidenhörnern, oder Hörnern ſchlechthin, verſteht man diejenigen Gebilde aus Hornmaſſe, welche, auf einer knochigen Unterlage der ſich fortſetzenden Stirnbeine ruhend, eigentlich nichts Anderes ſind, als eine hornige Schale, und welche niemals erneuert werden, ſondern bei dem fortgeſetzten Wachsthum nur an Größe zunehmen; Geweihe dagegen heißen Hörner, welche nur auf kurzen Erhöhungen der Stirnbeine ſitzen, durchaus aus feſter Knochenmaſſe beſtehen und ſich mit zunehmenden Alter bis zu einem gewiſſen Grade mehr und mehr veräſteln. Dieſe Geweihe werden alljährlich abgeworfen und nach Verlauf von einigen Monaten durch neue erſetzt. Jn der Regel tragen ſie blos die männlichen Thiere, während die Gehörne beiden Geſchlechtern gemeinſam zu ſein pflegen. Die Hufe ändern in ihrer Geſtalt und Größe vielfach ab. Manche ſind lang und ſchmal, andere breiter, dieſe ſcharfrandig, jene nach unten hin abge- rundet u. ſ. w. Die Wiederkäuer bewohnen mit Ausnahme Neuhollands alle Erdtheile. Eine ſehr regelmäßige Verbreitung der Hauptgruppen iſt nicht zu verkennen. Am verbreitetſten ſind die Stiere und Hirſche, am beſchränkteſten die Girafen. Dieſe, das Kamel und die Antilopen, ſind vorzugsweiſe afrikaniſch, die Hirſche dagegen gehören anderen Erdtheilen an, die Böcke, Schafe und Stiere fehlen in Süd- amerika, die Moſchusthiere ſind nur in Afrika und auf den ſüdaſiatiſchen Jnſeln heimiſch. Faſt alle Wiederkäuer ſind ſcheue, flüchtige, friedliche Thiere; ſie ſind leiblich ſehr wohl aus- gerüſtet, geiſtig beſchränkt. Viele leben in Herden, alle in Geſellſchaften. Die einen bewohnen das Gebirge, die anderen die Ebenen; keine einzige Art lebt eigentlich im Waſſer, wohl aber ziehen einige Sumpfniederungen den trockenen Ebenen vor. Jhre Nahrung beſteht ausſchließlich aus Pflanzen. Dieſe lieben Gras, Blätter, Kräuter, junge Triebe und Wurzeln, jene mehr Körner und Flechten. Das Weibchen wirft gewöhnlich nur ein Junges, ſeltener deren zwei, und blos aus- nahmsweiſe drei. Die meiſten Wiederkäuer nützen ebenſowohl gezähmt, als im wilden Zuſtande mehr, als ſie ſchaden, wenn auch einzelne Arten da, wo der Anbau des Bodens eine gewiſſe Höhe erreicht hat, nicht mehr geduldet werden können. Von den wildlebenden, wie von den zahmen wird Fleiſch und Fell, Horn und Haar aufs vielſeitigſte verwendet: die Wiederkäuer liefern, wie bekannt, den größten Theil unſerer Kleidung. Jm gezähmten Zuſtande zeigen ſie ſich zwar nicht klug, aber ſehr folgſam, geduldig und genügſam, und werden deshalb dem Menſchen geradezu unentbehrlich. Blos von den drei Familien der Moſchusthiere, Girafen und Antilopen iſt bisjetzt noch kein Glied als Hausthier verwendet worden; von den übrigen hat ſich der Menſch das eine oder das andere Mit- glied zu ſeinem Diener und Sklaven gemacht. Alle wildlebenden bilden einen Hauptgegenſtand der Jagd und ſind deshalb wahrhaft königlicher Ehren theilhaftig. Die Wiederkäuer erſchienen in der Tertiärzeit auf unſerer Erde, und zwar ſo ziemlich in den noch gegenwärtig lebenden Formen, ob- wohl in beſchränkterer Verbreitung.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/405>, abgerufen am 23.04.2024.