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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

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Das Kind.
Ein kluger Wund-Arzt schneidet drein,
Eh' er vom schneiden viel erzälet.
Warum? er weiß, daß insgemein
Die Furcht mehr, als das Uebel, qvälet.
Als jüngst mein Kind (wiewol GOtt Lob doch ohn Gefahr)
Durch einen Fall am Haupt verletzet war,
So, daß der Wund-Arzt ihm ein' Oeffnung machen muste;
Bekümmert' es sich nicht, weil von dem Schmerz,
Der es betreffen sollt, sein unbesorgtes Herz
Nicht das geringste wuste.
Der Schnitt geschahe denn: drauf fing es zwar
Den Augenblick erbärmlich an zu weinen;
Allein es sahe kaum das Gold
Von einer Zucker-Puppe scheinen,
Als es auch schon getröstet war:
Die Thränen waren eh', als noch das Blut, gestillt.
Das schien mir nun ein Lehr-reich Bild.
Denn erstlich folgt daraus der Schluß,
Daß wir uns Kummer und Verdruß,
An statt durch Denken sie zu mindern und zu bessern,
Durch Denken nur noch mehren und vergrössern.
Man zieht die Plagen und die Pein,
Die noch entfernt und erst zukünftig seyn,
Jm Denken schon voraus herbey.
Die Phautasey ist stets beschäfftiget und fertig,
Damit ein fernes Leid uns gegenwärtig
Und, eh man's fület, sülbar sey.
Erwe-
Das Kind.
Ein kluger Wund-Arzt ſchneidet drein,
Eh’ er vom ſchneiden viel erzaͤlet.
Warum? er weiß, daß insgemein
Die Furcht mehr, als das Uebel, qvaͤlet.
Als juͤngſt mein Kind (wiewol GOtt Lob doch ohn Gefahr)
Durch einen Fall am Haupt verletzet war,
So, daß der Wund-Arzt ihm ein’ Oeffnung machen muſte;
Bekuͤmmert’ es ſich nicht, weil von dem Schmerz,
Der es betreffen ſollt, ſein unbeſorgtes Herz
Nicht das geringſte wuſte.
Der Schnitt geſchahe denn: drauf fing es zwar
Den Augenblick erbaͤrmlich an zu weinen;
Allein es ſahe kaum das Gold
Von einer Zucker-Puppe ſcheinen,
Als es auch ſchon getroͤſtet war:
Die Thraͤnen waren eh’, als noch das Blut, geſtillt.
Das ſchien mir nun ein Lehr-reich Bild.
Denn erſtlich folgt daraus der Schluß,
Daß wir uns Kummer und Verdruß,
An ſtatt durch Denken ſie zu mindern und zu beſſern,
Durch Denken nur noch mehren und vergroͤſſern.
Man zieht die Plagen und die Pein,
Die noch entfernt und erſt zukuͤnftig ſeyn,
Jm Denken ſchon voraus herbey.
Die Phautaſey iſt ſtets beſchaͤfftiget und fertig,
Damit ein fernes Leid uns gegenwaͤrtig
Und, eh man’s fuͤlet, ſuͤlbar ſey.
Erwe-
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[189/0225] Das Kind. Ein kluger Wund-Arzt ſchneidet drein, Eh’ er vom ſchneiden viel erzaͤlet. Warum? er weiß, daß insgemein Die Furcht mehr, als das Uebel, qvaͤlet. Als juͤngſt mein Kind (wiewol GOtt Lob doch ohn Gefahr) Durch einen Fall am Haupt verletzet war, So, daß der Wund-Arzt ihm ein’ Oeffnung machen muſte; Bekuͤmmert’ es ſich nicht, weil von dem Schmerz, Der es betreffen ſollt, ſein unbeſorgtes Herz Nicht das geringſte wuſte. Der Schnitt geſchahe denn: drauf fing es zwar Den Augenblick erbaͤrmlich an zu weinen; Allein es ſahe kaum das Gold Von einer Zucker-Puppe ſcheinen, Als es auch ſchon getroͤſtet war: Die Thraͤnen waren eh’, als noch das Blut, geſtillt. Das ſchien mir nun ein Lehr-reich Bild. Denn erſtlich folgt daraus der Schluß, Daß wir uns Kummer und Verdruß, An ſtatt durch Denken ſie zu mindern und zu beſſern, Durch Denken nur noch mehren und vergroͤſſern. Man zieht die Plagen und die Pein, Die noch entfernt und erſt zukuͤnftig ſeyn, Jm Denken ſchon voraus herbey. Die Phautaſey iſt ſtets beſchaͤfftiget und fertig, Damit ein fernes Leid uns gegenwaͤrtig Und, eh man’s fuͤlet, ſuͤlbar ſey. Erwe-

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/225>, abgerufen am 19.03.2024.