Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
Stille im Sturm.
Stille im Sturm.
Man hörte von weiten ein Rauschen, ein Brüllen,
Ein fürchterlich Sausen den Luftkreis erfüllen.
Dieß nähert sich plötzlich. Ein wütender Grimm
Ergriff, was erhöhet, riß alles herüm,
Stürzt alles zu Boden, was fest und erhaben,
Droht alles in Trümmer und Schutt zu begraben.
"Wie, wenn im Glase man, mit Eßig, Kreyde mischt,
"Man mit Erstaunen sieht, wie alles braust und zischt,
"Wie alle Theile sich bald auf-bald abwerts treiben,
"Sich stoßen, drängen, fliehn, bestürmen, pressen, reiben,
"Bald sinken, bald aufs neu sich ämsig aufwerts heben,
"Stets eilen, nimmer ruhn, bald hoch, bald niedrig schweben,
"Jn allgemeinem Krieg sich alle widerstreben,
"Jn reger Flüchtigkeit an allen Orten schwärmen,
"Und wütend mit einander lärmen:
So kämpften die Luft-Theil und stritten; es strebte
Ein jeglichs, das andre zu schwächen. Oft ließ,
Als wenn mit dem Südwind der Nordwind sich stieß,
Daß alles erschütterte, zitterte, bebte.
Jn dieser fürchterlichen Zeit,
Da selbst die Elementen stritten,
Saß Licidas in seiner Hütten,
Beschützt von seiner Niedrigkeit,
Und dankte Gott für seine Sicherheit.


Die
Stille im Sturm.
Stille im Sturm.
Man hoͤrte von weiten ein Rauſchen, ein Bruͤllen,
Ein fuͤrchterlich Sauſen den Luftkreis erfuͤllen.
Dieß naͤhert ſich ploͤtzlich. Ein wuͤtender Grimm
Ergriff, was erhoͤhet, riß alles heruͤm,
Stuͤrzt alles zu Boden, was feſt und erhaben,
Droht alles in Truͤmmer und Schutt zu begraben.
„Wie, wenn im Glaſe man, mit Eßig, Kreyde miſcht,
„Man mit Erſtaunen ſieht, wie alles brauſt und ziſcht,
„Wie alle Theile ſich bald auf-bald abwerts treiben,
„Sich ſtoßen, draͤngen, fliehn, beſtuͤrmen, preſſen, reiben,
„Bald ſinken, bald aufs neu ſich aͤmſig aufwerts heben,
„Stets eilen, nimmer ruhn, bald hoch, bald niedrig ſchweben,
„Jn allgemeinem Krieg ſich alle widerſtreben,
„Jn reger Fluͤchtigkeit an allen Orten ſchwaͤrmen,
„Und wuͤtend mit einander laͤrmen:
So kaͤmpften die Luft-Theil und ſtritten; es ſtrebte
Ein jeglichs, das andre zu ſchwaͤchen. Oft ließ,
Als wenn mit dem Suͤdwind der Nordwind ſich ſtieß,
Daß alles erſchuͤtterte, zitterte, bebte.
Jn dieſer fuͤrchterlichen Zeit,
Da ſelbſt die Elementen ſtritten,
Saß Licidas in ſeiner Huͤtten,
Beſchuͤtzt von ſeiner Niedrigkeit,
Und dankte Gott fuͤr ſeine Sicherheit.


Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0359" n="335"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Stille im Sturm.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Stille im Sturm.</hi> </head><lb/>
          <lg n="1">
            <l><hi rendition="#in">M</hi>an ho&#x0364;rte von weiten ein Rau&#x017F;chen, ein Bru&#x0364;llen,</l><lb/>
            <l>Ein fu&#x0364;rchterlich Sau&#x017F;en den Luftkreis erfu&#x0364;llen.</l><lb/>
            <l>Dieß na&#x0364;hert &#x017F;ich plo&#x0364;tzlich. Ein wu&#x0364;tender Grimm</l><lb/>
            <l>Ergriff, was erho&#x0364;het, riß alles heru&#x0364;m,</l><lb/>
            <l>Stu&#x0364;rzt alles zu Boden, was fe&#x017F;t und erhaben,</l><lb/>
            <l>Droht alles in Tru&#x0364;mmer und Schutt zu begraben.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>&#x201E;Wie, wenn im Gla&#x017F;e man, mit Eßig, Kreyde mi&#x017F;cht,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Man mit Er&#x017F;taunen &#x017F;ieht, wie alles brau&#x017F;t und zi&#x017F;cht,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Wie alle Theile &#x017F;ich bald auf-bald abwerts treiben,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Sich &#x017F;toßen, dra&#x0364;ngen, fliehn, be&#x017F;tu&#x0364;rmen, pre&#x017F;&#x017F;en, reiben,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Bald &#x017F;inken, bald aufs neu &#x017F;ich a&#x0364;m&#x017F;ig aufwerts heben,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Stets eilen, nimmer ruhn, bald hoch, bald niedrig &#x017F;chweben,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Jn allgemeinem Krieg &#x017F;ich alle wider&#x017F;treben,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Jn reger Flu&#x0364;chtigkeit an allen Orten &#x017F;chwa&#x0364;rmen,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Und wu&#x0364;tend mit einander la&#x0364;rmen:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>So ka&#x0364;mpften die Luft-Theil und &#x017F;tritten; es &#x017F;trebte</l><lb/>
            <l>Ein jeglichs, das andre zu &#x017F;chwa&#x0364;chen. Oft ließ,</l><lb/>
            <l>Als wenn mit dem Su&#x0364;dwind der Nordwind &#x017F;ich &#x017F;tieß,</l><lb/>
            <l>Daß alles er&#x017F;chu&#x0364;tterte, zitterte, bebte.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="4">
            <l>Jn die&#x017F;er fu&#x0364;rchterlichen Zeit,</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;elb&#x017F;t die Elementen &#x017F;tritten,</l><lb/>
            <l>Saß Licidas in &#x017F;einer Hu&#x0364;tten,</l><lb/>
            <l>Be&#x017F;chu&#x0364;tzt von &#x017F;einer Niedrigkeit,</l><lb/>
            <l>Und dankte Gott fu&#x0364;r &#x017F;eine Sicherheit.</l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0359] Stille im Sturm. Stille im Sturm. Man hoͤrte von weiten ein Rauſchen, ein Bruͤllen, Ein fuͤrchterlich Sauſen den Luftkreis erfuͤllen. Dieß naͤhert ſich ploͤtzlich. Ein wuͤtender Grimm Ergriff, was erhoͤhet, riß alles heruͤm, Stuͤrzt alles zu Boden, was feſt und erhaben, Droht alles in Truͤmmer und Schutt zu begraben. „Wie, wenn im Glaſe man, mit Eßig, Kreyde miſcht, „Man mit Erſtaunen ſieht, wie alles brauſt und ziſcht, „Wie alle Theile ſich bald auf-bald abwerts treiben, „Sich ſtoßen, draͤngen, fliehn, beſtuͤrmen, preſſen, reiben, „Bald ſinken, bald aufs neu ſich aͤmſig aufwerts heben, „Stets eilen, nimmer ruhn, bald hoch, bald niedrig ſchweben, „Jn allgemeinem Krieg ſich alle widerſtreben, „Jn reger Fluͤchtigkeit an allen Orten ſchwaͤrmen, „Und wuͤtend mit einander laͤrmen: So kaͤmpften die Luft-Theil und ſtritten; es ſtrebte Ein jeglichs, das andre zu ſchwaͤchen. Oft ließ, Als wenn mit dem Suͤdwind der Nordwind ſich ſtieß, Daß alles erſchuͤtterte, zitterte, bebte. Jn dieſer fuͤrchterlichen Zeit, Da ſelbſt die Elementen ſtritten, Saß Licidas in ſeiner Huͤtten, Beſchuͤtzt von ſeiner Niedrigkeit, Und dankte Gott fuͤr ſeine Sicherheit. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/359
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/359>, abgerufen am 25.04.2024.