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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Herzliche Zueignung.
des Mährchens ein Kind geworden bin, um in dieser Zueignung mit
der Wahrheit herausplatzen zu dürfen. In vielen Zügen jedoch wirst
du dich gewiß gern wiederfinden, z. B. in allen den Fahnen bei dem
Leichenzuge des armen Kindes von Hennegau; denn ich selbst habe ja
schon solche Fahnen aus deinen Händen den Armen gegeben. Auch der
Name und Orden des armen Kindes von Hennegau muß deinem Herzen
nahe liegen, denn liebes Großmütterchen, wir sind wohl beide arme
Kinder, wenn gleich nicht von Hennegau. Die Ortsnamen wirst du
überhaupt nicht zu strenge nehmen, denn du weißt, daß alle höchst
wichtigen, oder gar nothwendigen Begebenheiten, Gott sey Dank,
überall geschehen sind. Du fragst mich, was mich meine leibliche
Großmutter oft gefragt: "woher hast du nur alle das wunderliche
Zeug?" -- ich antworte: "ach, es ist nicht weit her!" -- die Grund¬
lage von dem Hahn und dem Ring hörte ich als Knabe von einem
wälschen Chocolatemacher krähend erzählen. -- Gelnhausen prägte sich
mir in der Jugend durch den Zettel an einer Bude mit Wachsfiguren
ein, welcher lautete: "wahrhafte Abbildung der beiden Gebrüder
Vatermörder von Gelnhausen" -- als sey dies eine Handlungsfirma.
Später ein Mal durch diese Stadt fahrend, glaubte ich besonders
viele Bäcker und Fleischerladen dort zu sehen; wäre aber dieses nur
ein Spiel der Phantasie gewesen, so mahnt mich doch heut eine
Fügung, allen Lohn, den mir Gockel je zu Tage scharren wird,
nach Gelnhausen zu wenden. -- In das Land Hennegau bin ich
durch Gockel und Hinkel gerathen; das Ländchen Vadutz aber habe
ich von Jugend auf seines kuriosen Namens wegen gar lieb ge¬
habt, ohne doch je zu wissen, wo es eigentlich liegt; ich habe auch
nie darnach gefragt, um nicht aus einem jener Träume zu kommen,
welche die Pillen der sogenannten Wirklichkeit vergolden. Vadutz ist
mir noch jetzt das Land aller Schätze, Geheimnisse und Kleinodien
und dort ist mir das Thule, wo der König den liebsten Be¬
cher, ehe er starb, in die Fluth hinab geworfen. Da ich als ein
Knabe in dem Comtoir den gelehrten Rabbi Gedalia Schnapper
mit dem unvergleichlichen Abarbanel Meyer auf Tod und Leben, so
daß man mehrmals Wasser auf sie gießen mußte, um sie auseinan¬
der zu bringen, über die Lage eines wunderbaren Landes disputiren
hörte, welches der Fluß Sabbathion umfließt, der die ganze Woche
ein unzugängliches Steinmeer ist und nur am Sabbath seine Wogen
bewegt, floh ich auf den Speicher in die Einsiedelei eines leeren Zu¬

Herzliche Zueignung.
des Maͤhrchens ein Kind geworden bin, um in dieſer Zueignung mit
der Wahrheit herausplatzen zu duͤrfen. In vielen Zuͤgen jedoch wirſt
du dich gewiß gern wiederfinden, z. B. in allen den Fahnen bei dem
Leichenzuge des armen Kindes von Hennegau; denn ich ſelbſt habe ja
ſchon ſolche Fahnen aus deinen Haͤnden den Armen gegeben. Auch der
Name und Orden des armen Kindes von Hennegau muß deinem Herzen
nahe liegen, denn liebes Großmuͤtterchen, wir ſind wohl beide arme
Kinder, wenn gleich nicht von Hennegau. Die Ortsnamen wirſt du
uͤberhaupt nicht zu ſtrenge nehmen, denn du weißt, daß alle hoͤchſt
wichtigen, oder gar nothwendigen Begebenheiten, Gott ſey Dank,
uͤberall geſchehen ſind. Du fragſt mich, was mich meine leibliche
Großmutter oft gefragt: „woher haſt du nur alle das wunderliche
Zeug?“ — ich antworte: „ach, es iſt nicht weit her!“ — die Grund¬
lage von dem Hahn und dem Ring hoͤrte ich als Knabe von einem
waͤlſchen Chocolatemacher kraͤhend erzaͤhlen. — Gelnhauſen praͤgte ſich
mir in der Jugend durch den Zettel an einer Bude mit Wachsfiguren
ein, welcher lautete: „wahrhafte Abbildung der beiden Gebruͤder
Vatermoͤrder von Gelnhauſen“ — als ſey dies eine Handlungsfirma.
Spaͤter ein Mal durch dieſe Stadt fahrend, glaubte ich beſonders
viele Baͤcker und Fleiſcherladen dort zu ſehen; waͤre aber dieſes nur
ein Spiel der Phantaſie geweſen, ſo mahnt mich doch heut eine
Fuͤgung, allen Lohn, den mir Gockel je zu Tage ſcharren wird,
nach Gelnhauſen zu wenden. — In das Land Hennegau bin ich
durch Gockel und Hinkel gerathen; das Laͤndchen Vadutz aber habe
ich von Jugend auf ſeines kurioſen Namens wegen gar lieb ge¬
habt, ohne doch je zu wiſſen, wo es eigentlich liegt; ich habe auch
nie darnach gefragt, um nicht aus einem jener Traͤume zu kommen,
welche die Pillen der ſogenannten Wirklichkeit vergolden. Vadutz iſt
mir noch jetzt das Land aller Schaͤtze, Geheimniſſe und Kleinodien
und dort iſt mir das Thule, wo der Koͤnig den liebſten Be¬
cher, ehe er ſtarb, in die Fluth hinab geworfen. Da ich als ein
Knabe in dem Comtoir den gelehrten Rabbi Gedalia Schnapper
mit dem unvergleichlichen Abarbanel Meyer auf Tod und Leben, ſo
daß man mehrmals Waſſer auf ſie gießen mußte, um ſie auseinan¬
der zu bringen, uͤber die Lage eines wunderbaren Landes disputiren
hoͤrte, welches der Fluß Sabbathion umfließt, der die ganze Woche
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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/13>, abgerufen am 28.03.2024.