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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Blätter aus dem Tagebuch der Ahnfrau.

Einleitung.

Die wohlaprobirte Gouvernante hatte die verkindete Hochzeitsgesell¬
schaft von Gockelsruh nach der Eierburg bei Gelnhausen geführt und
dort aus ihnen eine Kleinkinderbewahranstalt gebildet. Da sich aber
weder der Staat, noch die einzeln Familien in die Unmündigkeit
der Landes- und Hausväter finden konnten, suchten sie Hülfe bei dem
Pupillen- oder unmündigen Kinder-Collegium, welches erklärte, es
sey zwar zur Bevormundung bereit, aber die kleinen Leute zu ver¬
größern gehöre in die Kunst der Lebensverlängerung und also ins
Medizinalfach. Man wendete sich daher an den Stadtphysikus, der
aber entschied dahin, dieser Handel gehe über seinen Horizont, er
gehöre ins Nachtgebiet der Natur, und beweise das Hereinragen einer
Geisterwelt in die unsre. -- Weil nun die Rolle einer Königin der
Nacht damals vor der Erfindung der Zauberflöte in Gelnhausen un¬
möglich besetzt seyn konnte, wußte man keine Autorität für das Nacht¬
reich und nahm seine Zuflucht zu der hochlöblichen Nachtwächterzunft
in der Voraussetzung, von Nachtgebiets- und Geisterragerei-Sachen
müßten sie wohl Bescheid wissen. Sie erklärten aber, in ihr Nacht¬
gebiet gehörten allein die Diebe, die betrunkenen Schwärmer, die
Nachtmusikanten, die Nachtwandler, die Muhkälber, die Wehrwölfe, die
dreibeinigen Hasen, und dergleichen kurze Waaren; dieser Handel
aber sey am hellen Tage geschehen und daher von ihnen nach Recht
und Gerechtigkeit verschlafen worden. -- In dieser Verlegenheit wen¬
dete man sich, da die Schäfer von je im Rufe vieler geheimen Künste
stehen, an die königlich Gelnhausensche, veredelte, spanische Hammel¬
knechtschaft. Der Präsident dieses Collegiums, geheimer Oberhof-
Haushammel Lälaps, ein sehr gelehrter Mann und besonderer Freund
des verkindeten Herrn Oberhof-Osterhaas bat sich Bedenkzeit bis
nach der Schafschur aus. Als er nun sein Schäfchen geschoren und

Blätter aus dem Tagebuch der Ahnfrau.

Einleitung.

Die wohlaprobirte Gouvernante hatte die verkindete Hochzeitsgeſell¬
ſchaft von Gockelsruh nach der Eierburg bei Gelnhauſen gefuͤhrt und
dort aus ihnen eine Kleinkinderbewahranſtalt gebildet. Da ſich aber
weder der Staat, noch die einzeln Familien in die Unmuͤndigkeit
der Landes- und Hausvaͤter finden konnten, ſuchten ſie Huͤlfe bei dem
Pupillen- oder unmuͤndigen Kinder-Collegium, welches erklaͤrte, es
ſey zwar zur Bevormundung bereit, aber die kleinen Leute zu ver¬
groͤßern gehoͤre in die Kunſt der Lebensverlaͤngerung und alſo ins
Medizinalfach. Man wendete ſich daher an den Stadtphyſikus, der
aber entſchied dahin, dieſer Handel gehe uͤber ſeinen Horizont, er
gehoͤre ins Nachtgebiet der Natur, und beweiſe das Hereinragen einer
Geiſterwelt in die unſre. — Weil nun die Rolle einer Koͤnigin der
Nacht damals vor der Erfindung der Zauberfloͤte in Gelnhauſen un¬
moͤglich beſetzt ſeyn konnte, wußte man keine Autoritaͤt fuͤr das Nacht¬
reich und nahm ſeine Zuflucht zu der hochloͤblichen Nachtwaͤchterzunft
in der Vorausſetzung, von Nachtgebiets- und Geiſterragerei-Sachen
muͤßten ſie wohl Beſcheid wiſſen. Sie erklaͤrten aber, in ihr Nacht¬
gebiet gehoͤrten allein die Diebe, die betrunkenen Schwaͤrmer, die
Nachtmuſikanten, die Nachtwandler, die Muhkaͤlber, die Wehrwoͤlfe, die
dreibeinigen Haſen, und dergleichen kurze Waaren; dieſer Handel
aber ſey am hellen Tage geſchehen und daher von ihnen nach Recht
und Gerechtigkeit verſchlafen worden. — In dieſer Verlegenheit wen¬
dete man ſich, da die Schaͤfer von je im Rufe vieler geheimen Kuͤnſte
ſtehen, an die koͤniglich Gelnhauſenſche, veredelte, ſpaniſche Hammel¬
knechtſchaft. Der Praͤſident dieſes Collegiums, geheimer Oberhof-
Haushammel Laͤlaps, ein ſehr gelehrter Mann und beſonderer Freund
des verkindeten Herrn Oberhof-Oſterhaas bat ſich Bedenkzeit bis
nach der Schafſchur aus. Als er nun ſein Schaͤfchen geſchoren und

