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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Tobiasfisch. Sandlanze.
die alte morgenländische Sage darin gefallen hat, die kleinen, zierlichen Fischlein als den großen
Tigrisbewohner anzusehen, welcher den ängstlichen Tobias fressen wollte, auf den Rath des Engels
aber an den Floßfedern gepackt, auf das Land gezogen, aus einander gehauen und des Herzens, der
Galle und der Leber beraubt wurde. Häufiger als der zu Ehren des frommen Teufelsbanners
genannte Fisch ist die ihm sehr verwandte Sandlanze (Ammodytes lancea). Beide unterscheiden
sich dadurch, daß beim Tobiasfisch die Rückenflosse hinter, bei der Sandlanze über der Brustflosse
eingelenkt und erstere größer ist als letztere. Die Färbung der Oberseite ist bräunlich, die der
unteren silberglänzend. Jn der Rückenflosse des Tobiasfisches stehen 55, in der Brustflosse 15, der
Afterflosse 29, der Schwanzflosse 17, in der Rückenflosse der Sandlanze 51, der Brustflosse 13, der
Afterflosse 25, der Schwanzflosse 15 Strahlen. Die Länge jenes beträgt bis 151/2, die der Sand-
lanze 10 bis 12 Zoll.

[Abbildung] Der Tobiasfisch (Ammodytes Toblanus). Nat. Größe bis 151/2 Zoll.

Beide Sandaale bewohnen die nördlicheren Meere, und zwar flache, sandige Küsten, schwimmen
während der Flut oft in zahlreicher Menge sehr rasch umher, auf allerlei Würmer und junge Fisch-
brut jagend und namentlich an warmen Abenden durch wiederholte Sprünge über die Oberfläche des
Wassers sich vergnügend, während sie bei rückkehrender Ebbe sich in den Sand zu graben und hier
bis zur Wiederkunft der Flut zu verweilen pflegen. Ueber ihre Fortpflanzung ist man noch immer
nicht im Klaren. Die Monate Mai, August und Dezember werden als die Laichzeit angegeben;
Junge von etwa vier Zoll Länge bemerkt man im April und hält sie für die Brut des vorher-
gehenden Jahres.

Heutigentages benutzt man die Sandaale anders als Tobias seinen Tigrissisch. Selbst die
abergläubigsten Fischer überlassen das Geschäft, "böse Gespenste" von Männern und Frauen zu
vertreiben, Denen, welche solche böse Gespenste überhaupt noch fürchten; sie gebrauchen ihre gefangenen
Sandaale einzig und allein als Köder für andere Fische. Am mittelländischen Meere soll man
allerdings die dort vorkommende Art auch essen, und an der Küste Grönlands wird der Tobiasfisch
und die Sandlanze, wie alles überhaupt Genießbare verzehrt, ebensowohl frisch als getrocknet; an

Tobiasfiſch. Sandlanze.
die alte morgenländiſche Sage darin gefallen hat, die kleinen, zierlichen Fiſchlein als den großen
Tigrisbewohner anzuſehen, welcher den ängſtlichen Tobias freſſen wollte, auf den Rath des Engels
aber an den Floßfedern gepackt, auf das Land gezogen, aus einander gehauen und des Herzens, der
Galle und der Leber beraubt wurde. Häufiger als der zu Ehren des frommen Teufelsbanners
genannte Fiſch iſt die ihm ſehr verwandte Sandlanze (Ammodytes lancea). Beide unterſcheiden
ſich dadurch, daß beim Tobiasfiſch die Rückenfloſſe hinter, bei der Sandlanze über der Bruſtfloſſe
eingelenkt und erſtere größer iſt als letztere. Die Färbung der Oberſeite iſt bräunlich, die der
unteren ſilberglänzend. Jn der Rückenfloſſe des Tobiasfiſches ſtehen 55, in der Bruſtfloſſe 15, der
Afterfloſſe 29, der Schwanzfloſſe 17, in der Rückenfloſſe der Sandlanze 51, der Bruſtfloſſe 13, der
Afterfloſſe 25, der Schwanzfloſſe 15 Strahlen. Die Länge jenes beträgt bis 15½, die der Sand-
lanze 10 bis 12 Zoll.

[Abbildung] Der Tobiasfiſch (Ammodytes Toblanus). Nat. Größe bis 15½ Zoll.