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[233/0287] Blätter aus dem Tagebuch der Ahnfrau. Einleitung. Die wohlaprobirte Gouvernante hatte die verkindete Hochzeitsgeſell¬ ſchaft von Gockelsruh nach der Eierburg bei Gelnhauſen gefuͤhrt und dort aus ihnen eine Kleinkinderbewahranſtalt gebildet. Da ſich aber weder der Staat, noch die einzeln Familien in die Unmuͤndigkeit der Landes- und Hausvaͤter finden konnten, ſuchten ſie Huͤlfe bei dem Pupillen- oder unmuͤndigen Kinder-Collegium, welches erklaͤrte, es ſey zwar zur Bevormundung bereit, aber die kleinen Leute zu ver¬ groͤßern gehoͤre in die Kunſt der Lebensverlaͤngerung und alſo ins Medizinalfach. Man wendete ſich daher an den Stadtphyſikus, der aber entſchied dahin, dieſer Handel gehe uͤber ſeinen Horizont, er gehoͤre ins Nachtgebiet der Natur, und beweiſe das Hereinragen einer Geiſterwelt in die unſre. — Weil nun die Rolle einer Koͤnigin der Nacht damals vor der Erfindung der Zauberfloͤte in Gelnhauſen un¬ moͤglich beſetzt ſeyn konnte, wußte man keine Autoritaͤt fuͤr das Nacht¬ reich und nahm ſeine Zuflucht zu der hochloͤblichen Nachtwaͤchterzunft in der Vorausſetzung, von Nachtgebiets- und Geiſterragerei-Sachen muͤßten ſie wohl Beſcheid wiſſen. Sie erklaͤrten aber, in ihr Nacht¬ gebiet gehoͤrten allein die Diebe, die betrunkenen Schwaͤrmer, die Nachtmuſikanten, die Nachtwandler, die Muhkaͤlber, die Wehrwoͤlfe, die dreibeinigen Haſen, und dergleichen kurze Waaren; dieſer Handel aber ſey am hellen Tage geſchehen und daher von ihnen nach Recht und Gerechtigkeit verſchlafen worden. — In dieſer Verlegenheit wen¬ dete man ſich, da die Schaͤfer von je im Rufe vieler geheimen Kuͤnſte ſtehen, an die koͤniglich Gelnhauſenſche, veredelte, ſpaniſche Hammel¬ knechtſchaft. Der Praͤſident dieſes Collegiums, geheimer Oberhof- Haushammel Laͤlaps, ein ſehr gelehrter Mann und beſonderer Freund des verkindeten Herrn Oberhof-Oſterhaas bat ſich Bedenkzeit bis nach der Schafſchur aus. Als er nun ſein Schaͤfchen geſchoren und

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/287>, abgerufen am 29.03.2024.