Beide Sandaale bewohnen die nördlicheren Meere, und zwar flache, ſandige Küſten, ſchwimmen
während der Flut oft in zahlreicher Menge ſehr raſch umher, auf allerlei Würmer und junge Fiſch-
brut jagend und namentlich an warmen Abenden durch wiederholte Sprünge über die Oberfläche des
Waſſers ſich vergnügend, während ſie bei rückkehrender Ebbe ſich in den Sand zu graben und hier
bis zur Wiederkunft der Flut zu verweilen pflegen. Ueber ihre Fortpflanzung iſt man noch immer
nicht im Klaren. Die Monate Mai, Auguſt und Dezember werden als die Laichzeit angegeben;
Junge von etwa vier Zoll Länge bemerkt man im April und hält ſie für die Brut des vorher-
gehenden Jahres.

Heutigentages benutzt man die Sandaale anders als Tobias ſeinen Tigrisſiſch. Selbſt die
abergläubigſten Fiſcher überlaſſen das Geſchäft, „böſe Geſpenſte“ von Männern und Frauen zu
vertreiben, Denen, welche ſolche böſe Geſpenſte überhaupt noch fürchten; ſie gebrauchen ihre gefangenen
Sandaale einzig und allein als Köder für andere Fiſche. Am mittelländiſchen Meere ſoll man
allerdings die dort vorkommende Art auch eſſen, und an der Küſte Grönlands wird der Tobiasfiſch
und die Sandlanze, wie alles überhaupt Genießbare verzehrt, ebenſowohl friſch als getrocknet; an

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[615/0653] Tobiasfiſch. Sandlanze. die alte morgenländiſche Sage darin gefallen hat, die kleinen, zierlichen Fiſchlein als den großen Tigrisbewohner anzuſehen, welcher den ängſtlichen Tobias freſſen wollte, auf den Rath des Engels aber an den Floßfedern gepackt, auf das Land gezogen, aus einander gehauen und des Herzens, der Galle und der Leber beraubt wurde. Häufiger als der zu Ehren des frommen Teufelsbanners genannte Fiſch iſt die ihm ſehr verwandte Sandlanze (Ammodytes lancea). Beide unterſcheiden ſich dadurch, daß beim Tobiasfiſch die Rückenfloſſe hinter, bei der Sandlanze über der Bruſtfloſſe eingelenkt und erſtere größer iſt als letztere. Die Färbung der Oberſeite iſt bräunlich, die der unteren ſilberglänzend. Jn der Rückenfloſſe des Tobiasfiſches ſtehen 55, in der Bruſtfloſſe 15, der Afterfloſſe 29, der Schwanzfloſſe 17, in der Rückenfloſſe der Sandlanze 51, der Bruſtfloſſe 13, der Afterfloſſe 25, der Schwanzfloſſe 15 Strahlen. Die Länge jenes beträgt bis 15½, die der Sand- lanze 10 bis 12 Zoll. [Abbildung Der Tobiasfiſch (Ammodytes Toblanus). Nat. Größe bis 15½ Zoll.] Beide Sandaale bewohnen die nördlicheren Meere, und zwar flache, ſandige Küſten, ſchwimmen während der Flut oft in zahlreicher Menge ſehr raſch umher, auf allerlei Würmer und junge Fiſch- brut jagend und namentlich an warmen Abenden durch wiederholte Sprünge über die Oberfläche des Waſſers ſich vergnügend, während ſie bei rückkehrender Ebbe ſich in den Sand zu graben und hier bis zur Wiederkunft der Flut zu verweilen pflegen. Ueber ihre Fortpflanzung iſt man noch immer nicht im Klaren. Die Monate Mai, Auguſt und Dezember werden als die Laichzeit angegeben; Junge von etwa vier Zoll Länge bemerkt man im April und hält ſie für die Brut des vorher- gehenden Jahres. Heutigentages benutzt man die Sandaale anders als Tobias ſeinen Tigrisſiſch. Selbſt die abergläubigſten Fiſcher überlaſſen das Geſchäft, „böſe Geſpenſte“ von Männern und Frauen zu vertreiben, Denen, welche ſolche böſe Geſpenſte überhaupt noch fürchten; ſie gebrauchen ihre gefangenen Sandaale einzig und allein als Köder für andere Fiſche. Am mittelländiſchen Meere ſoll man allerdings die dort vorkommende Art auch eſſen, und an der Küſte Grönlands wird der Tobiasfiſch und die Sandlanze, wie alles überhaupt Genießbare verzehrt, ebenſowohl friſch als getrocknet; an

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/653>, abgerufen am 28.03.2024.